- A divisional application was filed after the expiration of the 6 months period under Rule 161 EPC, but before the Notice of loss of rights. No further action was taken in the parent. The Legal Board finds that the parent was not pending at the day of filing the divisional application. This is not changed by G 1/09, which is only about refusals.
J 0010/16 - link
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Mit der Beschwerde ist die Frage zu entscheiden, inwieweit die Stammanmeldung bei Einreichung der Teilanmeldung noch anhängig war bzw. wann die Stammanmeldung im Falle der Fiktion der Zurücknahme durch Verstreichen einer Frist als zurückgenommen gilt.
3. Gemäß Regel 36 (1) EPÜ in der geltenden Fassung vor dem 1. April 2014, die hier Anwendung findet, kann eine Teilanmeldung nur bei einer anhängigen Anmeldung (Stammanmeldung) eingereicht werden (,,Der Anmelder kann eine Teilanmeldung zu jeder anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung einreichen, sofern: ...["]).
4. Da auf die Mitteilung nach Regel 161(1) und 162 EPÜ vom 26. Oktober 2012 innerhalb der festgesetzten 6-Monatsfrist nicht geantwortet wurde (Ablauf der 6-Monatsfrist, 5. Mai 2013 = Sonntag verlängert auf Montag, den 6. Mai 2013; Regel 126(2), 131 (4), 134 (1) EPÜ), hat die Engangstelle am 12. Juni 2013 die Mitteilung nach Regel 112 (1) EPÜ über den Rechtsverlust der Anmelderin zugestellt, in der mitgeteilt wurde, dass die Anmeldung gemäß Regel 161 (1) EPÜ als zurückgenommen gilt; auf Regel 112 (2) EPÜ wurde hingewiesen. Weder wurde ein Antrag auf Entscheidung gemäß Regel 112 (2) EPÜ gestellt, noch ein Rechtsmittelverfahren eingeleitet. Dieser Sachverhalt wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.
5. Die juristische Beschwerdekammer teilt aus den nachstehenden Gründen die Schlussfolgerung der Eingangsstelle, dass das Verfahren bezüglich der Stammanmeldung am 7. Mai 2013 abgeschlossen war, d.h. nach Ablauf der 6-Monatsfrist nach Regel 161 (1) EPÜ (siehe Entscheidungsgründe Nr. 6 der angefochtenen Entscheidung).
6. Eintritt des Rechtsverlusts bei Fiktion der Zurücknahme
6.1 In jenen Fällen, in denen das EPÜ den unmittelbaren Eintritt eines Rechtsverlusts vorsieht, ist der Entscheidung, die mit der Beschwerde angefochten werden kann, eine Mitteilung über die Feststellung des Rechtsverlusts gemäß Regel 112 (1) EPÜ vorgeschaltet. Der Zweck dieses Verfahrens ist es, eine Verwaltungsvereinfachung herbeizuführen, ohne in die Rechte des Anmelders einzugreifen. Das Verfahren ist derart gestaltet, dass die Mitteilung keiner näheren Begründung bedarf. Damit entfällt die Notwendigkeit, in der Sache zu entscheiden und diese Entscheidung voll zu begründen, wenn der Anmelder einerseits an der Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr interessiert ist, andererseits aber die europäische Patentanmeldung nicht ausdrücklich zurücknehmen will. Damit wird ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Interesse des Europäischen Patentamts an einem einfachen, wirtschaftlichen Verfahren und dem Interesse des Anmelders an Rechtssicherheit geschaffen.
