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Headnote
Bei der Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens aufgrund einer Entscheidung gemäß Artikel 112a(5) EPÜ ist das wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren auf die Behebung des in der Überprüfungsentscheidung festgestellten schwerwiegenden Mangels beschränkt.
Key points
- After resumption of the appeal procedure because of a successful petition for review, the reopened appeal procedure is limited to remdying the serious procedural violation as found by the Enlarged Board.
Sachverhalt und Anträge
I. Das Europäische Patent Nr. 1 487 832 betrifft ein kristallines Mikronisat von Tiotropiumbromid.
II. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 entschied die Kammer in der gegenwärtigen Besetzung, die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und die Angelegenheit an die erste Instanz mit der Anordnung zurückzuverweisen, das Patent mit den Ansprüchen des Hilfsantrags 2 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.
IV. Die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin beantragte die Überprüfung der Entscheidung vom 5. März 2013 gemäß Artikel 112a EPÜ durch die Große Beschwerdekammer. Mit der am 26. Mai 2015 zur Post gegebenen Entscheidung vom 8. Dezember 2014 (Rechtssache R 16/13) hob die Große Beschwerdekammer die Entscheidung der Kammer vom 5. März 2013 auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Beschwerdekammer 3.3.01 an. Den Antrag, die Mitglieder der Beschwerdekammer zu ersetzen, welche an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatten, wies die Große Beschwerdekammer zurück.
V. Entsprechend nahm die Kammer das Beschwerdeverfahren in unveränderter Besetzung wieder auf. Mit dem Formbrief vom 5. Juni 2015 lud sie die Parteien zur für den 23. September 2015 terminierten mündlichen Verhandlung. In dem der Ladung beigefügten Bescheid fasste sie die Entscheidung R 16/13 zusammen und lud die Parteien ein, zu den gemäß dieser Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren zu behandelnden Punkten Stellung zu nehmen. Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin geänderte Anspruchssätze einreichen wolle, setzte ihr die Kammer eine Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Ladung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Umfang des wiederaufgenommenen Beschwerdeverfahrens
2.1 Vorliegend warf der Antrag der Beschwerdegegnerin, die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegten Vergleichsversuche im wiedereröffneten Verfahren nicht zu berücksichtigen (siehe unten unter Punkt 3), die Frage auf, was der Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens sei. Weder Artikel 112a (5) EPÜ, noch die parallele Regel 108 (3) EPÜ geben hierüber Aufschluss. Wie die Beschwerdegegnerin ausführte, ließen sich zwei gegensätzliche Positionen vertreten: Entweder ist infolge der Aufhebung der fehlerbehafteten Entscheidung das Beschwerdeverfahren insgesamt zu wiederholen. Dann sollte es beiden Parteien gleichermaßen möglich sein, ihren Sachvortrag durch neues Vorbringen zu ergänzen. Oder das wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren ist darauf beschränkt, den festgestellten, schwerwiegenden Mangel auszuräumen. Das Beschwerdeverfahren müsste in diesem zweiten Fall in dem Umfang wiederholt werden, wie es vom Mangel kausal für die getroffene Entscheidung behaftet ist. Der Verfahrensgegenstand richtet sich mithin nach dem gerügten und festgestellten schwerwiegenden Mangel.
2.2 Die Entscheidung R 16/13 äußert sich nicht zu dieser Frage, sondern beschränkt sich auf eine Feststellung des schwerwiegenden Verfahrensmangels. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 21. September 2015 hat die Kammer indes auf die Entscheidung R 21/11 vom 5. Juni 2012, Punkt 30 der Entscheidungsgründe, hingewiesen. Dort heißt es wie folgt (Hervorhebung durch die Kammer):
"...Im Rahmen des Antrags auf Aufrechterhaltung des Streitpatents vor der Kammer ist einzig und allein darüber zu entscheiden, ob das zusätzliche Beweismittel einen Unterschied macht. Eine Ersetzung der früheren Mitglieder würde bedeuten, dass eine Beschwerdekammer in neuer Besetzung das gesamte Beschwerdeverfahren mit dem zugehörigen Kosten- und Zeitaufwand erneut durchführen müsste, um zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen, was unter den vorliegenden Umständen unnötig und unverhältnismäßig wäre. Während es Sache der Beschwerdekammer ist, zu bestimmen, wie sie mit dem wiedereröffneten Verfahren verfährt, scheint es keinen Grund zu geben, warum sie den Fall nicht zügig wird entscheiden können. Dies liegt im Interesse der Öffentlichkeit und der Parteien, im Falle der Antragstellerin nicht zuletzt aufgrund der Bestimmungen des Artikels 112a (6) EPÜ."
Die Großen Beschwerdekammer gab damit zu erkennen, dass die Wiedereröffnung des Beschwerdeverfahrens nicht erfordert, dass den Parteien erneut die Möglichkeit zur Äußerung zum gesamten Streitstoff gegeben wird, sondern darauf abzielt, den festgestellten schwerwiegenden Verfahrensmangel auszuräumen. Dies begründete die Große Beschwerdekammer mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer zügigen Durchführung des wiedereröffneten Verfahrens zur Erlangung von Rechtssicherheit. Nur die Ersetzung eines oder mehrerer, an der aufgehobenen Entscheidung beteiligter Mitglieder der Kammer erfordert nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer die erneute Durchführung des gesamten Beschwerdeverfahrens. Dementsprechend ist auch das vorliegende, wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren auf die Behebung des in der Überprüfungsentscheidung festgestellten Mangels zu beschränken.
