03 March 2022

T 0098/18 - Sale to automotive company

Key points

  • The alleged public prior use is the sale of 246 pieces of the component "APU ZB4418" by the company Knorr Bremse to Hyundai.
  • The Board recalls that in the automotive industry, suppliers have a secrecy obligation regarding components co-developed with customers. " Insofern entspricht es nach Auffassung der Kammer den branchenüblichen Gepflogenheiten, dass Zulieferer, die Teile für ein in der Entwicklung befindliches (End-)Produkt eines Kunden liefern, zur Geheimhaltung verpflichtet sind." 
  • It is the customer who decides when the component becomes public: " Allein der Auftraggeber des Entwicklungsprojekts als Kunde des Zulieferers, an den Teile geliefert werden, entscheidet darüber, ob, wann und wie er die unter Geheimhaltung entwickelten Teile Dritten zugänglich machen möchte (siehe dazu auch T 1847/12, Gründe 3.2). Ein vorbehaltloser Verkauf liegt erst vor, wenn der Käufer als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen ist (siehe z. B. T 1168/09, Gründe 4.2.2)." 
  • The Board finds it relevant whether the customer Hyundai had used the components in the mass production of vehicles. "Die Geheimhaltung erlischt also mit der Lieferung für eine Serienproduktion, weil ab diesem Zeitpunkt die Teile dazu bestimmt sind, in Fahrzeuge für den Verkauf eingebaut zu werden und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden (siehe T 1168/09, Gründe 4.2.3). Ab dann kann davon ausgegangen werden, dass die Teile den Bereich der gemeinsamen Entwicklungssphäre verlassen haben und die Möglichkeit der Einsichtnahme für Dritte im Sinne der von der Beschwerdeführerin angeführten Rechtsprechung bestand." 
    • The critical moment appears to be " sogenannte Serienfreigabe' :   "Eine Verwendung durch den Kunden für dessen Serienproduktion - z. B. im vorliegenden Fall bestimmte Fahrzeuge - erfolgt typischerweise erst dann, wenn durch Tests beim Kunden nachgewiesen ist, dass die gelieferten Teile "in Serienqualität" auch für die Verwendung in einem Serienprodukt auf Kundenseite geeignet sind (sogenannte Serienfreigabe)." 
  • Based on the evidence on file, the Board found the use in mass production by Hyundai not proven.
    • The case is interesting, but I'm not entirely convinced that approval for mass production, being an act completely internal to Hyundai (it seems), could trigger the prior art status.

  • EPO T 0098/18 
The link to the decision is provided after the jump, as well as (an extract of) the text of the decision.


Entscheidungsgründe

1. Öffentliche Zugänglichkeit der behaupteten Vorbenutzung

1.1 Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Offenkundigkeit hinsichtlich des Verkaufs von 246 Stück "APU ZB4418" durch die Firma KNORR-BREMSE als Beschwerdeführerin an die Firma HYUNDAI und die diesbezügliche Feststellung unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung:

"HYUNDAI kann im vorliegenden Fall nicht als Mitglied der Öffentlichkeit betrachtet werden."

Der Nachweis einer möglicherweise erfolgten Montage der "APU ZB4418" in Nutzfahrzeuge von HYUNDAI und deren Verkauf durch HYUNDAI an ihre Endkunden sei laut Beschwerdeführerin unerheblich und damit entbehrlich. Eine möglicherweise dadurch erfolgte öffentliche Zugänglichmachung der "APU ZB4418" ist somit weder behauptet noch substantiiert worden und somit nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (siehe auch Punkt 8 der angefochtenen Entscheidung).

Vorliegend ist damit nur zu entscheiden gewesen, ob eine öffentliche Zugänglichkeit der von der Beschwerdeführerin verkauften und an die Firma HYUNDAI gelieferten 246 Stück "APU ZB4418" (unstrittig nachgewiesen insbesondere durch die Anlage 3 und die Zeugeneinvernahme), die von KNORR-BREMSE gemäß den Anforderungen von HYUNDAI entwickelt wurden, als erwiesen betrachtet werden kann.

