- In this opposition appeal, the proprietor submits that the OD had committed a substantial procedural violation by not admitting a request filed during the oral proceedings. The OD had given the patentee the opportunity to file a request during the OP, which the patentee did, the OD had refused the opportunity to file a further request because this would not be "fair".
- The Board holds that this is not sufficient reasoning for the decision to not admit the request.
- The Board also holds that procedural economy cannot be a ground for the decision, because the OD had changed its preliminary opinion on Art.123(2) EPC during the oral proceedings to the disadvantage of the patentee. In particular, it was not clear whether the Patentee had to amend all pending request to address the Art. 123(2) EPC issue at once, or whether it was sufficient to do so only for the Main Request when that request was discussed.
- Therefore, there was a substantial procedural violation and the case is remitted.
EPO T 0802/17 - link
Entscheidungsgründe
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung - Art. 11 VOBK
1. Gemäß Artikel 11 VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) hebt die Kammer die angefochtene Entscheidung auf und verweist die Angelegenheit an die erste Instanz zurück, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
2. Es ist daher zu prüfen, ob das erstinstanzliche Verfahren an wesentlichen Mängeln im Sinne des Artikels 11 VOBK leidet. Die Beschwerdeführerin erachtet ihr rechtliches Gehör offenbar dadurch als verletzt, dass
a) die Einspruchsabteilung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2017 keine geänderten Hilfsanträge ins Verfahren zuließ (in der Folge kurz 'Einwand a)'), und
b) die Einspruchsabteilung über ihre im Verfahren befindlichen Hilfsanträge entschied, ohne ihr eine Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen (in der Folge kurz 'Einwand b)').
3. Überdies beanstandet sie, dass die Einspruchsabteilung ihre in der mündlichen Verhandlung gezogene Schlussfolgerung, wonach der (vormalige) Hauptantrag vom 12. Dezember 2016 nicht dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ entspreche, in der schriftlichen Entscheidung nicht begründet habe (in der Folge kurz 'Einwand c)').
4. Zum Einwand a): Zunächst ist zu bemerken, dass der Umstand, dass die Einspruchsabteilung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2017 keine geänderten Hilfsanträge ins Verfahren zuließ, als Ausübung ihres Ermessens zu werten ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu betonen, dass Ermessensentscheidungen angemessen zu begründen sind (vgl. T 705/90). In der Entscheidung der Einspruchsabteilung findet sich hierzu unter Punkt 15 der Entscheidungsgründe im Wesentlichen der Hinweis, dass die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin Gelegenheit eingeräumt hat, "einen zusätzlichen Antrag zu formulieren". Da diese jedoch in der Folge - nach einer Unterbrechung der Verhandlung - nur einen geänderten Hauptantrag eingereicht hat, wurde ihr späteres Ersuchen, auch noch geänderte Hilfsanträge einreichen zu dürfen, nicht gewährt, da dies gegenüber der Einsprechenden, die sich dagegen ausgesprochen habe, nicht "fair" gewesen wäre.
4.1 Nach der Auffassung der Beschwerdekammer stellt dies - zunächst einmal abgesehen von der Frage der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung - keine ausreichende Begründung für die getroffene Ermessensentscheidung dar. Weder wird eine rechtliche Grundlage dafür genannt, um Änderungen auf eine einzige Änderungsmöglichkeit beschränken zu können, noch werden konkrete verfahrensrechtlich relevante Umstände genannt, die eine solche Beschränkung auf eine einzige Änderungsmöglichkeit im konkreten Fall rechtfertigen könnten, noch wurde eine Begründung geliefert, weshalb das Fairnessgebot gegen die Zulassung geänderter Hilfsanträge sprach.
4.2 Zur Frage der inhaltlichen Richtigkeit der erstinstanzlichen Ermessensausübung ist Folgendes zu bemerken: Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat (vgl. G 7/93, Gründe Nr. 2.6).
