11 March 2020

T 2734/16 - Using patentee's documents for new attack

Key points

  • In this opposition case, the patentee had filed documents W7 and W11 before the OD, with the argument that because W7 and W11 illustrate the kind of device as claimed, the other document D1 was not the closest prior art. The OD then did not admit the opponent's inventive step attack starting from W7 and W11. 
  • The Board decides that the OD should have admitted the attack: “ ist der [opponent] im Rahmen der Waffengleichheit zuzugestehen, die ihr erst durch von der Gegenseite neu eingereichte Dokumente zur Kenntnis gebrachten Tatsachen in ihrem eigenen Sinne aufzugreifen und zu einem Gegenangriff mit einer neuen Angriffslinie gegen die erfinderische Tätigkeit zu verwenden. Da dieser Gegenangriff erst möglich geworden war, nachdem die [patentee] diese Dokumente zu ihrer Verteidigung eingereicht hatte, erscheint es bei Abwägung aller Umstände nicht sachgerecht, die Zulassung der neuen Angriffslinie unter dem Gesichtspunkt der Verspätung und der mangelnden Relevanz der Dokumente, auf die sie gestützt ist, abzulehnen.”
  • On the other hand, the Japanese patent documents E11-E14 are not admitted as being late-filed. The fact that the documents are in the Japanese language, with no family members in other languages, is no reason for admitting them.
  • “Die Kammer ist der Auffassung, dass dies die Verspätung nicht entschuldigen kann. Das EPÜ kennt keinen Unterschied betreffend den Stand der Technik in Abhängigkeit von der Sprache, sei sie nach europäischen Maßstäben lesbar oder nicht”



EPO T 2734/16 -  link

EPO Headnote
1. Eine neue Angriffslinie auf die erfinderische Tätigkeit, die als Reaktion und unter Verwendung der von der Patentinhaberin mit der Einspruchserwiderung eingereichten Dokumente verfolgt wird, ist nicht per se als verspätet anzusehen. Sie kann aus Gründen der Waffengleichheit in das Einspruchsverfahren zugelassen werden, auch wenn die Dokumente im Ergebnis nicht relevanter als andere Dokumente sind (Siehe Punkt 1.4.1).
2. Das späte Einreichen von zufällig bekannt gewordenen Entgegenhaltungen ist nicht schon allein deswegen zulässig, weil sie in der japanischen Sprache verfasst sind und deren Auffindbarkeit deswegen unter Umständen erschwert gewesen sein mag. Dies gilt umso mehr, wenn dem Einreichenden die Bedeutung japanischer Unternehmen auf dem fraglichen technischen Gebiet bekannt war und deshalb Veranlassung zu rechtzeitigen umfassenden Recherchen bestand (Siehe Punkt 1.4.2).



1.4 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

1.4.1 Artikel 12(4) VOBK - Zulassung der Angrifflinie gestützt auf W7 und W11

Die Einspruchsabteilung hat die Dokumente W7 und W11 als verspätet vorgebrachte Tatsachen in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit angesehen, die prima facie nicht relevant gewesen seien, und hat diese nicht zum Verfahren zugelassen (siehe Punkt 19.1 der Entscheidung).


Die Beschwerdeführerin hält diese Entscheidung für nicht rechtens und beantragt die Zulassung der beiden Dokumente für ihre alternative Angriffslinie betreffend die mangelnde erfinderische Tätigkeit. Sie verweist darauf, dass die Dokumente W7 und W11 zunächst von der Beschwerdegegnerin selbst während des Einspruchsverfahrens in Erwiderung auf den Einspruch eingereicht worden seien mit dem Zweck, einen Überblick über Großfräsen zum Prioritätszeitraum des angegriffenen Patents zu geben. Damit wollte die Beschwerdegegnerin nach Auffassung der Beschwerdeführerin den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit betreffend den Gegenstand von Anspruch 1, der auf D1 basierte, entkräften. Sie, die Beschwerdeführerin, habe erst daraufhin und im Gegenzug auf der Grundlage dieser Dokumente einen alternativen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit erhoben, der auf dem von der Beschwerdegegnerin selbst vorgeschlagenen nächstliegenden Stand der Technik basierte. Dies habe ihr von der Einspruchsabteilung nicht verwehrt werden dürfen.

