27 August 2015

T 1890/09 - Poisonous priority strikes again

T 1890/09

For the decision, click here (online on 23.07.2015)

Key points
  • The Board finds a claim to be not novel over an embodiment disclosed in the published priority document.
  • The Board 3.2.02 does not at all discus partial priority, although the decision was taken on 26.03.2015, while Board 3.3.06 had announced months earlier in oral proceedings to refer questions to the Enlarged Board about that issue. 
  • Credits to EdT for spotting this one (IPKat).

Sachverhalt und Anträge
I. Mit der am 10. Juli 2009 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das Patent
Nr. 1 348 394 in veränderter Form auf der Basis des damaligen Hilfsantrags I aufrechterhalten. In dem Patent wird die Priorität der früheren Anmeldung Nr. 02007218 (veröffentlicht als EP-A-1 348 393 und im Folgenden als Prioritätsdokument bezeichnet) mit Anmeldetag vom 27. März 2002 in Anspruch genommen.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte hiergegen am 21. September 2009 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 19. November 2009 eingereicht.
[...]
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
[...]
2.2 Priorität
In Anspruch 1 ist definiert, dass "das [dreidimensionale generische] Modell durch eine Datenverknüpfung auf zweidimensionaler Ebene mit patientencharakteristischen, zweidimensionalen Erfassungsdaten angepasst wird".
Im Prioritätsdokument ist dieses Merkmal nicht wörtlich offenbart. 
Als Basis gibt die Beschwerdegegnerin Anspruch 8 und den (gleichlautenden) Absatz [0022] an. 


In Absatz [0022] ist ab Zeile 55 erwähnt, dass "Bilddaten des generischen Modells, insbesondere digital rekonstruierte Röntgenbilder, und solche aus Computertomographie- oder Kernspintomographie-Bilddatensätzen [[deleted: werden]] in Deckung gebracht bzw. fusioniert [werden]". Hierbei ist zunächst zu bemerken, dass die beanspruchte Anpassung durch Datenverknüpfung mehr umfassen kann als ein spezifisches In-Deckung-Bringen oder Fusionieren und damit eine Verallgemeinerung darstellt. Wenn diese Verknüpfung wie beansprucht auf zweidimensionaler Ebene stattfinden soll, müssen auch die zur Deckung zu bringenden Datensätze zweidimensional sein. Dies ist in Absatz [0022] aber nur für den Fall offenbart, dass einerseits die Bilddaten des generischen Modells DRR [digital rekonstruierte Röntgenbilder] (also zweidimensional) sind und es sich andererseits nicht um - beliebige - "patientencharakteristische, zweidimensionale Erfassungsdaten", sondern nur um "solche", d.h., wie vorher erwähnt, ebenfalls DRR, "aus Computertomographie- oder Kernspintomographie-Bilddatensätzen" handelt. Wenn auf dieser Basis ein In-Deckung-Bringen oder Fusionieren auf zweidimensionaler Ebene als implizit offenbart angesehen werden kann, dann also nur für den Fall, dass einerseits die Bilddaten des generischen Modells DRR sind und andererseits die patientencharakteristischen Erfassungsdaten DRR aus Computertomographie- oder Kernspintomographie-Bilddatensätzen sind. Die beanspruchte Formulierung stellt also in dreierlei Hinsicht eine Verallgemeinerung dessen dar, was in Absatz [0022] offenbart ist.
In Absatz [0018] ist eine Anpassung des generischen Modells generell mit Röntgenbildern des Patienten offenbart. Die patientencharakteristischen, zweidimensionalen Erfassungsdaten müssen also nicht unbedingt DRR aus Computertomographie- oder Kernspintomographie-Bilddatensätzen sein. Diese Verallgemeinerung in Anspruch 1 ist also durch das Prioritätsdokument gestützt. Da neben dem In-Deckung-Bringen und Fusionieren in Absatz [0022] auch weitere Methoden der Anpassung des generischen Modells offenbart sind, scheint auch eine diesbezügliche Verallgemeinerung in Form des Begriffes "Datenverknüpfung" durch die Offenbarung im Prioritätsdokument gerechtfertigt. Wenn diese Verknüpfung allerdings, wie beansprucht, auf zweidimensionaler Ebene stattfinden soll, so ist dem Prioritätsdokument in keiner Weise zu entnehmen, wie dies mit jeglicher Art von dreidimensionalem generischen Modell geschehen kann. Aus dem dreidimensionalen generischen Modell muss für die Verknüpfung mit patientencharakteristischen, zweidimensionalen Erfassungsdaten auf zweidimensionaler Ebene ein zweidimensionaler Datensatz gewonnen werden. Dies ist lediglich für den Fall offenbart, dass die Bilddaten des generischen Modells DRR [digital rekonstruierte Röntgenbilder] sind. Das Weglassen dieses wesentlichen Merkmals aus dem Prioritätsdokument hat demnach einen Verlust der Priorität zur Folge.
Die Beschwerdegegnerin hat als Rechtfertigung für die Weglassung dieses Merkmals auf das Wort "insbesondere" in Zeile 55 von Spalte 4 hingewiesen. In Absatz [0022] deutet das Wort "insbesondere" vor dem Begriff "DRR" zwar an, dass dieses Merkmal in generellem Bezug auf die Bilddaten des generischen Modells fakultativ sein kann. Wenn diese Bilddaten allerdings durch In-Deckung-Bringen oder Fusionieren auf zweidimensionaler Ebene verknüpft werden sollen, müssen diese auch zweidimensional sein (und nicht etwa dreidimensional wie in Absatz [0015] erwähnt). Eine Verknüpfung zweidimensionaler Bilddaten des generischen Modells ist aber nur offenbart, wenn diese in Form von DRR vorliegen.
Aus diesem Grund kann Anspruch 1 nicht das Prioritätsrecht gemäss Artikel 87(1) EPÜ geniessen. Das dem Streitpatent zustehende effektive Datum ist also der Anmeldetag, d.h. der 26. März 2003.
2.3 Neuheit
Das Prioritätsdokument ist eine europäische Patentanmeldung und in Folge der ungültigen Priorität Stand der Technik gemäss Artikel 54(3) EPÜ.
Dieses Dokument offenbart in den Ansprüchen 1 und 8 in Verbindung mit den Absätzen [0013], [0015] und [0017] alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrages. Insbesondere fällt das oben unter Punkt 2.2 diskutierte spezifische Beispiel der letzten Variante von Anspruch 8 des Prioritätsdokuments (welches auch in Absatz [0022] wiedergegeben ist) unter die allgemeinere Definition in Anspruch 1, wonach "das [dreidimensionale generische] Modell durch eine Datenverknüpfung auf zweidimensionaler Ebene mit patientencharakteristischen, zweidimensionalen Erfassungsdaten angepasst wird".
Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ist also durch das Prioritätsdokument neuheitsschädlich im Sinne von Artikel 54(3) EPÜ vorweggenommen.

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