15 September 2015

T 0467/13 - Broader claims in appeal II

EPO T 0467/13

For the decision, click here (online on date 07.07)

Key points
  • See also T 1682/13 , published online on the same date, of another Board.
  • Before the OD, the main request was amended compared to the claims as granted. In appeal, the patentee request that the patent is maintained as granted. 
  • The Board first notes that considers the assertion of the patentee, that the OD had refused to decide on the patent as granted, to be not proven, because such refusal was noted in the minutes. The patentee had not requested correction of the minutes.
  • Admitting such request is at the discretion of the Board, according to established case law. 
  • The Board does not admit the request, one of the reasons being that the patentee had not explained why the claims of the patent as granted were patentable. 


Sachverhalt und Anträge
I. Gegen den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 397 391, europäische Anmeldung Nr. 02735345.7 (basiert auf der internationalen Anmeldung PCT/EP02/05073, veröffentlicht als WO 02/90391) wurde Beschwerde eingelegt.
[...]
IV. Die angefochtene Entscheidung erfolgte somit auf Grundlage eines gegenüber dem erteilten Patent geänderten Hauptantrags sowie eines ebenfalls geänderten Hilfsantrags. Der Hauptantrag verstieß gegen die Erfordernisse von Art. 84 (insbesondere im Hinblick auf "pasteuse Masse") und Art. 123(2) EPÜ, der Hilfsantrag gegen Art. 123(2) EPÜ.
V. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin Beschwerde ein. In der Beschwerdeschrift wurde beantragt, den Einspruch als unbegründet zurückzuweisen. Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurden jedoch ein geänderter Anspruchssatz als Hauptantrag sowie zwei geänderte Anspruchssätze als 1. und 2. Hilfsantrag eingereicht. In dem Anspruch 1 des Haupt- sowie des ersten Hilfsantrags war der Ausdruck "pasteuse Masse" weiter anwesend.



Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Im Betreff der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung wurden die Namen der beiden Parteien sowie die Nummer des Patents angegeben. Ferner wurde in der Beschwerdeschrift explizit gesagt, die Beschwerde erfolge "Namens und in Vollmacht der Patentinhaberin" sowie gegen die Entscheidung über den Widerruf des Patents, welche nochmals explizit genannt wurde.
Die Identität der Patentinhaberin geht aus der Nennung des Streitpatents im "Betreff" der Briefe, sowie aus der Angabe des Datums der Entscheidung in der Beschwerdeschrift hervor.
Aufgrund dieser Angaben war der Beschwerdeschrift sowie der Beschwerdebegründung eindeutig und unmissverständlich zu entnehmen, dass es Absicht war, Beschwerde im Namen der Patentinhaberin - List AG -gegen die Widerrufsentscheidung einzulegen.
Nach G1/12 (insbes. Nr. 28-31 der Gründe) kommt es auf die ,,true intention of the appellant on the basis of the information in the appeal or otherwise on file" an, wobei der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ("free evaluation of evidence") gilt. Aufgrund der vorliegenden Informationen gibt es kein Indiz dafür, dass irgendwas anderes beabsichtigt war, als die Beschwerde im Namen der List AG als Patentinhaberin einzulegen.
Die zusätzliche Angabe in den beiden Schreiben von "Vertretung von List Holding AG" wurde in der Antwort der Beschwerdeführerin - Schreiben nebst Anlagen - auf die Mitteilung der Kammer (siehe Abschnitte VI oben) auf plausible Art und Weise dadurch erklärt, dass die List Holding AG die Verantwortung für die Patente der List AG übernommen hatte mit der Folge, dass in dem EDV System bezüglich der Vertretung der Name "List AG" durch den Namen "List Holding AG" - versehentlich - ersetzt wurde.
Die Kammer kommt somit zur Schlussfolgerung, dass die Beschwerde zulässig ist.
2. Hauptantrag - Zulässigkeit
2.1 Die Entscheidung der Einspruchsabteilung erfolgte auf Grundlage gegenüber dem Patent geänderter Ansprüche. Die Ansprüche in der erteilten Fassung waren demnach nicht Gegenstand der Entscheidung (siehe Abschnitte III und IV, oben).
2.2 Die Beschwerdeführerin hatte vor der Kammer ausgeführt, die Einspruchsabteilung hätte es abgelehnt, die Ansprüche in der erteilten Fassung zu behandeln. Hierfür gibt es jedoch keine Beweise. Weder der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung noch der schriftlichen Entscheidung ist ein Hinweise zu entnehmen, dass ein Antrag der Patentinhaberin, die Ansprüche gemäß der erteilten Fassung wieder in das Verfahren aufzunehmen oder zu behandeln, gestellt wurde.
Falls ein Verfahrensbeteiligter der Auffassung ist, dass die Niederschrift der mündlichen Verhandlung unvollständig ist, weil wesentliche Ausführungen nicht festgehalten wurden, besteht die Möglichkeit, eine Berichtigung zu beantragen (T 642/97, Entscheidungsgründe 9.3 mit Verweis auf T 231/99). Im vorliegenden Fall erfolgte jedoch kein Berichtigungsantrag. Es wurde auch in der Beschwerdebegründung nicht vorgetragen, dass die Niederschrift wesentliche Ausführungen der Patentinhaberin nicht enthalte.
Unter diesen Umständen ist die erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer diesbezüglich vorgebrachte Einwand der Beschwerdeführerin, dass die Einspruchsabteilung es abgelehnt hätte, die Ansprüche gemäß dem erteilten Patent zu behandeln, nicht nachvollziehbar.


