22 August 2018

T 1805/14 - Remittal after procedural violation

Key points

  • The OD had failed to decide int he written decision on the ground of added subject-matter in the description (when a paragraph was deleted from the description and changing a reference). 
  • This is a substantial procedural violation. 
  • The patentee protests against the remittal. The Board points out that remittal is at the discretion of the Board, and that the Board can decide to remit of own motion, even without request from a party. The fact that the point (added subject-matter) was discussed during oral proceedings before the OD, is not relevant.
  • The length of the procedure is not a reason to not remit the case: the length so far of 7 years is not unusual. Furthermore, the Board points to " Early Certainty in Opposition" and expresses the expectation that the OD will decide on the case swiftly after the remittal.
EPO T 1805/14 -  link



EPO T 1805/14 -  link

Entscheidungsgründe
1. Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
1.1 Unstreitig und durch die Verfahrensakte belegt ist, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Einspruch u.a. Einwände unter Artikel 100 c) EPÜ betreffend die Streichung des Absatzes [15] der ursprünglichen Beschreibung erhoben hatte, die in der ersten der beiden mündlichen Verhandlungen vor der Einspruchsabteilung diskutiert wurde. Dazu erhält die angefochtene Entscheidung weder explizit noch implizit als Begründung dienende Ausführungen der Einspruchsabteilung.
1.2 Gemäß Regel 111 (2) EPÜ sind anfechtbare Entscheidungen zu begründen. Der diesem Erfordernis innewohnende Grund ist eng mit dem in Artikel 113 EPÜ verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbunden.
Voraussetzung der Gewährung dieses fundamentalen Verfahrensrechts ist, dass den Beteiligten nicht nur die Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen und Überlegungen zu äußern, sondern dass diese Äußerungen auch berücksichtigt, d.h. im Hinblick auf ihre Relevanz für die Entscheidung in der Sache überprüft werden. Artikel 113 (1) EPÜ gewährt mithin einen Anspruch darauf, dass das entscheidende Organ den Parteien gestattet, ausreichend Argumente zu allen wesentlichen Aspekten des Falles vorzubringen, dass es dieses Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in seiner Entscheidung würdigt. Auch wenn es nicht notwendig ist, in einer Entscheidung im Detail auf jedes einzelne Argument der Beteiligten einzugehen, so muss die Begründung es den Beteiligten dennoch jedenfalls die Feststellung ermöglichen, ob ihre Argumente gebührend berücksichtigt wurden, selbst wenn sie nicht anerkannt werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, Kap. III.B.2.4.1, mit weiteren Nachweisen).