1.2 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt ein einziger Verkauf, um der Öffentlichkeit den verkauften Gegenstand im Sinne von Art. 54 (2) EPÜ zugänglich zu machen, sofern der Käufer nicht zur Geheimhaltung verpflichtet wurde. Es braucht nicht nachgewiesen werden, dass andere tatsächlich Kenntnis von diesem Gegenstand hatten, d. h es genügt allein die Möglichkeit der Kenntnisnahme zum Nachweis der Offenkundigkeit (siehe T 482/89, ABl. 1992, 646; auch z. B. T 462/91). Das eigene Personal einer Firma ist normalerweise nicht als Öffentlichkeit im Sinne des Art. 54 (2) EPÜ anzusehen (siehe z. B. T 1085/92).

1.3 Allerdings ist davon auszugehen, dass in Situationen, in denen der Empfänger von Zulieferteilen seinerseits an der Entwicklung eines Produktes arbeitet, ein vitales Interesse an der Geheimhaltung seiner eigenen Pläne für eine Serienfertigung besteht. Insofern entspricht es nach Auffassung der Kammer den branchenüblichen Gepflogenheiten, dass Zulieferer, die Teile für ein in der Entwicklung befindliches (End-)Produkt eines Kunden liefern, zur Geheimhaltung verpflichtet sind.

Diese Sichtweise der Kammer ist im Einklang mit der gängigen Rechtsprechung: Allein der Auftraggeber des Entwicklungsprojekts als Kunde des Zulieferers, an den Teile geliefert werden, entscheidet darüber, ob, wann und wie er die unter Geheimhaltung entwickelten Teile Dritten zugänglich machen möchte (siehe dazu auch T 1847/12, Gründe 3.2). Ein vorbehaltloser Verkauf liegt erst vor, wenn der Käufer als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen ist (siehe z. B. T 1168/09, Gründe 4.2.2).

1.4 Eine Geheimhaltungsvereinbarung während der Entwicklungsphase zwischen KNORR-BREMSE und HYUNDAI wurde nicht bestritten und wird durch die Aussage des einvernommenen Zeugen bestätigt (siehe Seiten 36/37 der Niederschrift über die Beweisaufnahme).

1.5 Die Beschwerdeführerin behauptet, es läge ein vorbehaltloser Verkauf vor, denn die Geräte wären bedingungslos an die Firma HYUNDAI als ein Mitglied der Öffentlichkeit verkauft worden und hätten die Macht- und Einflusssphäre der KNORR-BREMSE verlassen. So beweise die Anlage 3 eine normale Serienlieferung, da eine hohe Anzahl an Zulieferteilen (246 Stück "APU ZB4418" im Kontext von insgesamt ca. 1.500 Teilen) geliefert worden sei. Für Versuchszwecke vorgesehene Teile im Rahmen eines geheimzuhaltenden Entwicklungs­projekts wären (auch laut Anlage 5) gesondert geliefert worden. Zudem habe der Zeuge bestätigt, dass es sich nicht um Muster, sondern um eine Serienlieferung ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung gehandelt habe. Dafür spreche auch der Verweis auf "normal gelieferte" Ware gemäß den "Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen (AGB)" ohne weitere, auf eine Geheimhaltung hindeutende Hinweise auf Seite 5 der Anlage 3.

1.6 Hierzu stellt die Kammer zunächst fest, dass ein Unterschied besteht zwischen einer Serienlieferung von KNORR-BREMSE an HYUNDAI und einem Einbau der gelieferten Teile in eine Serie beim Empfänger HYUNDAI.

Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass es sich bei der Lieferung von 246 Stück "APU ZB4418" um eine Serienlieferung gehandelt hat. Dies bedeutet, dass die 246 Stück APU ZB4418 (maschinell) mit Serienwerkzeugen auf Serienproduktionsanlagen und mit einem auf eine größere Stückzahl ausgelegten Logistik-, Produktions- und Qualitätssicherungsprozess - und eben nicht als Muster in kleiner Stückzahl - hergestellt wurden. Der Zeuge hat damit die Qualität der Teile oder Geräte auf Seiten des Herstellers KNORR-BREMSE charakterisiert.

