21 March 2016

T 2054/11 - Offering a witness

Key points

  • Offering a witness should be done by submitting a formal request, indicating the issue the witness will speak about.


T 2054/11 - [C] - link


Sachverhalt und Anträge
VII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Einvernahme von Zeugen
Mit Schreiben vom 23. März 2010 sei die offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes nach Anspruch 1 in Form des Diavortrags D10 und einer Präsentation am zerlegten Motor während der BMW Techniktage 2004 in jedem Fall angesprochen worden. Herr Steinparzer sei ein hervorragender Techniker und könne aus diesem Grund Tatsachen aus der bereits mit Einspruchseinlegung eingereichten Veröffentlichung D5 bezeugen. Erst in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde ausgeführt, dass D5 nicht relevant sei. Die Einsprechende hatte folglich keine Zeit, zuvor einen lückenlosen Nachweis für die Vorbenutzung basierend auf D5 zu führen. Daraufhin sei mit Schreiben vom 27. Mai 2014 spezifisch angesprochen worden, dass Merkmale des Anspruchs 1 aus der Diashow bzw. dem ausgestellten Motor abgeleitet werden konnten. Merkmal "h)" sei allerdings nicht auf Seite 4 der D5, sondern auf Seite 7 der D5 ersichtlich. Durch Einvernahme der beiden angebotenen Zeugen sei sowohl eine Herausarbeitung als auch Bezeugung möglich, dass einzelne Merkmale des Anspruchs 1, insbesondere Merkmal "h)", zu sehen gewesen seien. Ohne Anhörung der Zeugen sei die offenkundige Vorbenutzung jedoch nicht bewiesen, wie im Übrigen von der Einspruchsabteilung korrekt befunden. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den bereits am 23. März 2010 benannten Zeugen Herr Steinparzer nicht zu hören, stelle daher einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Somit sei eine Vernehmung der Zeugen Steinparzer und Bruch durch die Beschwerdekammer bzw. durch die Einspruchsabteilung nach Zurückverweisung an die erste Instanz gerechtfertigt.

Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Einvernahme von verspätet angebotenen Zeugen
Es herrscht Übereinstimmung unter den Parteien, dass die angeblich offenkundigen Vorbenutzungen während des BMW-Techniktags in München und Steyr, erstens durch Diavorführung des Dokuments D5 und zweitens durch Präsentation eines zerlegten Motors aus Dokument D5, mit Schriftsatz der Einsprechenden Beschwerdeführerin vom 23. März 2010 geltend gemacht wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Einspruch der Beschwerdeführerin, was die Veröffentlichung am BMW Techniktag betrifft, nur auf den schriftlichen Stand der Technik D5 gestützt.
2.2 Die Kammer verweist auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern(vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage 2013 (ReBK), III.G.4.3.2), wonach das Europäische Patentamt an die Behauptung einer Vorbenutzung sehr strenge Anforderungen stellt. Es gilt der hohe Beweismaßstab des (fast) zweifelsfreien Nachweises. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass praktisch alle Beweismittel dem Wissen des Einsprechenden unterliegen, wohingegen die Patentinhaberin lediglich die Beweisführung angreifen kann, indem sie auf darin enthaltene Widersprüche oder Lücken hinweist.
2.3 Demzufolge sind zur Substantiierung, also vollständigen Begründung einer Vorbenutzung, mit Einlegung des Einspruchs zuallererst jene Tatsachen und Beweismittel vorzulegen, anhand derer die Einspruchsabteilung (und die Inhaberin des Streitpatents) ohne eigene Ermittlung folgende Feststellungen treffen kann:
a) "was" wurde vorbenutzt: die Einsprechende hat anzugeben, welche erkennbaren Merkmale und Eigenschaften dem behaupteten Stand der Technik ihrer Meinung nach objektiv entnommen werden konnten. Hierbei hat die Aufzählung der Merkmale in derart abstrahierter Form zu erfolgen, dass eine etwaige Wesensgleichheit oder -ähnlichkeit des benutzten Gegenstandes mit dem Gegenstand des Streitpatents festgestellt werden kann.
b) "wann" wurde vorbenutzt: anzugeben ist das Datum der Benutzung, also ob vor dem Anmeldetag des Patents eine Benutzung erfolgt ist.
Dieses Substantiierungserfordernis einer Vorbenutzung ist im vorliegenden Fall unbestritten erfüllt und gilt für die Parteien zudem als bewiesen: der BMW Techniktag in München und Steyr fand vom 22. bis 24 Juni 2004 statt.
c) "wie" wurde vorbenutzt: anzugeben sind alle Umstände der Benutzung, durch die diese der Öffentlichkeit (insbesondere "wem") zugänglich wurde, z.B. Ort und Art der Benutzung.
2.4 Ferner spielt bei der Komplexität von Vorbenutzungen eine Rolle, ob ein früheres Vorbringen von Beweismitteln zur Stützung behaupteter Tatsachen für die Einsprechende möglich war und ob dies von ihr erwartet werden konnte, etwa das Angebot der Einvernahme eines Zeugen.
2.5 Zur Stützung der Umstände der öffentlichen Zugänglichmachung von D5 reichte die Einsprechende Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall am 26. März 2010, das heißt fast ein Jahr nach Einspruchseinlegung und somit verspätet die Video-CD gemäß D10 und eine Teilnehmerliste der BMW Techniktage D11 ein. Darüber hinaus legte die Einsprechende Beschwerdeführerin sehr spät, nämlich erst zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 17. Mai 2011, eine eidesstattliche Versicherung D13 des Zeugen Fritz Steinparzer vor.
2.6 Die Benennung des Zeugen Steinparzer seitens der Einsprechenden Beschwerdeführerin bzw. ein Antrag auf Anhörung des Zeugen erfolgte aber zu keinem Zeitpunkt des Einspruchsverfahrens. So heißt es im verspäteten Schriftsatz der Einsprechenden Beschwerdeführerin vom 23. März 2010 auf Seite 9 oben "Gerne sind wir auch bereit...als Zeuge zu benennen". Darin vermag die Kammer keine unbedingte Zeugenbenennung zu sehen.
Zudem trägt die Einsprechende Beschwerdeführerin nicht vor, wozu der Zeuge gehört werden soll. Allein die Tatsache, dass der Zeuge Steinparzer zur Zeit der Techniktage Motoren 2004 Leiter der Entwicklung Dieselmotoren bei BMW, Steyr war, ist hierfür nicht ausreichend. Auf dieser Grundlage hätte die Einspruchsabteilung also eine Ladung nicht vornehmen können.
