22 October 2015

T 2420/10 - Problem in the claim

EPO T 2420/10

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Key points
  • This decision provides an example of the importance of defining in the independent claim  not only those features providing the solution, but also those features which define the embodiments wherein the problem to be solved can occur. A claim should not encompass a large number of embodiments for which the allegedly solved problem does not occur at all, in view of the requirement of inventive step. 
  • " Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern sollte die objektive Aufgabe so formuliert werden, dass sie durch das unterscheidende Merkmal über die volle Breite des Anspruchs gelöst wird. Offensichtlich wird dieses Kriterium nicht erfüllt, wenn der Anspruch so formuliert ist, dass für einen Großteil des beanspruchten Gegenstandes kein solches Problem entstehen würde." 


Entscheidungsgründe
[...]
6. Hilfsantrag 3: Neuheit
6.1 Wie oben unter Punkt IV erwähnt ist der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 identisch mit dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, außer dass das fakultative Merkmal, dass die Düsenöffnung in Form eines Schlitzes ausgestaltet ist, gestrichen ist.
Während Anspruch 1 des erteilten Patents drei fakultative Optionen definiert, bleibt im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 nur eine davon übrig, welche folglich nicht mehr fakultative ist, nämlich:
"dass sich der Behandlungskanal in einem Abschnitt zwischen der mindestens einen Düsenöffnung (8) und dem Auslaufbereich (16) in der Transportrichtung (18) vergrößert".
Die entscheidende Frage lautet daher, ob Dokument OI-D12 dieses Merkmal offenbart.
6.2 In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass dieses Merkmal so interpretiert werden solle, dass sich der Behandlungskanal im gesamten Abschnitt von der Düsenöffnung bis zum Auslaufbereich ständig vergrößere. Insbesondere müsse diese Interpretation nach Auffassung der Beschwerdeführerin angewendet werden, weil nur bei dieser Konfiguration der gewünschte "Venturi-Effekt" erreicht werden könne (Streitpatent, Absätze [0018]-[0019], und siehe V(ix), oben).
6.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Bei der Beurteilung, ob ein Merkmal aus dem Stand der Technik bekannt ist oder nicht, sollte nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer seinem Wortlaut die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung beigemessen werden (vgl. T 79/96, Entscheidungsgründe Punkt 2.1.3).