Offen bleibt, ob der Empfänger HYUNDAI diese Teile ebenfalls in eine Serie eingebaut und diese verkauft hat.

Eine Verwendung durch den Kunden für dessen Serienproduktion - z. B. im vorliegenden Fall bestimmte Fahrzeuge - erfolgt typischerweise erst dann, wenn durch Tests beim Kunden nachgewiesen ist, dass die gelieferten Teile "in Serienqualität" auch für die Verwendung in einem Serienprodukt auf Kundenseite geeignet sind (sogenannte Serienfreigabe).

Ab diesem Zeitpunkt sind die Teile für die Serienproduktion auf Kundenseite bestimmt, und es kann nach Auffassung der Kammer nach allgemeiner Lebenserfahrung kein gemeinsames Interesse an einer Geheimhaltung mehr angenommen werden (siehe auch T 1512/06, Gründe 4.2.5.a). Die Geheimhaltung erlischt also mit der Lieferung für eine Serienproduktion, "weil ab diesem Zeitpunkt die Teile dazu bestimmt sind, in Fahrzeuge für den Verkauf eingebaut zu werden und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden" (siehe T 1168/09, Gründe 4.2.3). Ab dann kann davon ausgegangen werden, dass die Teile den Bereich der gemeinsamen Entwicklungssphäre verlassen haben und die Möglichkeit der Einsichtnahme für Dritte im Sinne der von der Beschwerdeführerin angeführten Rechtsprechung bestand.

Somit stellt sich hier die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin angeführten Beweismittel einen Serieneinsatz bei HYUNDAI nachzuweisen in der Lage sind.

1.7 Für die Kammer kann die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Zeuge habe ausgesagt, dass es sich bei der Lieferung von KNORR-BREMSE an HYUNDAI um eine Serie und keine Muster gehandelt habe, nicht überzeugen, da der Zeugenaussage unzweifelhaft zu entnehmen ist (Seite 37/38 der Niederschrift), dass die Geheimhaltungsvereinbarung gelte, bis das Produkt in Serie sei und es von HYUNDAI für seine Produktion benutzt werde. Damit hat in Übereinstimmung mit der Auffassung der Kammer (siehe oben, 1.6) der Zeuge damit allenfalls den Wegfall der Geheimhaltungspflicht bekundet, sobald ein Einsatz der Teile in der Serienproduktion des Kunden erfolgte. Eine Aussage zum Einsatz in einer Serie bei HYUNDAI hat der Zeuge jedenfalls nicht gemacht.

Auch der Kontext der Lieferung kann nicht nahelegen, dass es sich bei den 246 Stück "APU ZB4418" um Teile für eine Serie bzw. den Serieneinbau bei Hyundai gehandelt haben muss, wie es die Beschwerdeführerin behauptet.

Wie Anlage 3 zeigt, finden sich in den gelieferten Positionen neben 246 Stück "APU ZB4418" (Position 120) auch Produkte, die in kleinsten Mengen geliefert wurden, z. B. 5 Stück "SENSOR_SPEED" (Position 4) oder auch 1 Stück "Air Disc Brake" (Position 30), die keinen Beleg für einen Einsatz in der Serienproduktion bei HYUNDAI darstellen. Die eidesstattliche Versicherung gemäß Anlage 5 liefert dazu auch keine weitere Erkenntnis und bestätigt lediglich die Herstellung und Lieferung von 246 Stück APU ZB4418 gemäß der Rechnung nach Anlage 3.

Schließlich können auch die Anmerkungen auf Seite 5 der Anlage 3 ("Knorr-Bremse behält sich das Eigentum an gelieferter Ware bis zur vollständigen Bezahlung vor"; "Es gelten die Allgemeinen Verkaufs- und Liefer­bedingungen (AGB) von Knorr-Bremse") im Gegensatz zu der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht belegen, dass für die gelieferte Ware in jedem Fall eine Geheimhaltung auszuschließen ist. Der Inhalt der AGB wurde in diesem Verfahren nicht kundgetan, auch weitere Absprachen zwischen den Parteien (z. B. die in der Anlage 3 erwähnte "Email by Ms JEONG") sind nicht bekannt.