6.2 Stellt der Anmelder, nachdem er die Mitteilung nach Regel 112(1) EPÜ über den Rechtsverlust erhalten hat, keinen Antrag auf Entscheidung nach Regel 112 (2) EPÜ, so tritt der Rechtsverlust mit Ablauf der Frist, die nicht eingehalten worden ist, ein. Dies wurde auch in der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer festgehalten bzw. bestätigt, vgl. z.B. J 4/86, ABl. 1988,119, Entscheidungsgründe Nr.: 1.1; G 1/10 (ABl. EPA 1991, 275, Entscheidungsgründe 6; G 4/98 (ABl. 2001, 131; J 19/01 vom 19. November 2001; J 9/02 vom 22. Mai 2003), Entscheidungsgründe 3.3, Leitsatz II). Wird kein Antrag auf Entscheidung nach Regel 112 (2) EPÜ gestellt, ist die Mitteilung über den Rechtsverlust folglich unanfechtbar und das Verfahren mit Ablauf der versäumten Frist beendet, vorbehaltlich einer Beseitigung der Rechtsfolge durch die Rechtsbehelfe der Weiterbehandlung oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Mitteilung nach Regel 112(1) bzw. die Entscheidung nach Regel 112 (2) EPÜ haben einen reinen Feststellungscharakter in Bezug auf einen ex lege eingetretenen Rechtsverlust. Dies wurde zutreffend in der Entscheidung J 1/05 vom 30. September 2005, Entscheidungsgründe Nr. 4 beschieden, in der festgehalten wurde, dass der Mitteilung über den Rechtsverlust bzw. der ggfls. nachgeschalteten Feststellungsentscheidung lediglich eine deklaratorische Wirkung zukommt.
6.3 Dies wird auch so entsprechend in der Literatur erläutert. In Visser ,,The annoted European Patent Convention", November 2016, Rule 36, Nr 3.1.3 ,,Filing divisional and deemed withdrawal" wird die Rechtslage wie folgt dargestellt: ,,When the applicant receives the communication of the loss of rights under R.112(1), the application is already no longer pending. A mere filing of a request for further processing or re-establishment does not make the application pending again. The application will only become pending, retroactively from the expiry of the non-observed period, if the request is granted, possibly only in appeal. Hence, a divisional filed after an application has been deemed withdrawn will only be validly filed if a remedy is applied successfully." Auch der Kommentar von Teschemacher in Singer/Stauder, 7. Auflage, 2016, Art. 76 Randnummer 30 bestätigt diese Auffassung: ,,Im Fall einer Rücknahmefiktion ist die Anmeldung bis zum Ablauf der versäumten Frist anhängig. Gilt die Anmeldung tatsächlich als zurückgenommen, ändert die Einreichung eines Rechtsbehelfs nichts am Zeitpunkt des Eintritts der Rücknahmefiktion. Die bloße Stellung eines Antrags auf Weiterbehandlung oder Wiedereinsetzung in die versäumte Frist macht die Anmeldung nicht wieder anhängig. Erst wenn einem solchen Antrag stattgegeben wird, wird die eingetretene Rücknahmefiktion beseitigt. Entsprechendes gilt für die Einlegung eine Beschwerde in solchen Fällen, etwa gegen die Entscheidung über die Feststellung eines Rechtsverlusts nach R 112 (2) oder gegen die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags. Die Entscheidung der Beschwerdekammer ist hier rein feststellend und die aufschiebende Wirkung betrifft nur die Frage, ob die Rücknahmefiktion eingetreten ist, aber nicht den Zeitpunkt, in dem dies geschehen ist."
7. J 4/11 und Fiktion der Zurücknahme
7.1 Entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerin befasst sich die Entscheidung J 4/11 in den Entscheidungsgründen 8 bis 12 auch mit der Frage der ,,prima-facie-Auswirkung" der Rücknahmefiktion auf die Rechte nach Artikel 64 EPÜ und insbesondere im Hinblick auf die in G 1/09 (ABl. EPA 2011, 336) herangezogenen Gründe über die Rechte nach Artikel 64 EPÜ, und dies nicht nur im Zusammenhang - wie behauptet wird - mit einem Wiedereinsetzungsantrag.