Angesichts dieser Feststellung darf das Merkmal "in einem Abschnitt zwischen ..." nicht in dem von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen eingeschränkten Sinne interpretiert werden. Vielmehr ist das Merkmal so zu verstehen, dass sich der Behandlungskanal in einem Abschnitt vergrößert, wobei der Abschnitt entweder entlang dem gesamten Abstand zwischen der Düsenöffnung und dem Auslaufbereich oder lediglich entlang eines Teils davon erstreckt.
Wenn die Transportrichtung in Figur 1 des Dokuments OI-D12 von links nach rechts gewählt wurde, gibt es einen Abschnitt zwischen der Fläche 8 auf der linken Seite und der Aussparung 9, in dem sich der Behandlungskanal vergrößert. Da die Düsenanordnung des Dokuments OI-D12 links-rechts-symmetrisch ist, gilt dieselbe Schlussfolgerung für die umgekehrte Transportrichtung. Daher ist dieses Merkmal im Dokument OI-D12 offenbart.
6.4 Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument (siehe V(ix), oben) bezüglich des gewünschten technischen Effekts überzeugt die Kammer ebenfalls nicht. Kein derartiger Effekt wird in Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 definiert, und deswegen ist dieses Argument für die Frage der Neuheit nicht relevant.
6.5 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 nicht neu gegenüber dem Dokument OI-D12 (Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 54 EPÜ 1973).
[...]
8. Hilfsantrag 4 eingereicht mit Schreiben vom 4. Dezember 2012: Erfinderische Tätigkeit
8.1 Der nächstliegende Stand der Technik ist normalerweise ein Dokument, das einen Gegenstand offenbart, der auf die gleichen Ziele wie die beanspruchte Erfindung gerichtet ist und mit ihr die meisten technischen Merkmale gemeinsam hat.
8.2 Die im Streitpatent beschriebene Erfindung betrifft eine Düsenanordnung zur Behandlung eines Behandlungsgutes mit einem Behandlungsmedium. Insbesondere betrifft die Erfindung eine Düsenanordnung zum nasschemischen Behandeln von Leiterfolien bzw. Leiterplatten (Absatz [0001]).
Gemäß Absatz [0002] ist ein allgemeines Ziel der Erfindung, "eine möglichst schnelle und gleichmäßige Behandlung eines Behandlungsgutes in Form von durchlaufenden Leiterplatten oder Leiterfolien zu erzielen."
8.3 Die in Dokument OI-D12 beschriebene Erfindung betrifft auch eine Vorrichtung zur gleichmäßigen nasschemischen Behandlung eines Behandlungsgutes beispielsweise in Form von Leiterplatten oder Leiterfolien (Zusammenfassung, Seite 1, Zeilen 6-10). Die spezifische Behandlung (Ablösen von Schichten von Resist), die in Dokument OI-D12 beschrieben wird, ist vom Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 nicht ausgeschlossen. Außerdem hat die Vorrichtung des Dokuments OI-D12 mit dem beanspruchten Gegenstand viele technische Merkmale gemein, wie bereits oben dargelegt.
8.4 Daher betrachtet die Kammer Dokument OI-D12 als einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes. Wie bereits oben erläutert unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 von diesem nächstliegenden Stand der Technik lediglich dadurch, dass eine Vorderkante der Düsenanordnung im Einlaufbereich abgerundet ist.
8.5 In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass im Lichte der Beschreibung des Streitpatents die objektive technische Aufgabe darin bestehe, Wirbelbildungen in der Behandlungsflüssigkeit zu vermeiden:
"Kanten der Düse [hier ist offensichtlich 'Düsenanordnung' gemeint] im Einlaufbereich 15 und Auslaufbereich 16 sind abgerundet, um Wirbelbildungen in der Behandlungsflüssigkeit zu vermeiden" (Absatz [0052], Punkt D).
Im Dokument OI-D12 wird diese Aufgabe nicht erwähnt, und diese Lösung wird weder im Dokument OI-D12 noch in den anderen zitierten Dokumenten offenbart. Somit beruhe nach Meinung der Beschwerdeführerin der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dieses Argument kann die Kammer allerdings nicht überzeugen.
8.6 Ein Problem von Wirbelbildungen im Einlaufbereich kann selbstverständlich nur entstehen, wenn in dieser Bereich eine Flüssigkeitsströmung (11' in den Figuren des Streitpatents) gegeben ist, was erfordert, dass der Einlaufbereich weitgehend mit Flüssigkeit gefüllt ist. Ein solches Merkmal ist jedoch in Anspruch 1 nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern sollte die objektive Aufgabe so formuliert werden, dass sie durch das unterscheidende Merkmal über die volle Breite des Anspruchs gelöst wird. Offensichtlich wird dieses Kriterium nicht erfüllt, wenn der Anspruch so formuliert ist, dass für einen Großteil des beanspruchten Gegenstandes kein solches Problem entstehen würde.
