- Before the OD, the patentee had replaced the previous requests with a new request. The OD did not admit these request, in fact did not consider them, and decided on the patentability of the earlier requests.
- This is, quite simply, a substantial procedural violation of Article 113(3) EPC, according to the Board.
- The remark of the OD, that the newly filed request were not admitted, without any debate, also provide a violation of the right to be heard.
EPO T 1104/14 - link
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1 Dispositionsbefugnis
2.1.1 Artikel 113 (2) EPÜ schreibt vor, dass sich das Europäische Patentamt bei Entscheidungen über europäische Patentanmeldungen und Patente an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat. Es ist nämlich ein Grundprinzip des Europäischen Patentrechts, dass allein der Anmelder bzw. Patentinhaber die Verantwortung für die Formulierung der Patentansprüche und die damit verbundene Antragstellung hat. Ausgehend von der in Artikel 113 (2) EPÜ zum Ausdruck kommenden Dispositionsbefugnis des Patentinhabers, hat der Patentinhaber das Recht, selbst zu entscheiden, welche Anträge er in der mündlichen Verhandlung stellt. Hierzu benötigt er keine Erlaubnis der Einspruchsabteilung. Erst nachdem der Patentinhaber seine Anträge gestellt hat, werden diese Gegenstand des Verfahrens und bilden damit die Grundlage der zu treffenden Entscheidung.
Von der eigentlichen Antragstellung zu unterscheiden, ist die Frage, ob der Antrag in der Entscheidung wegen Verspätung zurückgewiesen werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts verpflichtet Artikel 113 (2) EPÜ das Europäische Patentamt nicht, einen vom Anmelder gestellten Änderungsantrag zuzulassen (vgl. z.B. Entscheidung der Grobetaen Beschwerdekammer G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Entscheidungsgründe 2.1). Damit ist indes lediglich die zu treffende Entscheidung über die Zulassung des (gestellten) Antrags gemeint, nicht aber die Befugnis, die Antragstellung bzw. die Protokollierung oder Entgegennahme des Antrags während der mündlichen Verhandlung zu verweigern. Dies würde nämlich im Allgemeinen einen schwerwiegenden Eingriff in die dem Anmelder bzw. Patentinhaber mit Artikel 113 (2) EPÜ eingeräumte Autonomie über die Fassung des Patents (Dispositionsbefugnis) darstellen.
2.1.2 Vorliegend hat die Einspruchsabteilung die Dispositionsbefugnis des Patentinhabers missachtet, indem sie ihre Entscheidung nicht auf die Anträge gestützt hat, die der Patentinhaber ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 21. Februar 2014 tatsächlich zur Entscheidung gestellt hat.
- Es kann dahinstehen, ob der Protokollberichtigungs-antrag des Patentinhabers berechtigt war oder nicht. Selbst aus der vorliegenden, nicht-berichtigten Sitzungsniederschrift geht nämlich eindeutig hervor, dass der Patentinhaber seine bisherigen Anträge am Ende der Verhandlung nicht unverändert stellen wollte, sondern diese durch neue Anträge ersetzen hat:
Ausweislich der Sitzungsniederschrift begehrte der Patentinhaber im Verlauf der Verhandlung gegen 10:20 Uhr, einen neuen ersten sowie einen neuen zweiten Hilfsantrag (HiA1 10:20, HiA2 10:20 (Anhang 2)) einreichen zu dürfen (Protokoll Absatz 15). Der Vorsitzende nahm diese Anträge lediglich als Anhang 2 zu Protokoll und wies aber zugleich darauf hin, dass diese Anträge nicht zugelassen würden (Protokoll Absatz 16). Auf die abschließende Frage des Vorsitzenden nach den geltenden Anträgen hat der Patentinhaber dann ausweislich des Protokolls explizit "nochmals beantragt, den bestehenden Hilfsantrag durch den später eingereichten (gemäß Anhang 2) zu ersetzen" (Protokoll Absatz 22). Daraus ergibt sich eindeutig, dass der Patentinhaber seine Anträge ändern wollte und dies auch durch eine entsprechende Antragstellung verdeutlicht hat.
- Der Vorsitzende führte gleichwohl aus, dass "trotz des Fehlens einer eindeutigen Aussage des Patentinhabers, der Haupt- und der Hilfsantrag als bestätigt gelten" würden (Protokoll Absatz 23). Auch ausweislich der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung ging die Einspruchsabteilung von dem Hauptantrag MV und dem Hilfsantrag 1 vom 21. Februar 2014 (HiA1 9:10, Anhang 1) aus. Dadurch legte sie ihrer Entscheidung entgegen Artikel 113 (2) EPÜ eine andere als die vom Patentinhaber (zuletzt) gebilligte Fassung des Patents zugrunde und handelte folglich verfahrensfehlerhaft.
2.1.3 Daran ändert eine etwaige Unklarheit bei der Antragstellung nichts. Sofern aufgrund der dem Protokoll zu entnehmenden Antragstellung mit einer Formulierung im Singular ("den bestehenden Hilfsantrag durch den später eingereichten zu ersetzen"; Hervorhebung durch die Kammer) Zweifel bestanden haben sollten, welcher Antrag bzw. welche Anträge durch welchen Antrag bzw. welche Anträge ersetzt werden sollte/n, weil bereits zwei Hilfsanträge vorlagen (HiA1 9:10 und HiA2 9:10) und Anhang 2 zwei neue Hilfsanträge (HiA1 10:20 bzw. HiA2 10:20) enthielt, wäre es Aufgabe des Vorsitzenden gewesen, diesbezüglich eine Klarstellung herbeizuführen (vgl. R 14/10 vom 26. Januar 2011, Entscheidungsgründe 6.1; T 382/10 vom 13. Dezember 2011, Entscheidungsgründe 2.7; T 666/90 vom 28. Februar 1994, Entscheidungsgründe 2.1.1). Dies ist ausweislich des Protokolls indes nicht geschehen.