Die Beschwerdegegnerin hat dagegen argumentiert, dass sie W7 oder W11 nicht zur Diskussion über die erfinderische Tätigkeit, sondern nur als technisches Hintergrundwissen verwendet habe, um zu erklären, was eine "Großfräse" sei. Ein wiederum darauf basierender Angriff der Beschwerdeführerin sei eine neue Angriffslinie gewesen, die die Einspruchsabteilung zu Recht als verspätet zurückgewiesen habe.

Die Kammer sieht dieses Argument der Beschwerdegegnerin als solches allerdings nicht als zutreffend an. Die Beschwerdegegnerin hat W7 und W11 nicht nur als technisches Hintergrundwissen angeführt, sondern tatsächlich geltend gemacht, dass nicht D1 den nächstliegenden Stand der Technik bilde, sondern diejenigen Großfräsen, von denen W7 bzw. W11 Beispiele darstellen sollten, den überlegenen Stand der Technik darstellten. Dies betrifft in der Tat die Diskussion über die erfinderische Tätigkeit.

Ausgehend hiervon ist der Beschwerdeführerin im Rahmen der Waffengleichheit zuzugestehen, die ihr erst durch von der Gegenseite neu eingereichte Dokumente zur Kenntnis gebrachten Tatsachen in ihrem eigenen Sinne aufzugreifen und zu einem Gegenangriff mit einer neuen Angriffslinie gegen die erfinderische Tätigkeit zu verwenden. Da dieser Gegenangriff erst möglich geworden war, nachdem die Beschwerdegegnerin diese Dokumente zu ihrer Verteidigung eingereicht hatte, erscheint es bei Abwägung aller Umstände nicht sachgerecht, die Zulassung der neuen Angriffslinie unter dem Gesichtspunkt der Verspätung und der mangelnden Relevanz der Dokumente, auf die sie gestützt ist, abzulehnen.

Soweit die Beschwerdegegnerin außerdem ausführt, die Beschwerdeführerin habe selbst angenommen, dass W7/W11 nachveröffentlicht seien, und dass sie sich mit einer solchen zum Scheitern verurteilten Angriffslinie selbst widerspreche, führt dies nicht weiter. Es ist das Recht der Beteiligten, verschiedene Argumentationslinien zu verfolgen, die - ungeachtet ihres späteren Erfolgs - alternativ zueinander oder sogar widersprüchlich sein dürfen.

Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren Anspruch darauf hatte, die auf W7/W11 gestützten Verteidigungsargumente der Beschwerdegegnerin aufzugreifen ggf. auch mit einem darauf basierten weiteren Angriff zu beantworten. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, in Ausübung ihres Ermessens diesen Angriff gar nicht erst zuzulassen, wird dem nicht gerecht.

Die Kammer lässt daher in Ausübung des ihr nach Art. 12(4) VOBK zustehenden Ermessens anders als die Einspruchsabteilung die neu vorgebrachte Angriffslinie in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit, gestützt auf die Dokumente W7, W11, in das Beschwerdeverfahren zu.

1.4.2 Artikel 13(1) VOBK - Zulassung von E11 bis E14

Die Beschwerdeführerin hat in Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit im schriftlichen Verfahren die Dokumente E11, E12, E13 und E14 nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung vorgebracht. Ob derartige Dokumente in das Verfahren zugelassen werden, bestimmt sich nach Art. 13 VOBK 2007. Danach steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens zu berücksichtigen, die nach der Beschwerdebegründung vorgenommen wurden. Die Zulassung hängt nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern unter anderem davon ab, welche Relevanz sie besitzen, und ob sie vorher hätten eingereicht werden können (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl., V.A.4.4.2 b) ).

