18 June 2020

T 1928/17 - All independent claims

Key points

  • In this examination appeal, the set of claims that was refused has three independent claims 1, 2 and 3 each for a composition, and each with a  different characterizing feature (i.e. claim 1 has feature X, claim 2 has feature Y, claim 3 has feature Z).
  • The ED refused the application, explaining that claims 1 and 2 were not novel. The Board surprisingly sees a substantial procedural violation in the ED not commenting on claim 3.
  • The refusal decision was based on the lack of novelty of independent claim 3 wheres the earlier novelty objections of the ED concerned the independent claims 1 and 2 only. Hence, the ED had not complied with the right to be heard of Art. 113 EPC. [see also the comments]
  • " Was die Schlussfolgerung "Deshalb sind die Ansprüche 1-29 nicht neu" anbelangt, bleibt diese - zumindest im Hinblick auf die Ansprüche 3 bis 29 - völlig unbegründet, weil keines der technischen Merkmale, die die Ansprüche 3 bis 29 kennzeichnen, berücksichtigt word."
  • “Durch die ausschließliche Bezugnahme auf die technischen Merkmale X und Y, die die Ansprüche 1 und 2 charakterisieren, erweckt daher die Prüfungsabteilung in der Mitteilung den Eindruck, dass lediglich die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes bestritten wird, der auf einer durch die Merkmale X und Y charakterisierten Tanninfraktion beruht.”
  • As far as I know, one claim being not novel is enough to make the entire set of claims unallowable. But this Board apparently sees it differently.
  • This decision is also interesting for the in my experience quite common case that the search report only deals in substance with claim 1 and then merely asserts that the features of the other claims do not provide for inventive step. 




EPO  T 1928/17 

Entscheidungsgründe


1. Verletzung des rechtlichen Gehörs und unzureichende Begründung

1.1 Gemäß Artikel 113(1) EPÜ dürfen Entscheidungen nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dies bedeutet insbesondere, dass ein Beteiligter in der Entscheidungsbegründung nicht durch bisher unbekannte Gründe überrascht werden darf.

1.2 Es ist zu entscheiden, ob der Beschwerdeführerin zuvor die Gelegenheit gegeben wurde, sich mit den Gründen, auf die sich die Entscheidung stützt, auseinander zu setzen. Dies setzt voraus, dass der Beschwerdeführerin die Gründe vorab mitgeteilt worden waren.

1.3 In den unabhängigen Ansprüchen des Anspruchssatzes, welcher der Mitteilung nach Artikel 94(3) und der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt, finden sich drei kennzeichnende Merkmale, die die Tanninfraktion näher charakterisieren:

- Merkmal X: ein bestimmtes Zahlenmittel des Molekulargewichts von mindestens 1000g/mol

- Merkmal Y: ein bestimmtes Gewichtsmittel des Molekulargewichts von mindestens 1000g/mol

- Merkmal Z: das Vorhandensein von hydrolysierbarem Gallotannin in der Tanninfraktion.

1.4 Ansprüche 1, 2 und 3 sind jeweils durch die Merkmale X, Y und Z charakterisiert. Anspruch 18 umfasst drei alternative Ausführungsformen, die jeweils durch eines der Merkmale X, Y oder Z gekennzeichnet sind.


1.5 Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, sind die Ausführungen in der Mitteilung nach Artikel 94(3) EPÜ (siehe oben Punkt V.) so zu verstehen, dass die Prüfungsabteilung den Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 durch D4 neuheitsschädlich vorweggenommen sah, da D4 implizit eine Tanninfraktion mit den Merkmalen X und Y offenbare. Hinsichtlich der Offenbarung des Merkmals Z, (hydrolysierbares Gallotannin), das den Anspruch 3 und andere Ansprüche charakterisiert, führt die Prüfungsabteilung in dieser Mitteilung nichts aus. Weder wird dieses technische Merkmal erwähnt, noch wird ein Argument vorgebracht, warum die im in D4 offenbarten Oolong-Tee enthaltenen Verbindungen den in Anspruch 3 erwähnten hydrolysierbaren Gallotanninen zuzuordnen wären.