Diesem Erfordernis entspricht die angefochtene Entscheidung ganz offensichtlich und unstreitig nicht, so dass ein wesentlicher Verfahrensmangel des Einspruchsverfahrens vorliegt.
2. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
2.1 Nach Artikel 11 VOBK verweist eine Kammer die Angelegenheit an das Organ zurück, das die angefochtene unter einem wesentlichen Verfahrensmangel leidende Entscheidung erlassen hat, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
Aus dieser Bestimmung ergibt sich damit im Falle des Vorliegens eines wesentlichen Verfahrensmangels die Zurückverweisung der Angelegenheit als Regelfall, von dem im Falle von besonderen Gründen abgesehen werden kann. Ob solche durch den Terminus "besondere" qualifizierten Gründe tatsächlich vorliegen und anerkannt werden können, obliegt der Beurteilung seitens der Kammer, die insoweit eine Ermessensentscheidung darüber trifft, ob sie anstelle der Zurückverweisung selbst abschließend über die Angelegenheit entscheidet.
2.2 Die Beschwerdegegnerin macht ebensolche besonderen Gründe geltend und begehrt eine (Ermessens-) Entscheidung der Kammer, von der (Regel-) Zurückverweisung abzusehen. Dieses Begehren stützt sie zum einen darauf, dass kein zulässiger Antrag der Beschwerdeführerin vorliege und die Kammer die Zurückverweisung nicht ex officio anordnen dürfe (dazu unter 2.3 und 2.4), und zum anderen auf Umstände, die für eine Fortführung des Beschwerdeverfahrens sprächen (dazu unter 2.5 und 2.6).
2.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung nicht verspätet gestellt worden und damit nicht nach Artikel 13 VOBK unberücksichtigt zu lassen.
Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend im Termin zur mündlichen Verhandlung angemerkt, ist der Antrag auf Zurückverweisung bereits implizit in ihrem zusammen mit der Beschwerdebegründung gestellten und begründeten Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen Vorliegens eines wesentlichen (Begründungs-) Mangels enthalten. Zudem ist die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung ein "Minus" gegenüber dem (vorliegend unstreitig gestellten) Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widerruf des Patents.
2.4 Ergänzend dazu ist anzumerken, dass entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin eine Zurückverweisung der Angelegenheit ohnehin im Ermessen der Beschwerdekammer steht und von ihr auch ohne entsprechenden Antrag entschieden werden kann.
Dies ergibt sich zum einen aus Artikel 111 (1), Satz 2 EPÜ. Nach dieser grundlegenden Bestimmung betreffend die Entscheidung über die Beschwerde wird "die Beschwerdekammer ... entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück". Welche dieser Möglichkeiten die zuständige Beschwerdekammer wählt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Beschwerdekammer (siehe Günzel/Beckedorf in Benkard, EPÜ, 2. Auflage 2012, Art. 111, Rdnrn 38 f., mit weiteren Nachweisen).
Zum anderen setzt auch Artikel 11 VOBK für den "Spezialfall" der Zurückverweisung bei Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels keinen diesbezüglichen Antrag zwingend voraus.
2.5 Zur Frage der Zurückverweisung als solcher macht die Beschwerdegegnerin geltend, dass diese deshalb nicht gerechtfertigt sei, weil der betreffende, in der angefochtene Entscheidung nicht behandelte Einwand der Beschwerdeführerin von der Einspruchsabteilung ausweislich des Protokolls der ersten mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2012 inhaltlich bearbeitet worden wäre. Das Protokoll (siehe Seite 2) belege, dass die Einspruchsabteilung den Parteien gestattet habe, hierzu Argumente vorzubringen, dass sie dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen habe und dadurch zur Auffassung gekommen sei, dass die Streichung dieses Absatzes keine unzulässige Erweiterung darstelle.
Dieses Argument überzeugt indes nicht.
Der im Hinblick auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ von der Beschwerdeführerin formulierte Einwand stand der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegen. Der festgestellte Begründungsmangel betrifft somit einen tragenden Grund der angefochtenen Entscheidung. Das Fehlen einer hinreichenden schriftlichen Begründung in der angefochtenen Entscheidung stellt im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., Kap. IV.E.8.4.4) einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103 (1) a) EPÜ dar, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen sollte. Die Einspruchsabteilung hat es nämlich verabsäumt, in der Begründung ihrer Entscheidung einen entscheidungserheblichen Einwand in einer Art und Weise abzuhandeln, dass es der Beschwerdeführerin und der Kammer ermöglicht wird, den Gedankengang der Entscheidungsfindung zu verstehen und die Entscheidung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Eine solche Überprüfung ist vorliegend im Hinblick auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ nicht möglich.
