28 December 2020

T 1217/17 - Don't focus in your appeal reply brief

 Key points

  • In this opposition appeal, the Board reverses the finding of the OD and concludes that claim 1 is not obvious starting from brochure D5. The opponent then wishes to present new inventive step attacks during the oral proceedings. The admissibility is discussed for more than one hour (point 7) and none of the attacks is admitted.
  • The inventive step attacks based on D1-D4 and D6 as well as D1+D5 are not admitted because the opponent as respondent had merely referred to the submissions in the first instance proceedings in its Appeal Reply Brief (note, the patent was revoked by the OD). Moreover, the first instance submissions lacked detailed reasoning on this point. 
    • "Damit überließ die Beschwerdegegnerin es ganz der Kammer und der Beschwerdeführerin herauszufinden, inwiefern und aus welchen Gründen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 im Hinblick auf den technischen Inhalt dieser Entgegenhaltungen in Frage gestellt werden soll. Im Einklang mit ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, vertritt die Kammer die Auffassung, dass sich ein Beteiligter nicht darauf beschränken kann, ein Konvolut von Dokumenten vorzulegen ohne substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen durch welche konkreten Passagen oder Figuren dieser Dokumente belegt werden sollen."
  • Opponent's argument that no detailed inventive step arguments regarding these further attacks were necessary because the OD had revoked the patent based on D5, does not convince the Board. Article 12(2) RPBA 2007 requires substantiation of all inventive step attacks to be possibly ('ggf.' in the German text) made in the appeal proceedings, already in the Appeal Reply  Brief (in case of the opponent as respondent, I add) (see also r.6.7 and 6.8 of the decision).
  • The attacks based on prior use P3 and P4 are not admitted as lacking substantiation.
  • Apparently, the opponent announced a speech on these inventive step attacks during the oral proceedings, and this speech was not admitted (as I understand it, before the speech was given). Opponent protested that the speech did not involve new submissions but only the elaboration of arguments based on documents already in the file.
    • "Die [opponent] argumentiert zum einen, dass es sich bei dem angekündigten Vortrag um kein neues Beschwerdevorbringen im Sinne des Artikels 13(1) VOBK 2020 handele, sondern um eine in jeder Phase des Beschwerdeverfahrens zulässige Weiterentwicklung von in der Beschwerdeerwiderung bereits erwähnten Argumenten, die sich auf im Verfahren befindliche Entgegenhaltungen stützen."
  • About why the announced speech would involve new facts: "Die Kammer vertritt die Auffassung, dass es sich bei den angekündigten, vorzutragenden Ausführungen nicht lediglich um neuen "Argumente" handelt, sonder auch um neue relevante "Tatsachen", wie z.B. die in der Beschwerdeerwiderung fehlende Merkmalanalyse, sowie die Angabe der konkreten Passagen in den oben genannten Beweismittel, die die von der Beschwerdegegnerin als bekannt betrachteten Merkmale des Anspruchs 1 vorwegnehmen."



EPO T 1217/17 




3.4 Ausgehend von der Vorrichtung der Broschüre D5 und im Hinblick auf die oben genannten, zusätzlichen unterscheidenden Merkmale, stimmt die Kammer grundsätzlich der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung ausgeführten Aufgabestellung zu, nämlich:

den gleichzeitigen und gleichmäßigen Auftrag von Aromastoffen auf mehreren Tabaksträngen einer Mehrstrangzigarettenmaschine zu gewährleisten.

3.5 In Abweichung von der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass die im Anspruch 1 zur Lösung der oben genannten Aufgabe vorgeschlagene Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht.

Selbst wenn, im Einklang mit der Begründung der Einspruchsabteilung, eine Vervielfachung des bekannten Dosiersystems zum Zweck eines gleichzeitigen Auftrags von Aromastoffen auf mehreren Tabaksträngen als eine naheliegende Weiterbildung der bekannten einsträngigen Vorrichtung angesehen werden könnte, besteht für den Fachmann keine Anregung, die außerhalb des Regelkreises angeordnete, ungeregelte Konstantpumpe der Vorrichtung der D5 durch eine Verstellpumpe zu ersetzen, die Teil des Dosiersystems ist. Eine solche Modifizierung würde außerdem komplexe Anpassungen der Steuerungseinrichtung sowie ein Verzichten auf die regelbare Drosselanordnung voraussetzen, was jeweils nicht als naheliegend angesehen werden kann. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin, die im Wesentlichen auf der sich vom technischen Inhalt der Broschüre D5 unterscheidenden, mehrstrangigen Ausführung der Dosiersysteme basiert und ergänzend darauf verweist, dass die Auswahl eine Verstellpumpe anstatt einer Konstantpumpe für den Fachmann naheliegend sei, ist somit nicht überzeugend.