2.7 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Zeugen Steinparzer nicht als Zeugen zu hören, kein Verfahrensfehler gesehen werden kann.
2.8 Im schriftlichen Einspruchsverfahren erfolgte insbesondere zu dem erfindungswesentlichen Merkmal des Anspruchs 1, nämlich der Anordnung des behaupteten Abgasrückführungssystems aus D5 in Bezug auf eine Gesamtabgasleitung, kein substantiierter Vortrag, also zu der Frage "was" eigentlich anhand des Diavortrags D10 (Video), oder anhand des zerlegten BMW Motors im Detail "wie" präsentiert wurde, dass ausgerechnet dieses Merkmal, welches aus D5 nicht unmittelbar hervorgeht, für die Öffentlichkeit beim BMW Techniktag tatsächlich zugänglich war.
2.9 Dieser Mangel hätte im Übrigen in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung selbst durch Beweisbeschluss am Tag der Verhandlung und Zeugeneinvernahme des Zeugen Steinparzer (falls er denn noch als Zeuge am Tag der Verhandlung angeboten worden wäre) nicht behoben werden können. Im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden Beschwerdeführerin konnten nämlich durch die Einvernahme des Zeugen Steinparzer fehlende Tatsachen nicht im Nachhinein ergänzt werden. Dies gilt insbesondere für solche Umstände, aus denen nun Details der Abgasrückführung mit ganz bestimmten Merkmalen bei der Präsentation der Dias oder des zerlegten Motors für die Öffentlichkeit zugängig gemacht worden waren. Denn hierzu liegen seitens der Einsprechenden Beschwerdeführerin auch in der erst zur Verhandlung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung D13 keine Angaben vor.
Zeugen können Tatsachenbehauptungen lediglich durch ihre Aussage erhärten, also unter Einvernahme bejahen, aber nicht anstelle der Einsprechenden Beschwerdeführerin vortragen, um dadurch Lücken in der Substantiierung der angeblichen Vorbenutzung zu füllen (vgl. ReBk III.G.2.2).
Darüber hinaus erfolgte im schriftlichen Beschwerdeverfahren zur behaupteten Vorbenutzung der Abgasrückführung erneut kein substantiierter Vortrag: auf den Seiten 2 und 3 der verspäteten Eingabe vom 27. Mai 2014 wird lediglich Anspruch 1 erwähnt und behauptet, dass Herr Steinparzer bezeugen könne, dass der ausgestellte Motor Anspruch 1 entspräche. Eine solch pauschale Behauptung der Einsprechenden Beschwerdeführerin kann nach Ansicht der Kammer jedenfalls die Anforderung an die Substantiierung der Zugänglichmachung der fraglichen Merkmale einer Vorbenutzung nicht erfüllen.
Wie von der Patentinhaberin Beschwerdeführerin argumentiert, wurden erneut keine Angaben zu den Umständen gemacht, wie spezifische Merkmale aus der Diashow oder dem zerlegten Motor abgeleitet werden konnten, also dass z.B. bestimmte Folien aus D5 während der Diashow oder Motorpräsentation zu fraglichen Merkmalen näher erläutert wurden.
2.11 Zu der Auflistung der Anspruchsmerkmale auf Seite 3 der Eingabe vom 27. Mai 2014, vorletzter Absatz, ist zudem festzustellen, dass das genannte Merkmal "h)", also die Anordnung bzw. Abzweigung der Abgasrückführung, offenbar den zitierten Seiten 4 und 23 der D5 nicht zu entnehmen ist. In der Verhandlung vor der Kammer führte die Einsprechende Beschwerdeführerin dann aus, dass das Merkmal "h)" anstatt auf Seite 4, auf Seite 7 der D5 zu finden sei, aber auch dort ist dieses erfindungswesentliche Merkmal des Anspruchs 1 nicht ersichtlich. Schließlich kann der ebenfalls angebotene Zeuge Bruch nach dem Vortrag der Einsprechenden Beschwerdeführerin lediglich bekräftigen, dass D5 der Öffentlichkeit "in Hardware gezeigt und ausführlich erklärt", und das "Verfahren" gemäß Video D10 den geladenen Teilnehmern "vorgestellt" wurde. Diese pauschalen Angaben stellen jedoch wiederum keine konkrete Kenntnis über die Umstände der Zugänglichmachung der Abgasrückführung gemäß Kennzeichen des Anspruchs 1 des Streitpatents in das Wissen des Zeugen Bruch, siehe Seite 8 der Eingabe vom 27. Mai 2014, vorletzter Absatz.