4.3 Wie bereits oben unter Nr. 4.1 ausgeführt, ist fraglich, welche Kriterien die Einspruchsabteilung tatsächlich angewandt hat. Der Umstand, dass die Abteilung lediglich eine einzige Änderungsmöglichkeit eingeräumt hat, und deshalb - nach Einreichung eines geänderten Hauptantrags - die Einreichung geänderter Hilfsanträge abgelehnt hat, spricht für die Heranziehung verfahrensökonomischer Gesichtspunkte. Nach Auffassung der Kammer sind die angedeuteten verfahrensökonomischen Gründe im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls jedoch nicht geeignet, um die Nichtzulassung geänderter Hilfsanträge zu rechtfertigen.
4.4 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Einspruchsabteilung ihre vorläufige Meinung hinsichtlich eines Einwandes nach Artikel 123 (2) EPÜ in der mündlichen Verhandlung zum Nachteil der Patentinhaberin geändert hat, sodass sich die Patentinhaberin genötigt sah, ihren Hauptantrag zu ändern.
4.5 Der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen den Anspruch 1 des Hauptantrags bestand darin, dass die Perforationen in der Anmeldung als "durchgehend" und "kontinuierlich" beschrieben seien, das Wort "durchgehend" jedoch durch die Wortgruppe "über die Fläche der schichtförmigen Biomatrix verlaufend" ersetzt worden sei. Die Einspruchsabteilung führte hierzu in ihrer Mitteilung vom 14. Juni 2016 aus, dass Absatz 42 der Anmeldung durchaus eine Basis für das Ersetzen von "durchgehend" durch "über die Fläche der schichtförmigen Biomatrix verlaufend" bieten würde, und folgte damit den diesbezüglichen Ausführungen der Patentinhaberin.
4.6 In der mündlichen Verhandlung wich die Einspruchsabteilung jedoch von ihrer vorläufigen Meinung ab und kam zu dem Schluss, dass der Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Streichung des Begriffs "durchgehend" die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfülle. Zudem informierte sie die Parteien, dass dies auch für die Hilfsanträge 1 bis 4 zu gelten scheine (vgl. Niederschrift, S. 2, Punkt 2.3).
4.7 Aufgrund dieser Änderung des Standpunkts der Einspruchsabteilung entstand für die Patentinhaberin überraschend eine völlig neue Verfahrenslage, die es erforderte, ihr Gelegenheit zu geben, auf diese zu reagieren. Dies hat die Einspruchsabteilung getan (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Punkt 2.5). In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die von den Parteien und und auch von der Einspruchsabteilung in der Entscheidung angesprochene Diskussion, ob die Einspruchsabteilung eine einzige Möglichkeit der Änderung der Ansprüche oder der Anträge eingeräumt hat, der Beschwerdekammer nicht als entscheidungswesentlich erscheint. Denn mit der Änderung der vorläufigen Beurteilung des Einwandes nach Artikel 123 (2) EPÜ musste es für die Beteiligten als auch für die Einspruchsabteilung völlig klar sein, dass dies nicht nur eine Überarbeitung des Hauptantrags sondern auch der Hilfsanträge erforderlich macht. Nach dem glaubhaften Vortrag der Beschwerdeführerin wurden geänderte Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung bereits vorbereitet und Kopien derselben lagen sichtbar bereits auf ihrem Tisch. Der Umstand, dass die Patentinhaberin zunächst nur einen geänderten Hauptantrag einreichte, mag darauf zurückzuführen sein, dass zu diesem Zeitpunkt lediglich der Hauptantrag zur Diskussion stand, es mag möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass die Patentinhaberin den wohl nicht ausreichend explizit gemachten Wunsch der Einspruchsabteilung, alle geänderten Anträge, d.h. auch geänderte Hilfsanträge, gleichzeitig präsentiert zu bekommen, missverstanden hat. Dies ist nach Ansicht der Beschwerdekammer jedoch nicht entscheidend, da das Erfordernis der Änderung aller (zu diesem Zeitpunkt vorhandenen) Anträge auf der Hand lag und die Patentinhaberin im Rahmen der mündlichen Verhandlung zudem explizit beantragte, ihr die Möglichkeit einzuräumen, geänderte Hilfsanträge einzureichen. Überdies ist anzumerken, dass die bezüglich des Hauptantrags vorgenommene Änderung nach Auffassung der Einspruchsabteilung den Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ ausräumte, sodass sich auch die Frage der Komplexität der Änderung nicht stellte.