1.6 Was die Schlussfolgerung "Deshalb sind die Ansprüche 1-29 nicht neu" anbelangt, bleibt diese - zumindest im Hinblick auf die Ansprüche 3 bis 29 - völlig unbegründet, weil keines der technischen Merkmale, die die Ansprüche 3 bis 29 kennzeichnen, berücksichtigt wird.

1.7 Durch die ausschließliche Bezugnahme auf die technischen Merkmale X und Y, die die Ansprüche 1 und 2 charakterisieren, erweckt daher die Prüfungsabteilung in der Mitteilung den Eindruck, dass lediglich die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes bestritten wird, der auf einer durch die Merkmale X und Y charakterisierten Tanninfraktion beruht.

1.8 Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme, die Prüfungsabteilung vertrete die Ansicht, D4 offenbare Zusammensetzungen, die hydrolysierbare Gallotannine enthalten. Aus diesen Gründen musste die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen, dass die Anmeldung wegen mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 sowie desjenigen der anderen Ansprüche, die durch das Merkmal Z gekennzeichnet sind, zurückgewiesen würde. Dieser Schlussfolgerung steht auch nicht entgegen, wie dies in der angefochtenen Entscheidung angeführt wird, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung nach Artikel 94(3) EPÜ auf das in Anspruch 1 genannte Merkmal des Molekulargewichts abgestellt hatte, welches nicht in Anspruch 3 genannt ist.

1.9 Darüber hinaus ist die Entscheidung nicht ausreichend begründet, da nicht ausgeführt wird, warum die in Oolong Tee angeblich enthaltene Tanninfraktion ein hydrolysierbares Gallotannin nach Anspruch 3 beinhaltet. Die Frage, ob die in D5 aufgelisteten Catechine, die angeblich in den in D4 angegebenen Zusammensetzungen enthalten sind, als "hydrolisierbare Gallotannine" betrachtet werden können, wird in der Entscheidung nicht erörtert.

1.10 Außerdem wird keines der zusätzlichen technischen Merkmale berücksichtigt, die die übrigen als nicht neu betrachteten Ansprüche charakterisieren. So wird in der Entscheidung beispielsweise nicht festgestellt, ob und wo ein Verfahren offenbart wird, bei dem ein wasserabsorbierendes Polymergebilde mit mindestens einer Tanninfraktion in Kontakt gebracht wird, welche hydrolysierbares Gallotannin beinhaltet und wobei die mindestens eine Tanninfraktion in einer Menge von 0.001 bis 10 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht aus wasserabsorbierenden Polymergebilden eingesetzt wird.

1.11 Aus diesen Gründen teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung unter Verletzung des Gebots der Wahrung rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113(1) EPÜ ergangen ist und somit mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist. Darüber hinaus ist die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet. In diesem Verstoß gegen Regel 111 (2) EPÜ liegt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel.| |

1.12 Diese Verfahrensmängel stellen einen besonderen Grund im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 dar. Daher ist es gerechtfertigt, die Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, damit diese die Anmeldung auf der Grundlage des Antrags, der der Entscheidung zugrunde liegt, erneut prüft.

1.13 Da die Beschwerdeführerin angesichts der obengenannten Verfahrensfehler verpflichtet war, eine Beschwerde einzulegen und die entsprechende Beschwerdegebühr zu entrichten, entspricht es auch der Billigkeit, dass diese Gebühr rückerstattet wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

2 comments:

  1. Very interesting decision. Thank you for posting this. Regarding your comment "As far as I know, one claim being not novel is enough to make the entire set of claims unallowable. But this Board apparently sees it differently": The Board seems to take issue with the fact that the decision is *entirely* based on non-novelty of claim 3. This objection was not mentioned earlier, in particular not in the A94(3) communication. The other objections (non-novelty of claims 1 and 2) are only made in the A94(3) communication and not re-iterated in the decision. The applicant therefore had no opportunity to comment on the objection on which the decision is based (i.e., on non-novelty of claim 3). This is what the Board considers an infringement of the right to be heard. Correctly, I find.

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  2. Thanks, Peter, for the Post and thanks, MST, for the shrewd comment which, for me, explains the whole thing very clearly and concisely.

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