Die Kammer ergänzt, dass weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren nachvollziehbare Gründe für die erhebliche Verfahrensverzögerung - zu Ungunsten der Patentinhaberin Beschwerdeführerin - bei der Geltendmachung der Vorbenutzungen und deren Stützung (ein Jahr nach Einlegung des Einspruchs, u.a. gestützt auf fünf Jahre verspätete Zeugenangebote) von der Einsprechenden Beschwerdeführerin genannt wurden.
2.13 Zusammenfassend sieht die Kammer daher keinen Anlass, die nun nach ihrer Beschwerdebegründung vom 5. September 2011 mit abermals verspäteter Eingabe vom 27. Mai 2014 von der Einsprechenden Beschwerdeführerin letztlich angebotenen Zeugen Steinparzer oder Bruch zur Beweisaufnahme (vor der Einspruchsabteilung oder der Beschwerdekammer) gemäß Artikel 12(4) und 13(1) VOBK ins Verfahren zuzulassen.
Die Anträge auf Zeugeneinvernahme durch die Kammer bzw. auf Zurückverweisung an die erste Instanz zur Zeugeneinvernahme waren somit in Hinblick auf die geltend gemachten Vorbenutzungen als unzureichend substantiiert und daher prima facie nicht relevant, und als ungerechtfertigt, da unbegründet verspätet, zurückzuweisen. Insbesondere vermag die Kammer auch keinen Verfahrensfehler der Einspruchsabteilung zu erkennen, die Zeugen nicht gehört zu haben, siehe oben unter Punkt 2.7.
2.14 Die Einspruchsabteilung hatte die angeblich offenkundigen Vorbenutzungen als nicht bewiesen erachtet, vgl. Einspruchsentscheidung, Punkte 17 und 18. Die Einsprechende Beschwerdeführerin räumt ein, dass ohne Einvernahme der Zeugen eine Überprüfung durch die Kammer zum gleichen Ergebnis führen würde. Auch die Kammer hat keinen Grund, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.
3. Zulässigkeit verspätetes Beweismittel
3.1 Die Einreichung des Auszugs D14 aus einem Fachbuch erfolgte praktisch zum spätest möglichen Zeitpunkt, nämlich 4 Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Nach Auffassung der Einsprechenden Beschwerdeführerin sei D14 für sie erst jetzt zugänglich gewesen, deren Inhalt leicht erfassbar und in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 wie aufrechterhalten hochrelevant. Aufgrund der Einfachheit und Kürze sei es daher durchaus zumutbar, dass sich die Patentinhaberin Beschwerdeführerin (und auch die Kammer) mit D14 auseinandersetze. Wegen dessen Relevanz könne die Kammer den Fachbuchauszug D14 zudem nicht einfach "sehenden Auges" unberücksichtigt lassen.
3.2 Die Kammer ist der Ansicht, dass das Auffinden eines Fachbuchs, offenbar für Maschinenbaustudenten, die extreme Verspätung seiner Vorlage, nämlich über 6 Jahre nach Einspruchseinlegung, wohl nicht rechtfertigen kann. Darüber hinaus wäre es zu diesem Verfahrenszeitpunkt weder für die Patentinhaberin Beschwerdeführerin noch für die Kammer zumutbar bzw. fair, auf die verspätete Vorlage der D14 während der Verhandlung angemessen zu reagieren. Dies umso mehr, als die Einsprechende Beschwerdeführerin im bisherigen Beschwerdeverfahren der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nur die geltend gemachten Vorbenutzungen wegen mangelnder Neuheit dem aufrechterhaltenen Anspruch 1 entgegenhielt, und jetzt erstmals Dokument D14 zur Begründung mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Lichte der D3 und D2 ("fresh case") vorlegt.
Die Patentinhaberin Beschwerdeführerin erwägt, zu Recht, als Reaktion weitere Hilfsanträge zu stellen (vgl. Artikel 13(2) VOBK). Dies würde aus Sicht der Kammer zum Stand des Verfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verlegung der Verhandlung führen, da eine Diskussion der neuen Sachlage wohl schon zur aufrechterhaltenen Fassung, in jedem Fall aber in Bezug auf neu zuzulassende Hilfsanträge über den Rahmen der Verhandlung hinausgehen würde. 
Zur angeblich hohen Relevanz der D14 verweist die Kammer auf den Umstand, dass es im Beschwerdeverfahren nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und insbesondere unmittelbar vor bzw. während der Verhandlung, auf die Relevanz bei der Frage der Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von späten Änderungen des Vorbringens einer Partei de facto nicht mehr ankommt (vgl. Artikel 13(3) VOBK).
3.4 In Ausübung ihres Ermessens kam eine Zulassung der D14 ins Verfahren für die Kammer folglich nicht in Betracht.

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