03 February 2022

T 0664/17 - Cogent reasons under Art.13(2) RPBA 2020

Key points

  •  The Board, in machine translation: “According to Article 13(2) RPBA 2020, it is incumbent on the party wishing to change his or her appeal case to point out exceptional circumstances with cogent reasons. In the opinion of the Board, this means that it is not itself obliged to actively check whether exceptional circumstances have existed. However, the regulation does not go so far as to restrict the Board's exercise of discretion in such a way that it can only be based on the reasons put forward by the party concerned.”
  • The OD rejected the opposition The patentee as respondent defended the claims as granted in its Appeal Reply Brief. With a letter of 08.12.2020 (after the summons), it filed a new Main Request. With a letter of 31.03.2021, after the summons for oral proceedings, it reverted to the claims as granted Main Request (with a new professional representative).
  • Reverting to the claims as granted is a case amendment. Admissibility is subject to Art.13(2) RPBA. The change of representative is no exceptional circumstance. 
  • Nevertheless, “In the present circumstances, the board sees undue hardship for the respondent if the main request - namely the maintenance of the patent as granted - were not allowed to enter the proceedings again.”
  • “it would not have been objectionable if the Respondent, instead of replacing the original main request with a new one, had supplemented the original main request with auxiliary requests. Then the board and the appellant should have discussed the main request in the matter and at least the admissibility of the auxiliary requests at the oral hearing. By allowing the reintroduction of the main request into the proceedings, the board and the appellant would be confronted with the same procedural situation. ”
  • Moreover, admitting the request did not increase procedural complexity.
  • The claims as granted are found to be not novel.
  • Auxiliary Requests 1-3, submitted after the summons, are not admitted into the proceedings.  
  • Somewhat remarkably, the Board had stated at the end of the oral proceedings that: “Die Berücksichtigung von neuem Vorbringen im Verfahren geschieht nach Maßgabe der Artikel 12 und 13 VOBK 2020 (Amtsblatt EPA 2019, A63). Die Übergangsbestimmungen für die Verfahrensordnung sind in Artikel 25 VOBK 2020 geregelt. Zusätzlich zu den dort genannten Erfordernissen muss weiteres Vorbringen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorliegen.” emhpahsis added.
    • I suppose that the Boards in principle can add further rules regarding admissibility beyond Art.13(2). 

EPO T 0664/17
Link to the decision after the jump, as well as an extract of the text of the decision.



Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde wurde entsprechend den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 und der Regel 99 EPÜ frist- und formgerecht eingelegt. Sie ist daher zulässig.

2. Zulässigkeit des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin

2.1 Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021 ist zulässig.

Die Wiedereinführung des ursprünglichen Hauptantrags (das Patent in der erteilten Fassung)stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 (anwendbar aufgrund von Artikel 25 (2) VOBK 2020) dar, deren Zulassung im Beschwerdeverfahren im Ermessen der Kammer steht.

2.2 Der Hauptantrag ist eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin.

Mit ihrer Beschwerdeerwiderung verfolgte die Beschwerdegegnerin die Zurückweisung der Beschwerde und verteidigte damit das Patent in der erteilten Fassung. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2020 ersetzte sie den Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag und mit Schreiben vom 31. März 2021 beantragte sie, den Hauptantrag vom 8. Dezember 2020 wieder durch ursprünglichen Hauptantrag zu ersetzen.

Aufgrund des Verfügungsgrundsatzes gemäß Artikel 113 (2) EPÜ kann ausschließlich ein Verfahrensbeteiligter selbst darüber entscheiden, welche Anträge er verfolgt. Mit ihrer eindeutigen Willenserklärung vom 8. Dezember 2020, den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag zu ersetzen, war der Kammer aufgrund von Artikel 113 (2) EPÜ die Befugnis entzogen, über den ursprünglichen Hauptantrag zu entscheiden (vgl. zum Beispiel T 1477/15, Gründe 14.) Die erneute Änderung der Willenserklärung vom 31. März 2021 eröffnet prinzipiell für die Kammer aufgrund des Verfügungsgrundsatzes erneut die Möglichkeit, über das Streitpatent in der erteilten Fassung zu entscheiden.

Der wiedereingeführte Hauptantrag hat den Status eines neu eingereichten Antrags, dessen Zulassung gemäß den für das betroffene Verfahren anwendbaren Vorschriften zu entscheiden ist (im Ergebnis so auch T 1613/13, Gründe 1.1 und T 1538/12, Gründe 3.1.1). Selbstverständlich wäre die Sachlage anders gewesen, wäre der ursprüngliche Hauptantrag nicht ersetzt, sondern nur um weitere Hilfsanträge ergänzt worden.