Weitere Angrifflinien unter Artikel 56 EPÜ basierend auf D1 in Kombination mit D5, D1-D4, D6 sowie auf P3 und P4 - Vortrag in der Beschwerdeerwiderung

4. Im Laufe der mündliche Verhandlung kündigte die Beschwerdegegnerin an, dass sie, als Reaktion auf die oben ausgeführte Schlussfolgerung der Kammer, weitere Angrifflinien basierend auf den Dokumenten D1-D4 und D6, insbesondere auf der Kombination von D1 mit D5, sowie auf den offenkundigen Vorbenutzungen P3 und P4 vortragen wolle. Die Beschwerdeführerin trat der Berücksichtigung eines auf diesen Angrifflinien basierenden Vortrags entgegen mit der Begründung, dass sie in der Beschwerdeerwiderung entweder nicht ausreichend oder gar nicht substantiiert sind.


Argumentationslinien basierend auf D1-D4 und D6 sowie auf der Kombination von D1 mit D5

4.1 Die Kammer stellt fest, dass diese Argumentationslinien in der Beschwerdeerwiderung lediglich mit einem bloßen Verweis auf die eigene Argumentation zum Einspruchsgrund des Artikel 100(a) EPÜ im vorangehenden, schriftlichen Einspruchsverfahren erwähnt worden sind. Nähere Angaben dazu, welcher Teil des bisherigen Vortrags zur Stützung welcher Angriffslinie im Beschwerdeverfahren herangezogen werden soll, fehlen. Darüber hinaus scheinen auch die im Einspruchsverfahren eingereichten Schriftsätze keinen diesbezüglichen ausführlichen Vortrag zu enthalten. Damit überließ die Beschwerdegegnerin es ganz der Kammer und der Beschwerdeführerin herauszufinden, inwiefern und aus welchen Gründen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 im Hinblick auf den technischen Inhalt dieser Entgegenhaltungen in Frage gestellt werden soll. Im Einklang mit ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, vertritt die Kammer die Auffassung, dass sich ein Beteiligter nicht darauf beschränken kann, ein Konvolut von Dokumenten vorzulegen ohne substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen durch welche konkreten Passagen oder Figuren dieser Dokumente belegt werden sollen.

4.2 In diesem Zusammenhang verweist die Kammer auf die ersten zwei Sätze des Artikels 12 (2) VOBK in der Fassung 2007, die gemäß Artikel 25 VOBK 2020 auf dieser Beschwerde anzuwenden ist, wonach:

"Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen." (Hervorhebung durch die Kammer).

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern reicht ein bloßer Verweis auf die erstinstanzlichen Ausführungen als Begründung im Sinne von Regel 99(2) EPÜ und von Artikel 12(2) VOBK 2007 nicht aus, so dass die von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung angekündigten Angrifflinien als unsubstantiiert anzusehen sind.

4.3 Die Argumentation der Beschwerdegegnerin, dass das Ausbleiben einer ausführlichen Substantiierung dieser Argumentationslinien in der Beschwerdeerwiderung dadurch gerechtfertigt sei, dass die angefochtene Entscheidung nur auf der Grundlage der Broschüre D5 zu Gunsten der Beschwerdegegnerin getroffen wurde, und dass die Beschwerdeführerin an der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hatte, kann die Kammer nicht überzeugen. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Umstände ändern nichts an der Tatsache, dass eine im Sinne der Regel 99(2) EPÜ und des Artikels 12(2) VOBK 2007 ausreichende Substantiierung sämtlicher im Beschwerdeverfahren ggf. vorzutragenden Angrifflinien hinsichtlich des Mangels an erfinderischer Tätigkeit bereits in der Beschwerdeerwiderung hätte enthalten sein sollen, wenn die Beschwerdegegnerin die Argumentationslinien für relevant erachtet.

