- The patentee notes that Article 12(4) RPBA speaks of "the power of the Board to hold inadmissible facts, evidence or requests which could have been presented or were not admitted in the first instance proceedings", not discretion.
- However, the Board decides that the exercise of this power is discretionary.
- The power also applies to requests which were presented and admitted in first instance proceedings, but withdrawn.
T 1873/11 - link
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 435 079 zu widerrufen.
[...] Am 25. Februar 2016 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. [...]
Die Beschwerdeführerin beantragte ferner folgende Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen:
"Kann eine Beschwerdekammer unter Berufung auf ihre Befugnis (power) - nicht Ermessen (discretion) - nach Art. 12(4) VOBK einen im Einspruchsverfahren zurückgenommenen Antrag im Einspruchsbeschwerdeverfahren als unzulässig zurückweisen?
Nein: (T1188/09, sowie die in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage, IV.E.3.2.1 e), Abs. 2 zitierten Entscheidungen)
Ja: (T1525/10, sowie die in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage, IV.E.4.3.2 c), Abs. 1 zitierten Entscheidungen)".
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Zudem beantragte sie, keinen der Anträge (Hauptantrag, Hilfsanträge I bis V) ins Verfahren zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Hilfsanträge I und II - Zulassung
3.1 Bevor die Kammer eine Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Anträge treffen konnte, war der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer (siehe II. oben) zu erörtern, da die Vorlagefrage die Befugnis bzw. das Ermessen der Kammer unter Artikel 12 (4) VOBK betrifft, so dass falls eine Vorlage notwendig gewesen wäre, die Verhandlung zu vertagen gewesen wäre. Bezüglich der Vorlagefrage brachte die Beschwerdeführerin mehrere Argumente vor, die im Folgenden behandelt werden.
3.1.1 Der Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die Verwendung des Begriffs "Befugnis" in Artikel 12 (4) VOBK (in Kontrast zu dem Begriff "Ermessen" in Artikel 13 (1) VOBK) eine Ermessungsentscheidung durch die Kammer ausschließe, kann die Kammer nicht folgen.
Vielmehr impliziert der Begriff "Befugnis" gerade die Entscheidungsmöglichkeit Anträge etc. unter bestimmten, in der Verfahrensordnung genannten Umständen nicht ins Verfahren zuzulassen, wobei eine Nichtzulassung selbstverständlich einer Begründung bedarf. Der Begriff "Befugnis" drückt daher lediglich aus, dass für die Kammer auch dann keine Verpflichtung zur Nichtzulassung besteht, wenn die im Absatz 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Auffassung der Kammer, die mit der Rechtsprechung der Kammern übereinstimmt, handelt es sich daher um eine Ermessensentscheidung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, IV.E.4.3.2 c), erster Absatz, zweiter Satz).
Vielmehr impliziert der Begriff "Befugnis" gerade die Entscheidungsmöglichkeit Anträge etc. unter bestimmten, in der Verfahrensordnung genannten Umständen nicht ins Verfahren zuzulassen, wobei eine Nichtzulassung selbstverständlich einer Begründung bedarf. Der Begriff "Befugnis" drückt daher lediglich aus, dass für die Kammer auch dann keine Verpflichtung zur Nichtzulassung besteht, wenn die im Absatz 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Auffassung der Kammer, die mit der Rechtsprechung der Kammern übereinstimmt, handelt es sich daher um eine Ermessensentscheidung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, IV.E.4.3.2 c), erster Absatz, zweiter Satz).
3.1.2 Zweitens brachte die Beschwerdeführerin vor, dass der vorliegende Fall, bei dem die Anträge vor der ersten Instanz zurückgenommen worden sind, nicht unter Artikel 12 (4) VOBK falle. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der Wortlaut des Artikels "Anträge ... die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können" nicht ausschließt, dass die Anträge tatsächlich im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht wurden, wie im vorliegenden Fall. Diese Interpretation wird von der Rechtsprechung geteilt (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 7. Auflage, IV.E.4.3.2 c), erster Absatz, dritter Satz: "Dies gilt ... umso mehr für Anträge, die im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht und abschließend wieder zurückgenommen wurden").
3.1.3 Drittens behauptet die Beschwerdeführerin das Bestehen einer divergenten Rechtsprechung. Die Kammer sieht jedoch in der zitierten Rechtsprechung keine Divergenz, sondern vielmehr unterschiedliche Ergebnisse beim Ausüben des Ermessens der Kammern in unterschiedlichen Fallkonstellationen. Hierzu merkt die Kammer an, dass im oben zitierten Absatz der "Rechtsprechung", der einen Fall behandelt, der dem vorliegenden entspricht, die Kammer entschieden hat, die Anträge nicht erneut zuzulassen. Die weiteren Teile der Rechtsprechung, die die Beschwerdeführerin zitierte, und bei denen die Anträge zugelassen worden sind (d.h. IV.E.3.2.1 e) und IV.E.4.5.2), entsprechen nicht der vorliegende Sachlage, weil beide hauptsächlich die Frage betreffen, ob eine Patentinhaberin, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht die Aufrechterhaltung der erteilten Ansprüche verfolgt hat, im Beschwerdeverfahren (insbesondere nach Einreichung der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung) zu der erteilten Fassung zurückkehren darf. Die dort genannten Entscheidungen der Kammern betreffen daher nicht die in Artikel 12 (4) VOBK angesprochenen Umstände. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung weist insofern daher keine Divergenz auf.
3.1.4 Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage eindeutig zu bejahen ist und dass die diesbezügliche Rechtsprechung nicht divergent ist. Angesichts der in Artikel 112 (1) a) EPÜ definierten Voraussetzungen für eine Vorlage kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass keine uneinheitliche Rechtsanwendung vorliegt und dass, obwohl die Frage offensichtlich von grundsätzlicher Bedeutung ist, sie ebenfalls eindeutig und im Einklang mit der bestehenden Rechtsprechung ohne eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer beantwortet werden kann.
3.1.5 Die Kammer hat daher den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer zurückgewiesen.
3.2 Die Kammer war daher ohne Vertagung der mündlichen Verhandlung in der Lage eine Entscheidung über die Zulassung der Hilfsanträge I und II zu treffen. Diese Anträge sind mit jenem Hauptantrag und jenem Hilfsantrag identisch, die mit Schreiben vom 13. April 2011 eingereicht und während der mündlichen Verhandlung vor der ersten Instanz vom 13. Mai 2011 wieder zurückgenommen wurden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu dieser Frage deckt sich im Wesentlichen mit jenem zur Vorlagefrage (siehe 3.1.1 bis 3.1.3 oben). Die Beschwerdeführerin hat keine weiteren Argumente vorgebracht, weshalb diese Anträge zu diesem späten Verfahrensstadium zugelassen werden sollten.
3.3 Die Kammer übte ihr Ermessen unter Artikel 13 (1) VOBK daher dahingehend aus, die Hilfsanträge I und II der Beschwerdeführerin nicht ins Verfahren zuzulassen.
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