7.2 In den Entscheidungsgründen Nr. 11 und 12 in der Sache J 4/11 kommt die juristische Beschwerdekammer in einer anderen Besetzung zur folgenden Schlussfolgerung (die in Frage stehende Frist war nicht die 6-Monatsfrist nach Regel 161 (1) EPÜ, sondern die 6-Monatsfrist nach Artikel 86 (2) EPÜ 1973, dessen Nichtbeachtung auch die Rechtsfolge der Fiktion der Zurücknahme auslöst): ,,11. Was den Zeitpunkt des Eintritts der Rücknahmefiktion betrifft, so heißt es in Artikel 86 (3) EPÜ 1973 (jetzt Art. 86 (1) EPÜ) lediglich, dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt, wenn die Jahresgebühr (gegebenenfalls nebst Zuschlagsgebühr) nicht rechtzeitig entrichtet wird. Zwar muss dem Anmelder der Rechtsverlust mitgeteilt werden (R. 69 (1) EPÜ 1973, jetzt R. 112 (1) EPÜ), doch tritt die Zurücknahme zu diesem Zeitpunkt von Rechts wegen ein, ohne dass es einer Entscheidung des Amts bedarf. Wie in G 1/90 (ABl. EPA 1991, 275) erläutert, tritt der Rechtsverlust mit Ablauf der Frist ein, die nicht eingehalten worden ist (Nr. 6 der Gründe). Siehe auch G 04/98 (ABl. EPA 2001, 131), Nummer 3.3 der Gründe. 12. Prima facie bestanden die Rechte nach Artikel 64 aus der ursprünglichen Stammanmeldung also nicht mehr, als die Frist für die Entrichtung der Jahresgebühr ablief, was vor dem Tag geschah, an dem die Stammanmeldung eingereicht wurde."
7.3 Die juristische Beschwerdekammer in der jetzigen Besetzung schließt sich voll und ganz diesen Ausführungen an. Durch die fehlende Tätigkeit der Beschwerdeführerin nach Erhalt der Mitteilung der Eingangsstelle vom 12. Juni 2013 ist der mitgeteilte Rechtsverlust mit dem Datum vom 7. Mai 2013 in Rechtskraft erwachsen, mit der Rechtsfolge, dass die Stammanmeldung zu diesem Zeitpunkt mit Ablauf der 6-Monatsfrist nicht mehr anhängig war.
8. Zurückweisung und Fiktion der Zurücknahme
8.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die Große Beschwerdekammer in der Entscheidung G 1/09 (siehe Entscheidungsgründe Nr.: 3.2.4, 4.2.1 und 4.2.2) weitgehend zu den materiellen Rechten aus einer europäischen Patentanmeldung in den verschiedenen Fallkonstellationen (Erteilung, Zurückweisung und Fiktion der Zurücknahme) Stellung genommen habe.
8.2 Die Kammer kann diesem Vortrag nicht zustimmen. Die zitierten Stellen sind ausschließlich in Zusammenhang mit der Zurückweisung der Anmeldung zu verstehen, wie es sich auch aus der Überschrift des Absatzes 4.2 ergibt. Eine Verallgemeinerung wäre fehl am Platz. Es ist nämlich ein ganz wesentlicher Unterschied, ob ein Rechtsmittel gegen eine in der Kompetenz des entsprechenden Organs liegende Entscheidung eingelegt werden kann (was bei G 1/09 der Fall war), oder ob sich ein Rechtsmittel nur auf die Überprüfung beziehen kann, ob der Tatbestand einer von Gesetzes wegen eintretenden Rechtsfolge erfüllt ist. Nur im ersten Falle kann das zur Entscheidung befugte Organ der angefochtenen Entscheidung dadurch abhelfen, dass es seine eigene Entscheidung anstelle die der Vorinstanz setzt. Vorliegend hat die Beschwerdekammer lediglich die Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen für den Rechtsverlust zu überprüfen, es kann aber nicht selbständig über diese Rechtsfolge entscheiden. Bei kraft Gesetzes eintretenden Rechtsfolgen kann der Streitgegenstand eines Rechtsmittels nur die Überprüfung für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Rechtsfolge sein. Eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge ist keine Entscheidung des erstinstanzlichen Organs, sondern eine Entscheidung des Gesetzgebers und in ihrer Überprüfung den Beschwerdekammern nur insoweit zugänglich, als sie entweder einen Verstoß gegen das EPÜ oder das Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen zum Gegenstand hätte. Entscheidungen des Gesetzgebers sind aber keine in der G 1/09 genannten erstinstanzlichen Entscheidungen. Weiterhin hat sich die G 1/09 nicht zu der Rechtslage der Anhängigkeit der Stammanmeldung bei Eintreten einer Fiktion der Zurücknahme geäußert, da diese Frage nicht Gegenstand der Vorlage war.