8.7 Aus diesen Gründen ist der Kammer der Meinung, dass zum Zweck der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die zu lösende Aufgabe allgemeiner definiert werden muss.
Es ist es für einen Fachmann offensichtlich, dass bei Behandlung von fragilen Gegenständen wie Leiterfolien, Kratzer und sonstige Schäden vermieden werden müssen, und dies scheint der Kammer eine plausible technische Aufgabe darzustellen. Aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ist es dem Fachmann ebenso offensichtlich, dass eine Lösung dieses Problems darin besteht, dass nur abgerundete oder angeschrägte Kanten (und keine scharfe Kanten) verwendet werden sollten. Somit gelangt der Fachmann zum Gegenstand des Anspruchs 1, ohne erfinderisch tätig zu werden.
Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass die Düsenanordnung gemäß Hilfsantrag 4, der mit Schreiben vom 4. Dezember 2012 eingereicht wurde, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973).
9. Hilfsantrag 4 eingereicht in der mündlichen Verhandlung
9.1 Die Beschwerdeführerin hat diesen Hilfsantrag erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammern ist bei Einreichung eines neuen Hilfsantrags in einem späten Verfahrensstadium und bei der Ausübung des Ermessens der Kammer nach Artikel 13(1) VOBK insbesondere zu berücksichtigen, ob der neue Hilfsantrag eindeutig gewährbar ist (siehe z. B. T 153/85, Leitsatz, Punkt II; und T 710/92, Entscheidungsgründe, Punkt 2.2).
9.2 Die Merkmale des Verfahrensanspruchs 1 dieses Hilfsantrags entsprechen in erheblichem Maße den Merkmalen des Vorrichtungsanspruchs 1 des mit Brief vom 4. Dezember 2012 eingereichten Hilfsantrags 4, deren Gegenstand das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nicht erfüllt. Folglich ist dieser Hilfsantrag nicht prima facie gewährbar. Bei der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK erachtet die Kammer diesen verspätet eingereichten Hilfsantrag daher als unzulässig.
10. Hilfsantrag 5
10.1 Die Beschwerdeführerin hat diesen Hilfsantrag erst mit Brief vom 31. August 2015 eingereicht, kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die am 3. September 2015 stattgefunden hat. Die Beschwerdeführerin hat keine Gründe angegeben, warum sie den Hilfsantrag 5 in einem so späten Verfahrensstadium vorgelegt hat.
10.2 Anspruch 1 dieses Hilfsantrags enthält das fakultative Merkmal "dass ... die mindestens eine Düsenöffnung (8) in Form eines Schlitzes ausgestaltet ist" in Kombination mit dem Merkmal "und dass die mindestens eine Düsenöffnung (8) mehrere Öffnungen umfasst, welche voneinander beabstandet entlang der Richtung senkrecht zu der Transportrichtung (18) und parallel zu der Transportebene angeordnet sind".
Diese Merkmale werden in der ursprünglichen Patentanmeldung als Alternativen vorgelegt (siehe z.B. Seite 5, Zeile 34 - Seite 6, Zeile 3), und daher wurde die jetzt beanspruchte Kombination nicht ursprünglich offenbart (Artikel 123(2) EPÜ).
Außerdem stellt diese Kombination einen Widerspruch dar, und folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht klar (Artikel 84 EPÜ 1973).
In dieser Hinsicht wird darauf hingewiesen, dass diese Merkmalkombination nicht einer Kombination von erteilten Ansprüchen entspricht. Eine Düsenöffnung in Form eines Schlitzes wird in Anspruch 11 und in Ansprüchen 12-14, die sich direkt oder indirekt auf Anspruch 11 rückbeziehen, beansprucht. Eine Düsenöffnung, die mehrere Öffnungen umfasst, wird in Anspruch 15, der sich auf Anspruch 10 rückbezieht, beansprucht. Da der neue Hilfsantrag nicht auf einer Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche basiert, ist gemäß der Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer G 3/14 (siehe Entscheidungsformel) ein Klarheitseinwand nicht ausgeschlossen.
10.3 Folglich ist dieser Hilfsantrag nicht prima facie gewährbar und aus den gleichen Gründen wie oben unter Punkt 9.1 erläutert, wird dieser verspätet eingereichte Hilfsantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
11. Da somit kein gewährbarer Antrag der Beschwerdeführerin vorliegt, muss die Beschwerde zurückgewiesen werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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