4.4 Demzufolge werden die Andeutungen dieser Angrifflinien in der Beschwerdeerwiderung unter Artikel 12(2) VOBK 2007 in Kombination mit Artikel 12(4) VOBK 2007, letzter Halbsatz, nicht berücksichtigt.

Argumentationslinien basierend auf den offenkundigen Vorbenutzungen P3 und P4

5. Hinsichtlich der auf den offenkundigen Vorbenutzungen P3 (Lieferung einer Maschine des Typs UFA1000) und P4 (Ausstellung einer Maschine des Typs AFS1000 bei der TabExpo 2007 in Paris) beruhenden Angrifflinien wird von der Beschwerdeführerin ebenfalls mangelnde Substantiierung beanstandet und ihrer Berücksichtigung unter Artikel 12(2) VOBK 2007 in Kombination mit Artikel 12(4) VOBK 2007 und Artikel 13(1) VOBK 2020 entgegengetreten.

5.1 Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass diese Beweismittel einen besseren Ausgangspunkt für das Streitpatent als die Vorrichtung gemäß D5 darstellen, weil sie alle Merkmale des Anspruchs 1 bis der mehrstrangigen Ausführung der Dosiersystem aufweisen, wurde in der Beschwerdeerwiderung nicht dargelegt. Es ist insoweit der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass in der Beschwerdeerwiderung keine konkreten Fundstellen angegeben sind, die belegen sollten, welche Merkmale des Anspruchs 1 von diesen Entgegenhaltungen vorweggenommen sind. Wie auch zutreffend von der Beschwerdeführerin angemerkt, beschreibt die einzige angegebene Fundstelle der P3 (siehe Punkt 1.2.2 der Bedienungsanleitung D18a der Maschine des Typs UFA1000) lediglich die Ausgestaltung der verwendeten Pumpe als Doppelkopfkolben. Ein konkreter Hinweis auf das Vorhandensein einer Regelung der Pumpe ist in dieser Passage nicht zu finden. Dokument D18b sollte den sogenannten "closed-loop control mode" des verwendeten Flussmessers beschreiben. Auch in diesem Fall wird aber keine relevante Passage des D18b angegeben, sondern, ganz im Allgemeinen, auf die Ansagen des Zeugens Herrn Reynolds verwiesen.

5.2 P4 betrifft die Aufstellung einer Maschine des Typs AFS1000 bei der "TabExpo 2007" in Paris. Es wird dabei lediglich auf eine sogenannten "display card" (D14) und noch einmal allgemein auf sämtliche Aussagen des Zeugen Reynolds verweisen.

5.3 Im Einklang mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin stellt die Kammer somit fest, dass der Vortrag in der Beschwerdeerwiderung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit basierend auf den offenkundigen Vorbenutzung P3 und P4 weder eine konkrete Analyse der dort jeweils offenbarten Merkmale noch eine sich daraus ergebende Aufgabestellung enthält. Darüber hinaus hat die Beschwerdegegnerin nicht knapp und deutlich angegeben, aus welchen Gründen der Fachmann, ausgehend von P3 oder P4, ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen sollte.

5.4 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass die Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit basierend auf P3 und P4 als Begründung im Sinne von Regel 99(2) EPÜ und Artikel 12(2) VOBK 2007 nicht ausreichen und somit als unsubstantiiert anzusehen sind. Demzufolge werden auch die Andeutungen dieser Angrifflinien in der Beschwerdeerwiderung unter Artikel 12(2) VOBK 2007 in Kombination mit Artikel 12(4) VOBK 2007, letzter Halbsatz, nicht berücksichtigt.

Änderung des Beschwerdevorbringens

6. Zur debattierten Frage der Zulassung der in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdegegnerin angekündigten "Expandierung" des als nicht ausreichend substantiiert angesehenen Vortrags zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit basierend auf D1-D4, D6, auf der Kombination von D1 mit D5 sowie auf P3 und P4, merkt die Kammer Folgendes an:

6.1 Nach Artikel 13(1) VOBK in der Fassung 2020, die auf diese Beschwerde anzuwenden ist, bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten. Zudem steht die Zulassung solcher Änderungen im Ermessen der Kammer.