1.8 Die Beschwerdeführerin hat zur Stützung ihrer Argumente frühere Entscheidungen der Beschwerdekammern angeführt:

Der Fall in T 1309/07 ist nach Auffassung der Kammer nicht gleichgelagert, wie von der Beschwerdeführerin behauptet. Dort wurde (Gründe 3.1.3) eine Lieferung von 17.520 Stück Kolben an den Kfz-Hersteller Renault festgestellt. Die mit diesem Fall befasste Kammer hatte auch die Frage zu klären (Gründe 3.2), ob keine Pflicht zur Geheimhaltung bestand, da bei einem vorbehaltlosen Verkauf der Kolben der Kfz-Hersteller Renault als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen sei. Dies wurde bejaht, da eine deutlich höhere Stückzahl von mehr als 17.000 Kolben geliefert wurde und zudem Kolben dieser Art in einem vorveröffentlichten Ersatzteilkatalog angeboten waren. Damit lag auf jeden Fall ein weiteres Beweismittel vor, um letzte Zweifel über die öffentliche Zugänglichkeit auf Seiten des Kunden auszuräumen. Vorliegend wurden abgesehen von der Rechnung (Anlage 3) über die Lieferung von 246 Stück "APU ZB4418" keine weiteren Beweismittel angeführt, die eine vergleichbare Schlussfolgerung zulassen; wie oben ausgeführt, hat sich der Zeuge zu einem Serieneinsatz bei HYUNDAI nicht geäußert. Weder wurden weitere Bestellungen oder Abrufe von Serienlieferungen nachgewiesen, die auf eine Serienproduktion von Fahrzeugen hindeuten könnten, noch wurde eine öffentliche Zugänglichkeit des Gerätes "APU ZB4418" z. B. anhand eines Katalogs oder von Angeboten an weitere Kunden plausibel gemacht.

In T 1416/10 ging es um eine Waschmaschine, wobei angenommen wurde, dass praktisch mit absoluter Gewissheit darauf geschlossen werden konnte, dass entsprechende Waschmaschinen bei Händlern zum Verkauf angeboten und damit öffentlich zugänglich waren. Dies entspricht allenfalls dem - vorliegend allerdings nicht geltend gemachten - Verkauf von Nutzfahrzeugen der Firma HYUNDAI (über Händler) an seine Endkunden. Auch in T 462/91 ging die Kammer lediglich von einem nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Käufer aus, ebenso in den von der Beschwerdeführerin zitierten T 482/89, T 953/90 und T 1464/05.

Auch der Fall in T 1510/06 ist anders gelagert, da es dort keinerlei Hinweise auf eine technische Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und Kfz-Hersteller gab. Das entwickelte Produkt lag allein in der Entwicklungshoheit des Zulieferers und wurde zudem an mehrere Kfz-Hersteller geliefert.

1.9 Die Beweisführung der Beschwerdeführerin kann damit die Zweifel der Kammer an einem vorbehaltlosen Verkauf der 246 Stück "APU ZB4418" durch die Firma KNORR-BREMSE an die Firma HYUNDAI nicht ausräumen.

Im Ergebnis sieht die Kammer damit die Feststellung der Einspruchsabteilung unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung nicht als rechtsfehlerhaft an.

Die Kammer kann in der angefochtenen Entscheidung keinen Beleg für die Aussage der Beschwerdeführerin finden, dass "eine Geheimhaltungsvereinbarung nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht vorliege". Denn unter Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung findet sich die Schlussfolgerung, dass die Geräte durch die Lieferung an HYUNDAI "in einer rein privaten Sphäre" blieben, "zu der die Öffentlichkeit keinen Zugang hatte". Damit hat die Einspruchsabteilung nach Auffassung der Kammer den Wegfall einer Verpflichtung zur Geheimhaltung gerade nicht ausschließen wollen.

2. Da der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht zum Erfolg führt, kann dahingestellt bleiben, ob - wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht - Argumente der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. November 2021 (die von der Kammer berücksichtigt wurden) verspätet vorgebracht und nicht zuzulassen sind.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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