Das Protokoll der ersten mündlichen Verhandlung vom 5.Dezember 2012 zeigt lediglich, dass dieser Einwand erörtert wurde und dass die Einspruchsabteilung offenbar zur Auffassung kam, die Streichung des Absatzes [15] stellte keine unzulässige Erweiterung dar. Eine Begründung dieser Schlussfolgerung ist aber weder im Protokoll vermerkt noch unmittelbar ersichtlich.
Folglich ersetzt die Diskussion vor der Einspruchsabteilung und die Erklärung der Einspruchsabteilung im ersten Verhandlungstermin nicht die nach Regel 111 (2), Satz 1 EPÜ erforderliche Begründung.
2.6 Die Beschwerdegegnerin macht schließlich das Vorliegen von besonderen Gründen im Sinne von Artikel 11 VOBK geltend, die Angelegenheit nicht zurückzuverweisen. Insbesondere sei durch eine Zurückverweisung unvermeidliche weitere erhebliche Verzögerung des Verfahrens zu befürchten, die vor allem bei Berücksichtigung der bisherigen Verfahrensdauer unannehmbar wäre. Diese Verzögerung sei auch deshalb inakzeptabel, weil mit aller Wahrscheinlichkeit keine endgültige Entscheidung vor Ablaufzeit des Streitpatents getroffen werden könne.
Obschon die Verfahrensdauer ein zulässiges Ermessenkriterium für die zu treffende Entscheidung über ein Zurückverweisung der Angelegenheit ist (siehe: Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., Kap. IV.E.7.4.5 b), und Günzel/Beckedorf in Benkard, a.a.O., Rdnrn 43 f., jeweils mit weiteren Nachweisen), führt diese vorliegend nicht dazu, dass die Kammer von einer Zurückverweisung nach Artikel 11 VOBK absieht.
Es liegt vorliegend keine besondere "Verzögerung des Verfahrens" vor bzw. ist zu erwarten. Die bisherige Verfahrendauer beträgt, für Einspruch und Beschwerde zusammen, insgesamt sieben Jahre. Diese Dauer ist noch nicht als ungewöhnlich einzustufen, zumal keine der Parteien im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren je einen Beschleunigungsantrag gestellt hat. Überdies hat auch die Beschwerdegegnerin eine Zurückverweisung beantragt, wenn auch unter einem anderen, vorliegend nicht entscheidungserheblichen Gesichtspunkt (siehe Punkt V. oben). Dies lässt darauf deuten, dass selbst die Beschwerdegegnerin die bisherige Verfahrensdauer ganz offensichtlich noch nicht als so belastend angesehen hat, dass eine Zurückverweisung unter allen Umständen vermieden werden müsste.
Überdies nimmt die Kammer zur Kenntnis, dass ausweislich der Mitteilung des EPA über das Einspruchsverfahren (Amtsblatt EPA 2016 E42) das EPA Anstrengungen unternimmt, die Dauer einfacher Einspruchsverfahren auf 15 Monate zu verkürzen. Insofern kann auch im vorliegenden Fall nach Zurückverweisung der Angelegenheit eine Entscheidung der Einspruchsabteilung in angemessener Zeit erwartet werden, jedenfalls sofern die Beteiligten keine weiteren Tatsachen, Beweismittel und Anträge vorbringen. Dabei ist eine Verfahrensbeschleunigung auf Antrag einer Partei noch nicht berücksichtigt. Entsprechendes gölte im Falle eines erneuten Beschwerdeverfahrens. Die Befürchtung der Beschwerdegegnerin, das Verfahren zöge sich über den Ablauf des Patents hin, erscheint daher als nicht durchschlagend.
Die Kammer vermag somit keine besonderen Gründe zu erkennen, die gegen einer Zurückverweisung sprächen.
3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Regel 103 (1) a) EPÜ sieht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr vor, sofern der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
Durch die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wird der Beschwerde insoweit stattgegeben. Dies erfüllt das erste vorgenannte Kriterium der Regel 103 (1) a) EPÜ.
Die unvollständige Behandlung des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 c) EPÜ seitens der Einspruchsabteilung erfüllt das weitere Kriterium dieser Regel, nämlich das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels.
Die Kammer hält bei Würdigung der Gesamtumstände des Falles eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr für geboten (siehe auch: Günzel/Beckedorf in Benkard, EPÜ, a.a.O., Rdnrn 42 und 80 ff.).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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