Unterbleibt eine solche Klarstellung trotz bestehender Notwendigkeit, so stellt auch dieses Unterlassen einen Verfahrensfehler dar (ebenso: T 740/00 vom 10. Oktober 2001, Entscheidungsgründe 4.6), weil unklar bleibt, welche Fassung des Patents der Patentinhaber zur Entscheidung stellt und dadurch Artikel 113 (2) EPÜ verletzt wird.
2.1.4 Die Einspruchsabteilung durfte keinesfalls eigenmächtig die Anträge zugrunde legen, deren Ersetzung der Patentinhaber ausdrücklich begehrt hatte. Weder aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung noch aus den Ausführungen des Patentinhabers und der Einsprechenden im Beschwerdeverfahren ergibt sich ein Anhaltspunkt für die protokollierte Annahme des Vorsitzenden, dass "der Haupt- und der Hilfsantrag als bestätigt gelten". Vielmehr ist sowohl dem (nicht berichtigten) Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als auch den Ausführungen der Einsprechenden und der schriftlichen Entscheidung der Einspruchsabteilung zu entnehmen, dass der Patentinhaber darauf bestanden hatte, neue Anträge (HiA1 10:20, HiA2 10:20) zu stellen.
2.2 Wesentlicher Verfahrensfehler
Die Zugrundelegung falscher Anträge stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, denn die Dispositionsfreiheit ist von grundlegender Bedeutung und ihre Missachtung beeinträchtigt das gesamte Verfahren (vgl. T 647/93 vom 6. April 1994, Entscheidungsgründe 2.6).
2.2.1 Dieser Verfahrensfehler wurde auch nicht dadurch geheilt, dass sich am Ende der angefochtenen Entscheidung Ausführungen finden, mit denen die Einspruchsabteilung die "Nichtzulassung" der Anträge begründet hat, denn diese Ausführungen ändern nichts daran, dass der Vorsitzende der Einspruchsabteilung sich in der mündlichen Verhandlung geweigert hat, die geänderten Anträge (HiA1 10:20, HiA2 10:20) des Patentinhabers zur Kenntnis zu nehmen und zu erörtern. Infolgedessen hat er auch den Vortrag des Patentinhabers unrechtmäßig beschränkt, was gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstößt.
Nach Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes nämlich nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör besteht auch während der mündlichen Verhandlung und erfordert, dass die entscheidende Abteilung oder Kammer die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und diese im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage berücksichtigt soweit sie sich auf die gestellten Anträge beziehen und die Verfahrensökonomie nicht entgegen steht. Vorliegend hätte die Einspruchsabteilung dem Patentinhaber daher die Möglichkeit einräumen müssen, seine gestellten Anträge (HiA1 10:20, HiA2 10:20) zu erläutern.
Darüber hinaus ist aus dem Akteninhalt ersichtlich, dass der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen Anspruch 1 des Hauptantrags MV erstmals in der mündlichen Verhandlung erhoben und diskutiert worden ist, obwohl ein Antrag mit einem entsprechend geänderten Anspruch 1 (durch Aufnahme eines Entfernungsschritts zur Entfernung von Verunreinigungen, aber ohne einen Sammelschritt), bereits lange vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden war (siehe Anspruch 1 des Hilfsantrags vom 8. Oktober 2012). Vor diesem Hintergrund hätte der in Artikel 113 (1) EPÜ verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs es in diesem Fall geboten, den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu geben und dem Patentinhaber zu ermöglichen, durch die Einreichung und Erläuterung geänderter Anträge auf den neuen Einwand zu reagieren. Eine Erörterung der vom Patentinhaber gestellten geänderten Anträge hätte daher vor der von der Einspruchsabteilung getroffenen Entscheidung über deren Zulassung in das Verfahren erfolgen müssen.
2.3 Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Wegen der festgestellten wesentlichen Verfahrensmängel ist der Beschwerde stattzugeben und es entspricht der Billigkeit, die Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ zurückzuzahlen.
2.4 Zulassung der Anträge mit geänderten Anspruchssätzen in das Verfahren
2.4.1 Im Hinblick auf den fehlerhaften Verfahrensablauf im Einspruchsverfahren hat die Kammer im Rahmen des ihr nach Artikel 13 (1) VOBK zustehenden Ermessens zudem entschieden, die neuen, mit Schriftsatz vom 16. April 2015 eingereichten Anträge des Patentinhabers, die sich auf Verfahrensansprüche beschränken, in das Verfahren zuzulassen.
2.4.2 Aufgrund des verfahrensfehlerhaften Ablaufs der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ist eine Erörterung der vorgenommenen Änderungen im Einspruchsverfahren vereitelt worden und dadurch in das Beschwerdeverfahren verlagert worden.
3. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Das Verfahren ist auf Grundlage dieser in das Verfahren zugelassenen Anträge fortzuführen. Da eine Erörterung und Prüfung der geänderten Ansprüche auf formale und materielle Erfordernisse hin bislang nicht erfolgt ist, wird das Verfahren zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen (Artikel 111 EPÜ, Artikel 11 VOBK).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen
zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens auf der Grundlage der Verfahrensansprüche gemäß den mit Schreiben vom 16. April 2015 eingereichten Anträgen (Hauptantrag, Hilfsanträge 1-3).
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
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