6.2 Die Beschwerdegegnerin argumentiert zum einen, dass es sich bei dem angekündigten Vortrag um kein neues Beschwerdevorbringen im Sinne des Artikels 13(1) VOBK 2020 handele, sondern um eine in jeder Phase des Beschwerdeverfahrens zulässige Weiterentwicklung von in der Beschwerdeerwiderung bereits erwähnten Argumenten, die sich auf im Verfahren befindliche Entgegenhaltungen stützen. Die Kammer kann sich dieser Ansicht aus folgenden Gründen nicht anschließen:

6.3 Zu den Dokumenten D1-D4 und D6 bzw. zu der Kombination von D1 mit der Broschüre D5 ist in der Beschwerdeerwiderung gar nichts vorgetragen. Demzufolge wäre jegliche zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung vorzutragende Ausführung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit, die sich auf diesen Beweismitteln stützt, als ein vollkommen neues Beschwerdevorbringen anzusehen, bestehend aus neuen Tatsachen sowie aus neuen Argumenten zur Darlegung dieser Tatsachen, dessen Zulassung nach Artikel 13(1) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer liegt.

6.4 Zu den offenkundigen Vorbenutzungen P3 und P4 merkt die Kammer an, dass der Beschwerdeerwiderung lediglich die Auffassung der Beschwerdegegnerin zu entnehmen ist, dass diese Entgegenhaltungen einen besseren Ausgangpunkt für den Gegenstand des Anspruchs 1 im Vergleich zu D5 darstellen. Wie hinsichtlich der Substantiierungsfrage vorgetragen wurde (siehe vorstehende Punkte 5. bis 5.4), hat die Beschwerdegegnerin keine logische Argumentationskette zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit vorgetragen (d.h. Merkmalanalyse, Aufgabestellung, Begründung auf Basis des "problem-solution approach"), die aus diesen Entgegenhaltungen hervorgeht. Auch in diesem Fall würde somit jeglicher zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung vorzutragende Vortrag zum Artikel 56 EPÜ eine substantielle Änderung des Beschwerdevorbringens beinhalten, deren Zulassung im Hinblick auf die Bestimmungen des Artikels 13(1) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer liegt.

6.5 Unter Verweis auf die T1914/12 führt die Beschwerdegegnerin aus, dass die Zulassung von neuen, für die zutreffende Entscheidung relevanten Argumenten - anders als bei der Zulassung von neuen Tatsachen und Beweismitteln -, nicht im Ermessen der Kammer liegt. Diese Argumentation ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

Die Kammer vertritt die Auffassung, dass es sich bei den angekündigten, vorzutragenden Ausführungen nicht lediglich um neuen "Argumente" handelt, sonder auch um neue relevante "Tatsachen", wie z.B. die in der Beschwerdeerwiderung fehlende Merkmalanalyse, sowie die Angabe der konkreten Passagen in den oben genannten Beweismittel, die die von der Beschwerdegegnerin als bekannt betrachteten Merkmale des Anspruchs 1 vorwegnehmen. Die Ausübung des Ermessens im Sinne des Artikels 13(1) VOBK 2020 bei der Zulassungsentscheidung über die in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal vorzutragenden Ausführungen ist daher gerechtfertigt.

6.6 Artikel 13(1) VOBK 2020 sieht vor, dass der Beteiligte die Gründe dafür angeben muss, weshalb er die Änderungen erst in einer späten Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht. Zudem enthält Artikel 13(1) VOBK 2020 eine nicht erschöpfende Liste von Kriterien die von der Kammer bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden soll.

6.7 Die Beschwerdegegnerin rechtfertigt den angekündigten, erstmaligen Vortrag zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit dadurch, dass die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung zu Gunsten der Beschwerdegegnerin ausschließlich auf der Grundlage der Broschüre D5 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen entschieden hatte, und dass die Beschwerdeführerin an der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hatte. Unter diesen Umständen habe es die Beschwerdegegnerin für opportun erachtet, sich in der Beschwerdeerwiderung nur auf eine vollständige Ausführung zur Kombination der Broschüre D5 mit dem allgemeinen Fachwissen zu beschränken, weil sie die einzige war, die in der angefochtenen Entscheidung und in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin berücksichtigt wurde.

