2 June 2020

T 1845/16 - Reformatio in peius and clarity

Key points
  • In this opposition appeal, only the opponent appeals against the decision to maintain the patent in amended form. The opponent raises as new issue that the claims as held allowable are not clear because of the added features. The Board agrees: the claims at issue are unclear. The patentee then submits amended claim deleting the unclear terms at issue from the claims. Art. 123(2) and (3) are complied with.
  • The opponent argues that the amendment violates the prohibition of reformatio in peius. The Board notes that the exceptions of G 1/99 concern amendments that are unallowable because of Art. 123(2), whereas in the present case the new objection in appeal is based on Art. 84. 
  • “Da sich die Entscheidung [G 1/99 ] ausdrücklich auf den Fall unzulässiger Änderungen im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ bezieht, ist sie für den vorliegenden Fall, bei dem das Patent als Folge eines Klarheitsmangels zu widerrufen wäre, nicht unmittelbar anwendbar.”
  • “Allerdings sind [...] dieselben Billigkeitsbetrachtungen, die zur Entscheidung G 1/99 geführt haben, auch über den Fall unzulässiger Änderungen hinaus anwendbar.”
  • The exceptions of G 1/99 are to be applied by analogy in the present case. In particular, the amendments are only allowable if there are no other amendments possible to resolve the clarity issue while affecting the opponent less.
  • “Somit ist im vorliegenden Fall eine Übertragung der in der G 1/99 getroffenen Ausnahmeregelung vom Verbot einer reformatio in peius angebracht. Unter Nr. 15 der Entscheidungsgründe mahnt die G 1/99 an, eine solche Ausnahmeregelung vom ansonsten verbindlichen Grundsatz des Verschlechterungsverbots aus Billigkeitserwägungen zwar zuzulassen, aber eng auszulegen. Sie fordert, dass die Streichung eines unzulässigen Merkmals nur dann vorgenommen werden darf, wenn es keine andere Möglichkeit der Änderung gibt, die die Einsprechende weniger schlechter stellt. Im vorliegenden Fall vermag die Kammer keine solche Möglichkeit zu erkennen und auch von der Beschwerdeführerin wurde diesbezüglich nichts vorgetragen. 
  • Folglich rechtfertigen im vorliegenden Fall die Änderungen in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 eine Ausnahme vom Grundsatz des Verschlechterungsverbots und es ist der Patentinhaberin somit gestattet, die Klarheitsmängel des Hauptantrags wie im Hilfsantrag 1 beantragt auszuräumen.”




EPO T 1845/16 -  link


Der Schutzbereich der Ansprüche ist zudem gegenüber dem erteilten Patent eingeschränkt, so dass auch die Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ erfüllt sind.

2.3 Verschlechterungsverbot

2.3.1 Die aus dem Anspruch gestrichenen Begriffe "hohe" und "fest" besitzen, auch wenn sie nicht deutlich sind, im Kontext des Streitpatents eine technische Bedeutung. Die Streichung dieser Ausdrücke hebt deren Einschränkung auf und stellt daher eine Verbreiterung des Gegenstands und Schutzbereichs von Anspruch 1 gegenüber der Fassung dar, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, wodurch die Einsprechende und alleinige Beschwerdeführerin schlechter gestellt wird, als wenn sie keine Beschwerde eingelegt hätte.

2.3.2 Grundsätzlich ist ein solchermaßen geänderter Anspruch daher zurückzuweisen, weil er gegen das in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern etablierte Verschlechterungsverbot verstößt (vgl. G 9/92, ABl. EPA 1994, 875).

2.3.3 Von diesem Grundsatz kann nach der Entscheidung G 1/99 (ABl. EPA 2001, 381, Entscheidungsformel) "jedoch ausnahmsweise abgewichen werden, um einen im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwand auszuräumen, wenn andernfalls das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent als unmittelbare Folge einer unzulässigen Änderung, die die Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung für gewährbar erachtet hatte, widerrufen werden müsste" (Hervorhebung durch die Kammer). Da sich die Entscheidung ausdrücklich auf den Fall unzulässiger Änderungen im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ bezieht, ist sie für den vorliegenden Fall, bei dem das Patent als Folge eines Klarheitsmangels zu widerrufen wäre, nicht unmittelbar anwendbar.

2.3.4 Allerdings sind in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (9. Auflage 2019, V.A.3.1.6 und 3.1.8; T 1843/09, ABl. EPA 2013, 508, Leitsatz, zweiter Absatz) dieselben Billigkeitsbetrachtungen, die zur Entscheidung G 1/99 geführt haben, auch über den Fall unzulässiger Änderungen hinaus anwendbar.

Insbesondere wäre es generell, wie unter Nr. 12 der Entscheidungsgründe der G 1/99 ausgeführt, unbillig, "dem Einsprechenden/Beschwerdeführer oder der Kammer [im Beschwerdeverfahren] neue Angriffe zu erlauben, während man dem Patentinhaber/Beschwerdegegner eine Verteidigungsmöglichkeit vorenthält". Zwar ist der Patentinhaber gemäß der Entscheidung G 9/92 "primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung für gewährbar erachtet hatte", doch "insbesondere wenn der Aufrechterhaltung des Patents Gründe entgegenstehen, die in der ersten Instanz nicht vorgebracht wurden, verdient der nicht beschwerdeführende Patentinhaber aus Gründen der Billigkeit Schutz" (G 1/99, Entscheidungsgründe, Nr. 12). Diese Erwägungen gelten in allgemeiner Weise und sind nicht auf den Fall einer unzulässigen Änderung begrenzt.

Den Entscheidungsgründen der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Entscheidung sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung im Einspruch ist zu entnehmen, dass gegenüber dem erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag, der der Zwischenentscheidung zugrunde lag, keine Einwände unter Artikel 84 EPÜ erhoben, und dessen Erfordernisse nicht überprüft wurden. Da die Patentinhaberin daher erst mit der Beschwerdebegründung auf mögliche Probleme mit den Begriffen "hoch" und "fest" aufmerksam gemacht wurde, liegt im vorliegenden Fall eine mit der G 1/99 vergleichbare Situation vor.

2.3.5 Somit ist im vorliegenden Fall eine Übertragung der in der G 1/99 getroffenen Ausnahmeregelung vom Verbot einer reformatio in peius angebracht.

2.3.6 Unter Nr. 15 der Entscheidungsgründe mahnt die G 1/99 an, eine solche Ausnahmeregelung vom ansonsten verbindlichen Grundsatz des Verschlechterungsverbots aus Billigkeitserwägungen zwar zuzulassen, aber eng auszulegen. Sie fordert, dass die Streichung eines unzulässigen Merkmals nur dann vorgenommen werden darf, wenn es keine andere Möglichkeit der Änderung gibt, die die Einsprechende weniger schlechter stellt. Im vorliegenden Fall vermag die Kammer keine solche Möglichkeit zu erkennen und auch von der Beschwerdeführerin wurde diesbezüglich nichts vorgetragen.

2.3.7 Folglich rechtfertigen im vorliegenden Fall die Änderungen in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 eine Ausnahme vom Grundsatz des Verschlechterungsverbots und es ist der Patentinhaberin somit gestattet, die Klarheitsmängel des Hauptantrags wie im Hilfsantrag 1 beantragt auszuräumen.

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