19 March 2020

T 1045/18 - Rule 137(3)

Key points

  • The Examining Division did not admit a set of claims under Rule 137(3). The Board finds this decision to be incorrect.
  • The procedure before the ED was as follows: EP entry in 2012, EPO was ISA. Communication in 2014, first summons in 2015, amended claims filed, oral proceedings cancelled, Communication in 2015, Communication in 2016 with a new novelty objection based in D3, cited in the ISR, reply with unamended claims, Summons in 2017, amended claims at issue filed, brief communication informing that the amendments do not make the claims inventive, oral proceedings in the absence of the applicant.
  • The Board recalls that under Rule 137(3) EPC, the legitimate interest of the applicant in obtaining a European patent and the interest of the EPO in the efficient conduct of proceedings are to be balanced.
  • The Board reasons that in this case, the filing of the amended claims directly in response to the Communication in 2016 would not have led to a more efficient conclusion of the procedure, as then the new inventive step objection would still have to be discussed.
  • Moreover, the added feature makes the claim novel and has basis in the application as filed. The Board considers it not relevant that the feature would be obvious. The Board recalls that GL H-II 2.3 do not prescribe that amended claims must be prima facie allowable if they are filed within the Rule 116 period for written submissions. Moreover, the Board does not consider the added feature to be clearly obvious. 
  • The Board admits the request under Art. 12(4) RPBA 2007.




EPO T 1045/18 - link


4. Zulassung das Anspruchssatzes vom 10. August 2017 zum Verfahren

Bei der Ausübung des Ermessens nach Regel 137(3) EPÜ muss eine Prüfungsabteilung alle relevanten Faktoren berücksichtigen; insbesondere soll sie einen Ausgleich finden zwischen dem legitimen Interesse des Anmelders am Erhalt eines europäischen Patents und dem Interesse des EPA an einer effizienten Durchführung des Prüfungsverfahrens.

4.1 Zu berücksichtigende Faktoren sind hierbei u.a. der Verfahrensstand und ob der Anmelder bereits ausreichend Gelegenheit zur Änderung der Anmeldung hatte.

4.1.1 Eine zweite Ladung zu einer mündlichen Verhandlung wie im vorliegenden Fall ist für gewöhnlich ein deutliches Indiz für das Endstadium eines bereits ungewöhnlich langen und fortgeschrittenen Prüfungsverfahrens. Zudem stellt die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung darauf ab, dass die Beschwerdeführerin mit dem Anspruchssatz vom 10. August 2017 bereits die fünfte geänderte Version vorgelegt hat, mithin vorher bereits ausreichend Gelegenheit hatte, Änderungen vorzunehmen.


4.1.2 Der Kammer scheint allerdings auch von Bedeutung, dass die Prüfungsabteilung in einem relativ späten Verfahrensstadium erstmals einen Neuheitseinwand auf Grundlage eines von drei im Recherchenbericht zitierten Dokumenten erhoben hat. Der Anspruchssatz vom 10. August 2017 stellte die zweite Reaktion der Beschwerdeführerin auf diesen "neuen" Neuheitseinwand dar und beinhaltete die erste durch diesen Neuheitseinwand veranlasste Änderung des Anspruchs 1. Selbst wenn die Beschwerdeführerin den geänderten Anspruchssatz bereits zusammen mit ihrer ersten Stellungnahme zum Neuheitseinwand vom 19. Januar 2017 als Hilfsantrag eingereicht hätte, hätte dies aller Voraussicht nach nicht zu einem schnelleren Ende des Prüfungsverfahrens geführt: Da die Prüfungsabteilung letztendlich auch den geänderten Anspruchssatz wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit als nicht gewährbar erachtete, hätte sie auch in diesem hypothetischen Fall das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin vor einer Zurückweisung der Anmeldung wahren müssen, z.B. wie geschehen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

Die Nichtzulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 trug also im vorliegenden Fall nicht dazu bei, das Prüfungsverfahren effizienter zu Ende zu führen.

4.1.3 Der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass die Prüfungsabteilung diese wesentlichen Aspekte des Prüfungsverfahrens bei der Ausübung ihres Ermessens in Betracht gezogen hat. Deshalb scheint ihre Ermessensentscheidung nach Regel 137(3) EPÜ, den Anspruchssatz vom 10. August 2017 nicht zum Verfahren zuzulassen, zumindest nicht vollständig begründet zu sein.

4.2 Ein anderer wesentlicher zu berücksichtigender Faktor bei der Ausübung des Ermessens ist, inwieweit die Änderungen dazu geeignet sind, einen erhobenen Einwand auszuräumen und dabei nicht offensichtlich, d.h. eindeutig und unmittelbar erkennbar, zu neuen Einwänden führen.

4.2.1 Der Anspruchssatz vom 10. August 2017 behob anerkanntermaßen den von der Prüfungsabteilung mit Bescheid vom 11. Juli 2016 erhobenen Neuheitseinwand. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Merkmale seines Anspruchs 1 ursprünglich offenbart, Artikel 123(2) EPÜ, wie unter Punkt 23.2 der angefochtenen Entscheidung festgestellt.

Jedoch führen die in Gestalt der Aufnahme dieser zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen nach Ansicht der Prüfungsabteilung zu einem neuen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ.

4.2.2 Aus der in Punkt 23.3 der angefochtenen Entscheidung zitierten Passage der Richtlinien (H-II, 2.3) geht nicht hervor, dass Änderungen in einem späten Stadium des Prüfungsverfahrens generell bereits dann nicht zuzulassen sind, wenn durch sie ein neuer Mangel entsteht.