4.8 Die wohl auf verfahrensökonomischen Gesichtspunkten beruhende Entscheidung der Einspruchsabteilung, geänderte Hilfsanträge nicht zuzulassen, kann demnach nicht überzeugen und beruht nach Ansicht der Beschwerdekammer auf der Anwendung von Kriterien, die für die konkrete Verfahrenssituation unangemessen erscheinen. Es bestanden weder stichhaltige Gründe die Änderungsmöglichkeit auf eine einzige Möglichkeit, im Sinne des Erfordernisses der gleichzeitigen Einreichung aller geänderten Anträge, einzuschränken, noch kann das in der Entscheidung nicht weiter begründete Fairnessgebot überzeugen. Die Hilfsanträge lagen zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor und die hinsichtlich des Hauptantrags vorgenommene Änderung war nach Auffassung der Einspruchsabteilung geeignet, den Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ auszuräumen. Es bestanden daher keine überzeugenden Gründe, die Einreichung entsprechend geänderter Hilfsanträge abzulehnen.
4.9 Da somit der Patentinhaberin die Möglichkeit genommen wurde, zu den bereits vorbereiteten, geänderten Hilfsanträgen Stellung zu nehmen, wurde ihr rechtliches Gehör verletzt. Nach Auffassung der Beschwerdekammer liegt somit ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung rechtfertigt (vgl. Artikel 11 VOBK).
5. Zum Einwand b): Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung informierte die Einspruchsabteilung die Parteien, dass die Schlussfolgerungen zum Hauptantrag hinsichtlich des Einwandes nach Artikel 123 (2) EPÜ auch für die Hilfsanträge 1 bis 4 zu gelten scheinen (vgl. Niederschrift, S. 2, Punkt 2.3). Eine Anhörung der Parteien zu den Hilfsanträgen erfolgte zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht. Im Anschluss an die Ermessensentscheidung, der Patentinhaberin keine Möglichkeit für die Einreichung geänderter Hilfsanträge einzuräumen, gab die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin offenbar keine Gelegenheit mehr, zu den vorliegenden Hilfsanträgen Stellung zu nehmen, obgleich die Patentinhaberin ausdrücklich erklärte, die vorhandenen Hilfsanträge aufrecht zu erhalten (vgl. Punkt 4.4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung). Die Schlussfolgerung, dass die Hilfsanträge 1 bis 4 das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllten (vgl. Punkt 5.1 der Niederschrift), erfolgte somit offenbar unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Patentinhaberin.
6. Der Einwand c) überzeugt die Kammer hingegen nicht, da der vormalige Hauptantrag offenbar durch den geänderten Hauptantrag ersetzt wurde. Die Einspruchsabteilung konnte daher im Hinblick auf das Fehlen gegenteiligen Vorbringens der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass der vormalige Hauptantrag nicht weiter aufrecht erhalten wird. In der schriftlichen Entscheidung musste der vormalige Hauptantrag daher nicht mehr behandelt werden.
7. Abschließend ist demnach zu bemerken, dass das erstinstanzliche Verfahren an wesentlichen Verfahrensmängeln leidet, die eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung rechtfertigen (vgl. Artikel 11 VOBK). Im Hinblick auf diese Verfahrensfehler war zudem dem Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr stattzugeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Dem Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.
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