6.8 Die Kammer kann diese Argumentation aus folgenden Gründen nicht teilen:

Aus der Diskussion im erstinstanzlichen Verfahren, sowie aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung ging zweifellos hervor, dass die Auslegung des Begriffs "Dosierpumpe" im Hinblick auf den Inhalt der D5 der entscheidende Diskussionspunkt im Beschwerdeverfahren werden würde. Dass die Kammer bei der Prüfung des schriftlichen Beschwerdevorbringens der für die Beschwerdegegnerin günstigen Auslegung der Einspruchsabteilung nicht hätte folgen können, ist als eine mögliche und vorhersehbare Entwicklung des Beschwerdeverfahrens anzusehen, die die Beschwerdegegnerin bei der Ausarbeitung der Beschwerdeerwiderung nicht hätte außer Acht gelassen werden dürfen. Die Beschwerdegegnerin hätte somit sämtliche, ihrer Auffassung nach für die Frage der erfinderischen Tätigkeit relevante Argumentationslinien bereits in der Beschwerdeerwiderung ausreichend substantiieren müssen. Folglich kann die Kammer die Unterbreitung erstmaliger Vorträge zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung nicht durch eine unvorhersehbare Entwicklung des Beschwerdeverfahrens rechtfertigten.

6.9 Bei der Ausübung des durch Artikel 13(1) VOBK 2020 eingeräumten Ermessens berücksichtigt die Kammer unter anderem den Stand des Verfahrens, und ob die in Frage kommenden Änderungen des Beschwervorbringens der Verfahrensökonomie abträglich sind. In dem vorliegenden Fall handelt es sich um ganz neue Vorträge, deren Zulassung komplexe neue Fragen in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens aufwerfen würde, deren Erörterung zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung zwangläufig eine negative Auswirkung auf die Verfahrensökonomie zur Folge haben würde. In einer solchen Situation kann auch von der Beschwerdeführerin nicht verlangt werden, dass sie in kurzer Zeit eine Entgegnung auf erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ausführungen, die in der Beschwerdeerwiderung nicht ausreichend oder gar nicht substantiiert wurden, ausarbeitet. Zudem ließ bereits die von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung in Grundzügen ausgeführte präferierte Angriffslinie ausgehend von D1 in Kombination mit D5 keine Eignung erkennen, die aufgeworfenen Probleme zu lösen, also das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit zu belegen, so dass dies auch von den weniger präferierten nicht zu erwarten gewesen wäre. Auch die Darlegungen der Beschwerdegegnerin zu den Vorbenutzungen P3 und P4 ließen nicht erkennen, dass diese zur Lösung ihres Anliegens, den behaupteten Mangel an erfinderischer Tätigkeit zu belegen, geeignet gewesen wären. Die Beschwerdegegnerin konnte keine konkreteren Punkte belegen, die in den Vorbenutzungen P3 oder P4 die fehlenden Merkmale besser als in D5 offenbart oder jedenfalls nahegelegt hätten.

6.10 Folglich sind die in der mündlichen Verhandlung angekündigten, erstmaligen Ausführungen zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1, basierend auf D1-D4 und D6, auf D1 in Kombination mit D5, sowie auf P3 und P4, als eine ungerechtfertigte Änderung des Beschwerdevorbringens anzusehen, die als solche, in Ausübung des durch Artikel 13(1) VOBK 2020 eingeräumten Ermessens nicht ins Verfahren zuzulassen sind.

Rüge des fehlenden rechtlichen Gehörs

7. Angesicht der Entscheidung der Kammer, erstmalige Vorträge zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht zuzulassen, reichte die Beschwerdegegnerin eine schriftliche Rüge gemäß Regel 106 EPÜ ein und argumentierte, dass durch die Nichtzulassung der weiteren Ausführungen zu den angekündigten, zusätzlichen Angrifflinien das rechtliche Gehör der Beschwerdegegnerin verletzt wurde. Wie von der Beschwerdeführerin angemerkt, wurde die Frage der Zulassung dieser Ausführungen über eine Stunde in der mündlichen Verhandlung diskutiert, was auch von der Beschwerdegegnerin eingeräumt wird. Zudem, wie unter dem vorstehenden Absatz ausgeführt, ist die gerügte Nichtzulassungsentscheidung eine Ermessenentscheidung, die von der Kammer unter Berücksichtigung der im Artikel 13(1) VOBK 2020 erwähnten Kriterien, zu denen die Beschwerdegegnerin ausführlich hatte Stellung nehmen können, getroffen wurde. Aus diesen Gründen sieht die Kammer keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdegegnerin durch die Nichtzulassung der von der Beschwerdegegnerin angekündigten, erstmaligen Vorträge zum Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird aufrechterhalten wie erteilt.

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