8.3 Die Beschwerdeführerin macht weiterhin eine ,,rechtlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung der Teilanmeldung innerhalb der Frist zur Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels im Fall einer Zurücknahmefiktion" gegenüber ,,einer Einreichung einer Teilanmeldung zu einer zurückgewiesen Anmeldung" geltend.
8.4 Dem kann auch nicht gefolgt werden. Es ist festzuhalten, dass in der Entscheidung G 1/09 die Große Beschwerdekammer zu der Schlussfolgerung kam, dass die materiellen Rechte bei Zurückweisung der Anmeldung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Zurückweisung d.h. bis zum Ablauf der 2-Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde bestehen. Dies ergibt sich u.a. aus der von dem Gesetzgeber gewollten Formulierung des Artikels 67(4) EPÜ (deutsche Fassung: ,,rechtskräftig zurückgewiesen"). Eine gleichlautende Formulierung (,,gilt als rechtskräftig zurückgenommen") (das Wort ,,rechtskräftig" wurde von der Kammer hinzugefügt), d.h. mit Ablauf der der 2-Monatsfrist nach Regel 112(2) EPÜ, ist - wie oben schon dargelegt - bei der Rechtsfolge der Fiktion der Zurücknahme aus systematischen und rechtlichen Erwägungen nicht vorgesehen, da diese Rechtsfolge unmittelbar nach Ablauf der versäumten Frist eintritt. Vgl. hierzu auch die Entscheidungsgründe Nr. 14 und 15 der schon zitierten Entscheidung J 4/11, in der die juristische Beschwerdekammer zu demselben Ergebnis kam. Eine andere Auslegung wäre nicht logisch, gesetzeswidrig und nicht EPÜ-konform. Eine Schlechterstellung kann in Kenntnis der Gesetzeslage und bei Anwendung der geltenden Vorschriften nicht gesehen werden.
8.5 Auch kann die Kammer in den Fallkonstellationen, in denen die Fiktion der Zurücknahme greifen soll, keinen Schwebezustand erkennen. Durch das fehlende Handeln innerhalb der festgesetzten Frist und mit dem Ablauf der versäumten Frist tritt unmittelbar - wie oben dargelegt - die Rechtsfolge der Zurücknahme der Fiktion ein. Mit der Mitteilung nach Regel 112 (1) EPÜ wird diese Rechtsfolge dem Anmelder mitgeteilt, die gegebenenfalls mittels einem begründeten Antrag gemäß Regel 112 (2) EPÜ oder durch die Rechtsbehelfe der Weiterbehandlung oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgehoben werden kann bzw. können. Im vorliegenden Fall wurden solche Verfahren nicht eingeleitet.
9. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin insoweit zu, als der Wortlaut der Mitteilung vom 12. September 2013 über die Feststellung des Rechtsverlustes (siehe oben Punkt VIII : ,,... zu dem die frühere europäische Patentanmeldung bereits rechtskräftig als zurückgenommen galt") dahingehend verstanden werden könnte, dass eine (Stamm)Anmeldung bis nach Ablauf der 2-Monatsfrist nach Regel 112 (1) EPÜ anhängig bliebe, da in der Tat Rechtsbehelfsverfahren ausgeschlossen wären. Die Eingangsstelle hat eine Mehrdeutigkeit dieser Formulierung erkannt (vgl. Punkt 5 erster Absatz der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Dies ändert aber nichts an der oben geschilderten Rechtslage, nach der eine ungenützte Frist unmittelbar mit deren Ablauf zur Folge hat, dass die Anmeldung als zurückgenommen gilt.
10. Aus den vorherigen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die am 11. Juni 2013 eingereichte Teilanmeldung zu einem Zeitpunkt eingereicht wurde, als die Stammanmeldung nicht mehr anhängig war (Ablauf der 6-Monatsfrist nach Regel 161(1) EPÜ am 6. Mai 2013) und deshalb nicht als Teilanmeldung behandelt werden kann. Die Tatsache, dass die unangefochtene Mitteilung über der Rechtsverlust nach Regel 112 (1) EPÜ mit Datum vom 12. Juni 2016 erst nach Einreichung der Teilanmeldung zugestellt wurde, ändert nichts an der Rechtslage. Die Beschwerde ist somit zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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