23 September 2019

T 0439/17 - Intervention and two national procedures


Key points

  • In this opposition appeal, the Board has to decide on the admissibility of a Notice of intervention under Article 105 EPC.
  • The intervener basis the intervention on a " Beweissicherungsverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO (Deutsche Zivilprozessordnung)" (evidence seizure proceedings). The question is whether such a procedure is a "proceedings for infringement " of the patent in the sense of Art.105(1)(a) EPC.
  • Following recent decision T1746/15, the Board decides that they are not. 
  • The fact that the evidence seizure procedure was followed by an actual infringement complaint in the national procedure, does not change this. The later national infringement procedure is a separate procedure which can not retroactively make the intervention admissible.
  • The intervener had based a second intervention on the national infringement procedure. However, that second intervention was filed during the appeal procedure. However, the other parties had withdrawn their appeal (during the oral proceedings). Hence, the appeal proceedings are terminated if the first notice of intervention is not admissible (G3/04).  


EPO Headnote


1. Die Entscheidung T 1713/11 definiert eine Klage wegen Verletzung für die Zwecke des Artikels 105 EPÜ als "ein Verfahren zur Feststellung, ob ein Dritter in einem Bereich, der dem Ausschlussrecht des Patentinhabers unterliegt, wirtschaftlich tätig ist". Nach Meinung der Kammer bedeutet dies, dass das Entscheidungsorgan, üblicherweise ein Gericht, aufgefordert wird, "[eine Verletzung] festzustellen", als abschließendes Rechtsergebnis dieses Verfahrens. Die Tatsache, dass die Patentinhaberin oder eine andere Partei das fragliche Verfahren ganz offensichtlich mit dem Ziel eingeleitet hat, dem Patentinhaber die Feststellung einer Verletzung (als Tatbestand) zu ermöglichen, ist für das Vorliegen einer "Klage" im Sinne von Artikel 105 EPÜ irrelevant. (Nr. 6 der Gründe)

2. Die Zulässigkeit des Beitritts muss zum Zeitpunkt des Beitritts gegeben sein und kann nicht später rückwirkend (ex tunc) hergestellt werden. (Nr. 13 der Gründe)

3. Die Kammer stellt fest, dass ein Beweissicherungsverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und die anschließende Verletzungsklage im Hinblick auf die Anwendung von Artikel 105 (1)(a) EPÜ als zwei getrennte Verfahren zu betrachten sind. (Nr. 15 der Gründe)

EPO T 0439/17 -  link


Entscheidungsgründe


1. Die Beschwerde und die Beschwerdebegründung wurden rechtzeitig eingereicht, und die Gebühren wurden entrichtet. Die Beschwerdeführerin ist durch die Entscheidung beschwert. Die Beschwerde ist zulässig.

Parteistellung der beschwerdeführenden Einsprechende 2

2. Wie bereits in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer erläutert, wird die Parteistellung der Einsprechenden 2 durch die Beurteilung der Frage bestimmt, ob ihr erster oder zweiter Beitritt zulässig und damit auch rechtswirksam ist. Wird lediglich ihr zweiter Beitritt anerkannt, aber nicht der erste, so erlangt sie nur die Parteistellung einer Einsprechenden, nicht aber die einer Beschwerdeführerin in Bezug auf die Feststellungen der Entscheidung über das Streitpatent (G 3/04 vom 22. August 2005, ABl. EPA 2006, 118, Gründe Nr. 6 und Nr. 10, erster Absatz). Ihre Parteistellung als Beschwerdeführerin in der vorliegende Beschwerde wird sich somit auf die Frage der Zulässigkeit ihres (ersten) Beitritts beschränken.


3. Der zweite Beitritt basiert auf eine Klageerhebung wegen Verletzung des deutschen Teils des Streitpatents vor dem Landgericht Düsseldorf. Der Beitritt wurde nachweislich form- und fristgerecht erklärt. Die Zulässigkeit des zweiten Beitritts wurde auch nicht von der Beschwerdegegnerin in Frage gestellt. Da die Einsprechende 2 jedoch nicht zwei unterschiedliche Parteienstellungen einnehmen kann und sie sich in erster Linie auf ihren ersten Beitritt stützen wollte, ist die Zulässigkeit des zweiten Beitritts von der Anerkennung des ersten Beitritts abhängig.

Zulässigkeit des ersten Beitritts

4. Die Einspruchsabteilung prüfte eingehend die Vorschriften des § 485 ZPO und den Zweck des Beitritts nach Artikel 105 EPÜ. Sie stellte fest, dass ein solches Beweissicherungsverfahren getrennt von den nachfolgenden möglichen - und noch nicht anhängigen -Verletzungsklagen ist, und gerade dazu dient, eine mögliche Verletzungsklage (den Rechtsstreit) gegebenenfalls zu vermeiden, s. § 485 Abs. 2, erster und letzter Satz, ZPO. Sie hielt den Beitritt aus diesem Grund für unzulässig.