2.3 Gemäß der Beschwerdeschrift sollte der Einspruch zurückgewiesen werden, was gleichbedeutend ist mit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Im Widerspruch hierzu wurden zusammen mit der Beschwerdebegründung ausschließlich Ansprüche eingereicht und verteidigt, die gegenüber dem erteilten Patent geändert waren. Nachdem die Kammer schriftlich auf diese Unstimmigkeit aufmerksam gemacht hatte, wurde seitens der Beschwerdeführerin klargestellt, dass weiterhin die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung beantragt werde.
2.4 Gemäß der Rechtsprechung gibt es kein Recht eines Patentinhabers zur erteilten Fassung zurückkehren zu dürfen, wenn diese nicht Gegenstand der Entscheidung der Einspruchsabteilung war.
Die Rechtsprechung bezüglich Wiederaufnahme zurückgenommener (breiterer) Anträge, die aus dem Zeitraum vor 2003 stammt - wie unter anderen die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 155/88 - ist nach neuerer Rechtsprechung im Lichte von Art. 12(4) VOBK (vormals Art. 10(b) VOBK) auszulegen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Ausgabe (2013) Abschnitt IV.E.4.5.1).
Was die Wiedereinreichung im Einspruchsverfahren zurückgenommener Anträge betrifft, wie in diesem Fall der zwischenzeitlich zurückgenommene, wieder eingereichte und dann wieder zurückgenommene Hauptantrag [...], kann die Patentinhaberin somit nicht ohne weiteres zur erteilten Fassung zurückzukehren, wenn diese nicht Gegenstand der Entscheidung war (ibid. 4.3.2(c)). Vielmehr liegt die Zulassung eines solchen Antrags im Ermessen der Kammer (T 361/08 Entscheidungsgründe 14; sowie mit Bezug darauf T 2599/11 Entscheidungsgründe 2.4.1). Bei Ausübung des Ermessens ist nach der Rechtsprechung auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (T 23/10, T 1525/10).
2.5 Die Patentinhaberin hat - wie die Abfolge der Antragstellung im Einspruchsverfahren ausweislich der Sachverhaltsdarstellung in der angefochtenen Entscheidung zeigt - offensichtlich ganz bewusst die erteilte Fassung des Patents nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemacht (vgl. Abschnitt III, oben).

Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründung, die gemäß Art. 12(2) VOBK die Grundlage des Beschwerdeverfahrens bilden, waren im Hinblick auf die Anträge widersprüchlich (siehe 2.3, oben). Aus Art. 12(2) VOBK geht jedoch hervor, dass es die Beschwerdebegründung ist, die den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdeführerin zu enthalten hat. Der Sachvortrag in der Beschwerdebegründung war im Hinblick auf die Anträge klar, denn es wurden ausschließlich geänderte Anspruchssätze eingereicht und verteidigt.
2.6 Die Kammer hat in ihrer Mitteilung auf die Unstimmigkeit zwischen Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung hingewiesen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch erst nach fast einem Monat, und weit weniger als einen Monat vor der mündlichen Verhandlung hierauf reagiert und die Anträge "klargestellt".
Die Beschwerdeführerin hat weder in der Beschwerdebegründung, noch im Schreiben vom 1. Juni 2015 angegeben, warum dieser Hauptantrag die Erfordernisse - zumindest die der in der Entscheidung abgehandelten Bestimmungen - des EPÜ erfüllen würde. Die Beschwerdegegnerin hat dadurch zu diesem Antrag nicht Stellung nehmen können.
2.7 Gemäß Art. 13(1) VOBK liegt die Zulassung von Änderungen des Vorbringens einer Partei nach Einreichung der Beschwerdebegründung im Ermessen der Kammer. Ferner sind gemäß Art. 13(3) VOBK Änderungen, die nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, nicht zuzulassen wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung in der mündlichen Verhandlung nicht zumutbar ist.
Der jetzige Hauptantrag hätte im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (und wurde es zeitweilig in der Tat - siehe Abschnitt III, oben). Erschwerend kommt hinzu, dass die Einreichung des Hauptantrags während des Beschwerdeverfahrens verspätet erfolgte.
In Anbetracht dieser Tatsachen entscheidet die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Art. 12(4) und 13(3) VOBK, den Hauptantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.
Ferner würde die Zulassung des Hauptantrags zur Folge haben, dass die Angelegenheit sofort an die erste Instanz zurückzuverweisen wäre, wodurch den Erfordernissen des Art. 13(1) VOBK nicht entsprochen würde. Somit ist auch aus diesem Grund der Hauptantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.