Im selben Abschnitt der Richtlinien wird im Gegenteil explizit darauf hingewiesen, dass die Zulassung von Änderungen nicht notwendigerweise bedeutet, dass der geänderte Antrag unmittelbar gewährbar ist, also keine weiteren Einwände unter dem EPÜ mehr bestehen. Eine solche offensichtliche oder prima facie Gewährbarkeit ist allenfalls ein Kriterium für die Zulassung verspätet eingereichter Änderungen (RiLi H-II, 2.7.1). Im vorliegenden Fall ist der geänderte Anspruchssatz aber innerhalb nach Regel 116(2) EPÜ gesetzten Frist eingereicht worden, und ist mithin nicht als verspätet anzusehen.

4.2.3 In der angefochtenen Entscheidung ist das offensichtliche Vorliegen des festgestellten Mangels erfinderischer Tätigkeit nicht ausdrücklich thematisiert.

Aus der eher kursorisch gehaltenen Begründung unter Punkt 23.2 ist eine mangelnde erfinderische Tätigkeit auch nicht unmittelbar offensichtlich nachvollziehbar: "Bei Bodenbearbeitungsgeräten dieser Art" seien die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 vom 10. August 2017 "eine übliche Maßnahme zur effektiven Sammlung von Schmutzflüssigkeit", wie "dies die Dokument D4 bis D7 belegen".

Für die Kammer ist z.B. nicht offensichtlich, wie das Vorsehen üblicher, flexibler Dichtlippen zur effektiven Sammlung von Schmutzflüssigkeit vom Boden (siehe D4 - D7) in dem Bodenbearbeitungsgerät nach D3 zum Gegenstand des Anspruchs 1 führt, bei dem die Dichtlippen Teil der Flüssigkeitsaufnahme sind. Wie aus Punkt 24 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, erfolgen Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe nach D3 zwar mit anspruchsgemäßen Mitteln (längliche Behälter etc.) - jedoch von der der flexiblen Tuchrolle 110, nicht vom Boden (siehe oben Punkt 2.4).

In diesem Zusammenhang ist auch nicht unmittelbar klar, welche Bodenbearbeitungsgeräte mit "Bodenbearbeitungsgeräte dieser Art" gemeint sein sollen. Eine Art von Bodenbearbeitungsgeräten (D1, D2, D4 - D7) könnte z.B. durch Flüssigkeitsaufnahme direkt vom und ggf. durch flexible Dichtlippen direkt am Boden gekennzeichnet sein, eine andere Art (D3) hingegen durch Flüssigkeitsaufnahme direkt von und durch starre Abstreifleisten (freie Enden von 150, Fig. 6) direkt an einer flexiblen Tuchrolle (110).

4.2.4 Zusammenfassend kann die Kammer weder aus der angefochtenen Entscheidung, noch aus einer Kombination der angezogenen Dokumente D3 - D7 unter Berücksichtigung von Fachwissen eine offensichtliche mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 vom 10. August 2017 ersehen.

4.3 Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluss, dass bei korrekter Ausübung des Ermessens nach Regel 137(3) EPÜ unter Berücksichtigung sämtlicher wesentlicher Faktoren, insbesondere der Veranlassung zum nochmaligen Einreichen eines geänderten Anspruchssatzes und der fehlenden Offensichtlichkeit des hierdurch möglicherweise neu eingeführten Mangels, der Anspruchssatz vom 10. August 2017 zum Verfahren zuzulassen gewesen wäre. Ein gleichlautender Anspruchsatz wurde zusammen mit der Beschwerdebegründung und somit nach Artikel 12(2) VOBK 2007 (i.V.m. Artikel 12(4), 2. Halbsatz, VOBK 2007 und Artikel 25(2) VOBK 2020) rechtzeitig im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Aus den oben genannten Gründen macht die Kammer keinen Gebrauch von ihrer Befugnis nach Artikel 12(4) VOBK 2007, erstinstanzlich nicht zugelassene Anträge ebenfalls nicht zuzulassen. Somit ist dieser Anspruchsatz Gegenstand des Verfahrens.

5. Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung und Zurückverweisung

5.1 Die Zulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 zum Verfahren führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung zum Zwecke seiner vollständigen Prüfung, insbesondere hinsichtlich des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit. Aus der angefochtenen Entscheidung geht nicht hervor, dass eine solche vollständige Prüfung bereits erfolgt ist, siehe auch oben Punkt 4.2.3.

5.2 Die angefochtene Zurückweisungsentscheidung nach Artikel 97(2) EPÜ beruht zwar auf einer nicht von der Beschwerdeführerin gebilligten Fassung des Anspruchs 1 vom 5. April 2016 und verstößt damit gegen Artikel 113(2) EPÜ. Dieser Rechtsfehler allein hätte aber nicht zu ihrer Aufhebung geführt, die im vorliegenden Fall durch die Zulassung des Anspruchssatzes vom 10. August 2017 veranlasst ist.

Denn obwohl die Zurückweisung der Anmeldung nach Nichtzulassung des einzigen Antrags der Beschwerdeführerin im Prüfungsverfahren korrekterweise unter Artikel 113(2) EPÜ hätte erfolgen sollen, wäre sie im Ergebnis nicht anders gewesen, weshalb der obige Rechtsfehler an sich nicht ursächlich für die Beschwerde sein kann. Daher wäre die angefochtene Entscheidung auch nicht aufzuheben gewesen, wenn die Kammer die Ermessensausübung der Prüfungsabteilung gebilligt hätte.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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