5. In ihrer Beschwerde stützte sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen auf die Entscheidung T 1713/11 vom 12 Dezember 2012, insbesondere auf ihren Orientierungssatz Nr. 2, letzteres mit folgenden Wortlaut: "Sofern ein Patentinhaber oder eine andere dazu berechtigte Partei ein Verfahren einleitet, um festzustellen, ob ein Dritter in einem Bereich, der dem Ausschlussrecht des Patentinhabers unterliegt, wirtschaftlich tätig ist, handelt es sich um eine "Klage wegen Verletzung" im Sinne von Artikel 105 [EPÜ]."(im englischen Original: "As long as a patent proprietor or any other party entitled to do so initiates proceedings meant to establish whether a third party is commercially active in an area that falls within the patent proprietors right to exclude, such proceedings are "proceedings for infringement" in the sense of Article 105 [EPC].") Aufgrund dieser Feststellung vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass das fragliche Beweissicherungsverfahren diese Kriterien erfüllt, so dass es als eine Klage wegen Verletzung im Sinne von Artikel 105 (1)(a) EPÜ einzustufen war.

6. In ihrer Mitteilung (siehe Punkt III oben) stellte die Kammer klar, dass die Entscheidung T 1713/11 bei korrekter Auslegung die Position der Beschwerdeführerin nicht unterstützt. Diese Entscheidung definiert eine Klage wegen Verletzung für die Zwecke des Artikels 105 EPÜ als "ein Verfahren zur Feststellung, ob ein Dritter in einem Bereich, der dem Ausschlussrecht des Patentinhabers unterliegt, wirtschaftlich tätig ist". Nach Meinung der Kammer bedeutet dies, dass das Entscheidungsorgan, üblicherweise ein Gericht, aufgefordert wird, "[eine Verletzung] festzustellen", als abschließendes Rechtsergebnis dieses Verfahrens. Die Tatsache, dass die Patentinhaberin oder eine andere Partei das fragliche Verfahren ganz offensichtlich mit dem Ziel eingeleitet hat, dem Patentinhaber die Feststellung einer Verletzung (als Tatbestand) zu ermöglichen, ist für das Vorliegen einer "Klage" im Sinne von Artikel 105 EPÜ irrelevant. Dieser Analyse der Kammer wurde von der Beschwerdeführerin weder in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Kammer noch in der mündlichen Verhandlung widersprochen. Auch die Kammer hält an ihrer Auffassung fest.

7. Die Kammer ist nicht der Ansicht und es wurde auch nicht behauptet, dass das Entscheidungsorgan in dem fraglichen Beweissicherungsverfahren eine Entscheidung über das Vorliegen einer Verletzung trifft. Die Kammer muss daher feststellen, dass die Entscheidung T 1713/11 die Sache der Beschwerdeführerin nicht unterstützt.

8. Andererseits verwies die Kammer auch auf die Entscheidung T 1746/15 vom 13. November 2017, die sich konkret mit der Beurteilung eines deutschen Beweissicherungsverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO für die Zwecke eines Beitritts nach Artikel 105 (1)(a) EPÜ befasste. Diese Entscheidung ist nach Einreichung der Beschwerdebegründung ergangen, so dass die Beschwerdeführerin sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht hätte kennen können.

9. Die vorliegende Kammer stimmt der Begründung in der Entscheidung T 1746/15 in den Ziffern 1.1 bis 1.7 der Gründe ausdrücklich zu und folgt dieser auch in der vorliegenden Beschwerde. Die Argumente der Beschwerdeführerin ändern auch nichts an dieser Einschätzung der Kammer.

10. Die Beschwerdeführerin machte im Wesentlichen geltend, dass angesichts der Tatsache, dass auf das Beweissicherungsverfahren tatsächlich eine ordnungsgemäße Verletzungsklage folgte, die sich auf das Ergebnis des Beweissicherungsverfahrens stützte, die beiden Verfahren als eine einzige Klage im Sinne von Artikel 105 EPÜ zu betrachten seien. Die Verknüpfung der beiden Verfahren sei auch durch § 493 ZPO unterstützt. Vor diesem Hintergrund sei der vorliegende Fall anders zu beurteilen als die der Entscheidung T 1746/25 zugrunde liegende Fallkonstellation.