3. Als "Hilfsantrag 2" eingereichter Anspruchssatz
3.1 Zulässigkeit
Der als "Hilfsantrag 2" eingereichte Anspruchssatz wurde mit Schreiben vom 1. Juni 2015 und somit nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereicht. Der Antrag gilt somit als verspätet (Art. 13(1) und (3) VOBK). Die Zulassung solcher Anträge liegt im Ermessen der Kammer. Nach der Rechtsprechung (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammer des EPA, 7. Ausgabe Abschnitt IV.E.4.4.2) werden verspätet eingereichte Anträge als unzulässig abgelehnt, wenn diese nicht prima facie auf einen gewährbaren Gegenstand gerichtet sind. Insbesondere soll der Gegenstand des neuen Anspruchs so klar und einfach sein, dass er ohne Weiteres verständlich und gewährbar ist.
3.2 Art. 84 EPÜ
Anspruch 1 enthält das Merkmal, dass "die viskose Masse...gefördert wird". Der Begriff "viskose" ist im Anspruch nicht weiter definiert. Eine Definition hiervon ist auch dem Patent nicht zu entnehmen. Dieser Begriff wurde eingeführt, um einen Einwand unter Art. 84 EPÜ im Hinblick auf "pasteus" auszuräumen (siehe Abschnitt X.(c), oben). Es wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass "viskos" ein relativer bzw. qualitativer Begriff ist. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass der Begriff "viskos" eine Viskosität bezeichne, bei der das dazu gegebene Lösungsmittel verdampft, eignet sich nicht, um die inhärente Unklarheit dieses Begriffes auszuräumen bzw. den Begriff wie er im Anspruch verwendet wird, klarzustellen. Die Verdampfung des Lösungsmittels wird vielmehr von der Temperatur bzw. dem Druck gesteuert, nicht jedoch von der Viskosität der Masse. Auch das Argument, dass "viskos" ein Zustand bedeuten soll, bei dem in der Masse anwesendes Lösungsmittel nicht mehr entweichen kann, kann die Bedeutung von "viskos" nicht klarstellen. Ob ein Lösungsmittel aus einer Masse entweichen kann, hängt ebenfalls nicht allein von der Viskosität der Masse ab, sondern von Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Druck und der Art und Weise, wie die Masse behandelt wird. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Viskosität während des Verfahrens zum größten Teil von der Temperatur gesteuert wird, scheint wesentliche Aspekte, wie der Reaktionsverlauf (Polymerisation), welcher einen bedeutenden Einfluss insbesondere auf die Viskosität hat, außer Acht zu lassen.
Auch ist der Zeitpunkt der Lösungsmittelzugabe nicht klar definiert. So gewährleistet die Formulierung "wenn die Viskosität wesentlich höher ist" keine klare Definition bzw. Abgrenzung des Verfahrens.
Diese Unklarheiten haben - jede für sich allein und erst recht in der Summe - zur Folge, dass der Fachmann keine Möglichkeit hat, festzustellen, ob ein Verfahren in den "verbotenen" Bereich des Anspruchs fällt.
Der als "Hilfsantrag 2" bezeichnete Anspruchssatz ist aufgrund dieser Klarheitsmängel somit prima facie nicht eindeutig gewährbar im Hinblick auf Art. 84 EPÜ.
3.3 Der als "Hilfsantrag 2" bezeichnete Anspruchssatz wird deshalb nicht zum Verfahren zugelassen.
4. Als "Hilfsantrag 3" bezeichneter Anspruchssatz
Der als "Hilfsantrag 3" bezeichnete Anspruchssatz enthält ebenfalls die Merkmale "viskose Masse" sowie "wesentlich höher" und ist aus denselben Gründen wie Hilfsantrag 2 nicht eindeutig gewährbar.
Somit wird der als "Hilfsantrag 3" bezeichnete Anspruchssatz nicht in das Verfahren zugelassen.
5. Somit ist keiner der von der Beschwerdeführerin gestellten Anträge in das Verfahren zuzulassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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