Die Dokumente sind schon prima facie nicht von besonderer Relevanz für das Verfahren. Keines der Dokumente betrifft eine selbstfahrende Fräse, sondern andere Baumaschinen.

Zudem ist die Aussparung in E11/E12 nicht dazu vorgesehen, den Lenkeinschlag zu beobachten, sondern um die Wirkung einer Sprüheinrichtung zu überwachen.

Auch ist der Spiegel in E13/E14 nicht dafür vorgesehen, um eine Markierung zu beobachten, sondern um eventuell anhaftendes Material an einem Rad zu erkennen.

Davon abgesehen überzeugt die Kammer auch der angegebene Grund der Verspätung des Vorbringens nicht. Zu der Verspätung trägt die Beschwerdeführerin vor, dass keine der spät eingereichten Druckschriften weitere Familienmitglieder besäßen, die in einer anderen als der japanischen Sprache und Schrift abgefasst seien. Sie hätten also nicht während des Einspruchsverfahrens gefunden und eingereicht werden können. Sie seien erst zufällig durch ein Prüfungsverfahren in einer anderen Angelegenheit aufgefunden worden.

Die Kammer ist der Auffassung, dass dies die Verspätung nicht entschuldigen kann. Das EPÜ kennt keinen Unterschied betreffend den Stand der Technik in Abhängigkeit von der Sprache, sei sie nach europäischen Maßstäben lesbar oder nicht. Die einzige Bedingung insoweit ist, dass die Beteiligten, die sich darauf beziehen wollen, gegebenenfalls eine Übersetzung in einer amtlichen Sprache einreichen müssen. Die Beteiligten sind daher dafür verantwortlich, alle zum relevanten Stand der Technik gehörenden Dokumente aufzufinden und fristgerecht einzureichen. Dafür müssen gegebenenfalls hinreichende Maßnahmen und ggf. die dafür notwendigen finanziellen Mittel vorgesehen werden, um diese Obliegenheit zu erfüllen, einschließlich der Auslagerung von technischen Recherchen auch in solchen Sprachen, die die Beteiligten selbst nicht beherrschen und die darüber hinaus keine Amtssprache sind. Eine in dieser Hinsicht weniger strenge Haltung widerspräche der Verfahrensökonomie und dem Prinzip der Fairness gegenüber dem anderen Beteiligten (siehe ebenso T0724/08, 3.4 der Gründe).

Die Kammer merkt auch an, dass die von der Beschwerdeführerin bereits mit der Einspruchsschrift eingereichten Druckschriften E5 und E6 ebenfalls aus Japan stammen (SAKAI Heavy Industries Ltd.). Es war also schon damals für die Beschwerdeführerin ohne weiteres erkennbar, dass japanische Unternehmen von gewisser Bedeutung auf dem technischen Gebiet des Straßenbaus sind. Deswegen konnte es für sie später keine Überraschung sein, dass unter der Dokumentation des Stands der Technik in der japanischen Sprache weitere relevante Druckschriften zu finden waren.

Die japanische Sprache der eingereichten Druckschriften E11 und E13 allein kann daher keine Begründung für deren verspätetes Vorbringen sein, zumal nicht erkennbar ist, welche Anstrengungen die Beschwerdeführerin unternommen hat, neben den Druckschriften E5 und E6, die Broschüren darstellen, weitere japanische Dokumente wie etwa E11 und E13, die japanische Patentanmeldungen sind, ausfindig zu machen.

Die Kammer ist im Ergebnis der Auffassung, dass die verspätet vorgebrachten Dokumente E11 bis E14 prima facie nicht hochrelevant sind und dass keine überzeugende Begründung für ihr verspätetes Vorbringen vorliegt. Deswegen hat sie das ihr nach Artikel 13(1) VOBK zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt, die Dokumente nicht in das Verfahren zuzulassen.

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