11. Die Kammer hält diese Argumente für nicht überzeugend. Erstens lässt sich aus der detaillierten Begründung der Entscheidung T 1746/15 nicht ableiten, dass ihre Schlussfolgerungen nicht anwendbar wären, wenn auf das Beweissicherungsverfahren tatsächlich eine Verletzungsklage folgen würde. Andererseits ist klar, dass die Entscheidung diese Möglichkeit berücksichtigt hat, siehe Punkt 1.7 der Gründe: "Das BSV-Verfahren und die mögliche nachfolgende Verletzungsklage sind zwei getrennte Verfahren, die voneinander unabhängig sind. Es gibt keine automatische oder verfahrenstechnische Verbindung zwischen ihnen. Nur letztere gilt gemäß Artikel 105 (1) (a) EPÜ als " Klage wegen Verletzung...".

12. Die Kammer kann nicht nachvollziehen, wie § 493 ZPO den engen Zusammenhang, ganz zu schweigen von einer verfahrensrechtlichen Einheit, zwischen den beiden Verfahren herstellen würde. Diese Vorschrift besagt folgendes:

§ 493 ZPO - Benutzung im Prozess

(1) Beruft sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, so steht die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich.

(2) War der Gegner in einem Termin im selbständigen Beweisverfahren nicht erschienen, so kann das Ergebnis nur benutzt werden, wenn der Gegner rechtzeitig geladen war.

Die Kammer deutet die angeführten Bestimmungen der ZPO allenfalls so aus, dass sie die Rechtsstellung des Ergebnisses des ansonsten unabhängigen Beweissicherungsverfahrens für die Zwecke der anschließenden Verletzungsklage regeln. Aus diesen Bestimmungen kann nicht abgeleitet werden, dass die beiden Verfahren als konsolidiert oder anderweitig verfahrensrechtlich verbunden anzusehen sind.

13. Darüber hinaus stimmt die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin zu, nämlich dass die Zulässigkeit des Beitritts zum Zeitpunkt des Beitritts gegeben sein muss und nicht später rückwirkend (ex tunc) hergestellt werden kann. Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen diesen Argument und machte geltend, dass das deutsche Verfahrensrecht die spätere Festlegung einer zulässigen Parteiposition rückwirkend zu Beginn des Verfahrens zulasse, und diese Möglichkeit sich auch in Regel 89 EPÜ widerspiegele.

14. Der Kammer wurden keine Beweise vorgelegt, die den Schluss zulassen würden, dass diese Möglichkeit des deutschen Verfahrensrechts in einer mit einem Beitritt nach Artikel 105 EPÜ vergleichbaren Situation anwendbar ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde es nicht ausreichen, dieses vermeintliche Prinzip in das Beitrittsverfahren nach Artikel 105 EPÜ in Verbindung mit Artikel 125 EPÜ einzuführen. Zweifellos kann Regel 89 EPÜ keine Analogie bieten. Die Formulierung "die [Erklärung zur Einleitung eines Verfahrens] gilt erst als erfolgt, wenn die [für das Verfahren vorgeschriebene] Gebühr entrichtet worden ist" ist eine wiederkehrende Formulierung im gesamten EPÜ, hat aber nicht die Rechtswirkung, rückwirkend eine rechtswirksame Parteiposition zu begründen. Es hat lediglich die Rechtswirkung, dass bis zur Zahlung der Gebühren grundsätzlich keine Parteiposition begründet werden kann, und selbst bei erfolgter Zahlung die geschaffene Parteiposition erst ab dem Zeitpunkt der Zahlung der Gebühr rechtswirksam wird.

15. Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein Beweissicherungsverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO und die anschließende Verletzungsklage im Hinblick auf die Anwendung von Artikel 105 (1)(a) EPÜ als zwei getrennte Verfahren zu betrachten sind. Somit ist der erste Beitritt unzulässig, da die Einsprechende 2 nicht nachweisen konnte, dass vor dem ersten Beitritt eine Klage wegen Verletzung des Patents gegen sie erhoben wurde, so dass die Voraussetzungen des Artikels 105 (1) EPÜ nicht erfüllt waren.

16. Wie bereits oben erwähnt, ist der zweite Beitritt zulässig, so dass die Einsprechende 2 die wirksame Parteiposition als Einsprechende im Beschwerdeverfahren hat. Sie ist jedoch nicht berechtigt, das Beschwerdeverfahren nach der Rücknahme der Beschwerden der Einsprechenden 1 und der Patentinhaberin selbstständig fortzusetzen (G 3/04 supra, siehe Leitsatz und Gründe Nr. 10, letzter Satz).

17. Da keinem der Beschwerdeanträge stattgegeben werden kann, muss die Beschwerde zurückgewiesen werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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