2.3 Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Bedeutung für die Frage der Zulassung geänderten Vorbringens ist vorweg festzustellen, worin der schwerwiegende Verfahrensfehler besteht, der den Rahmen für das wiedereröffnete Verfahren vorgibt. Wie die Kammer bereits in ihrem Ladungsbescheid festgestellt hat, entschied die Große Beschwerdekammer, dass die Patentinhaberin nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Auffassung der Kammer, in (11A) seien die Parameter des mit dem Stand der Technik verglichenen, erfindungsgemäßen Mikronisats nicht vollständig angegeben bzw. die drei letzten in Anspruch 1 aufgelisteten Parameter fehlten vollständig (siehe Punkt 4.5.1 der aufgehobenen Entscheidung vom 5. März 2013), zu erkennen und sich dazu zu äußern (R 16/13, Punkte 2.2, 5.3 und insbesondere 5.4 der Entscheidungsgründe). Die Große Beschwerdekammer folgte damit dem Vortrag der Beschwerdeführerin, die Kammer habe bei der Würdigung der Vergleichsversuche in (11A) außer Acht gelassen, dass die in (11A) untersuchten Proben 1-3 als Proben des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromidmikronisats zu identifizieren gewesen seien, womit die anspruchsgemäßen Parameter implizit in (11A) offenbart gewesen seien. Die Kammer habe ihre Bedenken zu den fraglichen Parametern nicht geäußert und nicht zu erkennen gegeben, dass es ihr auf eine explizite Offenbarung dieser Werte ankomme. Deshalb habe die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit erhalten, sich zu diesem Punkt zu äußern und die Bedenken der Kammer zu zerstreuen (siehe R 16/13, Punkt II.2.1 und II.2.3 des Sachverhalts sowie Punkte 2.2, 5.3 und 5.4 der Entscheidungsgründe).
2.4 Daher ist Gegenstand des wiederaufgenommenen Beschwerdeverfahrens,
- den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob die in (11A) untersuchten Proben 1-3 des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromidmikronisats die anspruchsgemäßen Parameter aufweisen, und
- diese Stellungnahmen bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.
[...]
7.3 Ausgehend von diesem Stand der Technik soll laut Vortrag der Beschwerdeführerin die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, eine für die Inhalation geeignete, mikronisierte Form von Tiotropiumbromid mit einer verbesserten Lagerstabilität bereitzustellen.
7.4 Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags das Mikronisat vorgeschlagen, welches durch folgende Parameter gekennzeichnet ist:
i) eine Partikelgröße X50 von zwischen 1,0 mym und 3,5 mym bei einem Wert Q(5,8) von größer 60%;
ii) einen spezifischen Oberflächenwert im Bereich zwischen 2 m**(2)/g und 5 m**(2)/g;
iii) eine spezifische Lösungswärme von größer 65 Ws/g; und
iv) einen Wassergehalt von 1,4% bis 4,2%.
Der Kennwert X50 bezeichnet den Medianwert der Teilchengröße, unterhalb derer 50% der Teilchenmenge bezüglich der Volumenverteilung der einzelnen Teilchen liegt, und Q(5,8) die Teilchenmenge der Partikel, die bezogen auf die Volumenverteilung der Partikel unterhalb von 5,8 mym liegt (siehe Streitpatent, Absatz [0011]).
7.5 Zunächst ist zu beurteilen, ob die unter Punkt 7.3 definierte Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand glaubhaft gelöst wird. Diesbezüglich hat sich die Beschwerdeführerin auf die in den Dokumenten (11A) und (21) vorgelegten Versuche gestützt.
7.5.1 Im Dokument (11A) wurde das in den Absätzen [0035] bis [0044] des Streitpatents offenbarte Monohydrat und das nach dem bekannten Verfahren gemäß Dokument (24) (im Dokument (11A) als D1 bezeichnet) hergestellte Tiotropiumbromid unter identischen Versuchsbedingungen mittels einer Luftstrahlmühle mikronisiert. Die Kammer möchte an dieser Stelle anmerken, dass auch das Dokument (25) die Mikronisierung eines gemäß dem Dokument (24) hergestellten Tiotropiumbromids in einer Luftstrahlmühle offenbart (vgl. obigen Punkt 7.2.3). Die gemahlenen Proben wurden hinsichtlich ihrer Teilchengröße mit folgenden Ergebnissen analysiert:
[...]
Diese Passagen machen deutlich, dass auch nach Auffassung der Verfasser von (11A) nicht notwendigerweise die im Anspruch 1 des Hauptantrags aufgeführten Parameter allein, sondern auch oder sogar primär die "spezielle Kristallmodifikation", die in Anspruch 1 als Merkmal nicht zum Ausdruck kommt, zum dokumentierten Effekt beiträgt.
Folglich sind diese Vergleichsversuche nicht geeignet, um glaubhaft zu belegen, dass die geltend gemachte verbesserte Lagerstabilität ursächlich mit den anspruchsgemäßen Parameterwerten verknüpft ist.
7.5.2 Im Versuchsbericht (21) werden weitere Messungen an Mikronisaten des Tiotropiumbromid-Monohydrats vor und nach einem Konditionierungsschritt vorgestellt. Allerdings enthält dieses Dokument keine Vergleichsversuche gegenüber Dokument (25) als dem nächstliegenden Stand der Technik.
7.5.3 Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass auf Basis der obengenanten Daten nicht beurteilt werden kann, ob gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik die unter Punkt 7.3 genannte Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand tatsächlich gelöst wird.
7.6 Folglich kann die zu lösende Aufgabe nur darin gesehen werden, ein weiteres Mikronisat von Tiotropiumbromid bereitzustellen.
7.7 Es bleibt nun zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung dieser umformulierten Aufgabe auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
7.8 Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
[...]
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der
Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche Nr. 1 bis 6 des Hilfsantrags 2 eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013.
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