2.3 Die Änderungen des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021 wurden erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2020 beantragt. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK bleiben jedoch Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

2.4 Die Beschwerdegegnerin selbst hat keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt.

Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 31. März 2021, mit dem die Änderung des Beschwerdevorbringens beantragt wurde, enthält keinerlei explizite Gründe, die die erforderlichen außergewöhnlichen Umstände in Bezug auf die Wiedereinführung des Hauptantrags darlegen würden.

Erst während der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren brachte die Beschwerdegegnerin Gründe vor, die die Zulassung rechtfertigen sollen und zwar wie folgt.

Zuerst erklärte die Beschwerdegegnerin, sie sei nicht einverstanden, dass nur im schriftlichen Verfahren Änderungen des Vorbringens beantragt und begründet werden können. Dies sei auch in der mündlichen Verhandlung zulässig. Die Kammer kann dem nicht folgen. Entscheidend für die Natur eines Antrages als Änderung des Beschwerdevorbringens ist gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 der Zeitpunkt der Antragstellung im Vergleich zur Ladung oder einer Mitteilung nach Regel 100 (2) EPÜ.

Die Beschwerdegegnerin äußerte außerdem die Ansicht, aus der Verwendung des Begriffes "Beschwerdevorbringen" in der Verfahrensordnung ginge hervor, nur das Vorbringen der Beschwerdeführerin müsse bereits am Anfang des Beschwerdeverfahrens vollständig vorliegen. Diese Auffassung steht im direkten Widerspruch zu Artikel 12 (3) VOBK 2020, nach dem die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten müssen.

Ferner argumentierte die Beschwerdegegnerin, der schriftliche Antrag der Beschwerdeführerin, die neuen Anträge nicht zuzulassen, stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar. Die Kammer merkt hierzu an, dass die Beschwerdeführerin im Wesentlichen in der Sache nur kursorisch eingewandt hat, dass die Änderungen verspätet und aufgrund neuer Sachverhalte nicht eindeutig gewährbar seien. Nach Ansicht der Kammer stellt dies lediglich gewöhnliche Umstände in einem zweiseitigen Beschwerdeverfahren und nicht einen außergewöhnlichen Umstand dar.

Die Beschwerdegegnerin vertrat schließlich die Auffassung, dass der Vertreterwechsel vom 8. Dezember 2020 einen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Durch den Vertreterwechsel sei eine schnelle Reaktion auf die Ladung nötig gewesen. Die vorläufige Meinung der Kammer sei aber fehlerhaft, da sie angeblich Merkmale des Anspruchs übergehe. Die Beschwerdegegnerin habe darauf zunächst mit einem geänderten Hauptantrag reagiert, aber aufgrund des Zeitmangels erst später einen angeblichen Fehler in der vorläufigen Meinung festgestellt. Es müsse ihr erlaubt sein, dann noch angemessen zu reagieren.

Auch dies überzeugt die Kammer nicht. Erstens stellt ein Vertreterwechsel nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern keinen außergewöhnlichen Umstand dar (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, Juli 2019, V.A.4.8.2). Andernfalls wäre es ins Belieben einer Partei gestellt, das Verfahren zu steuern, indem strategisch ein neuer Vertreter gewählt wird. Zweitens ist objektiv zum Zeitpunkt des Vertreterwechsels keine schnelle Reaktion nötig gewesen. Die Ladung der Kammer erging am 24. Juni 2020. Der Termin für die mündliche Verhandlung war für den 5. Mai 2021 angesetzt. Der Zeitpunkt, in dem der Kammer der Vertreterwechsel mitgeteilt wurde, war der 8. Dezember 2020. Dieses Datum scheint weder mit der Ladung noch mit dem Termin in Zusammenhang zu stehen. Es mag nachvollziehbar sein, dass ein neu bestellter Vertreter versucht, durch eine zeitnahe Reaktion noch Einfluss auf den Verfahrensverlauf zu nehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht waren aber die Handlungsmöglichkeiten der Beschwerdegegnerin zu diesem Zeitpunkt bereits dadurch eingeschränkt, dass sie vor Zustellung der Ladung keine Hilfsanträge vorgelegt hatte. Die Kammer bemerkt auch, dass der subjektiv empfundene Zeitdruck der Beschwerdegegnerin im Widerspruch zu ihrer Behauptung steht, Anträge würden mündlich in der mündlichen Verhandlung gestellt. Unter diesem subjektiven Verständnis hätte sie zwischen Vertreterwechsel und mündlicher Verhandlung noch etwa fünf Monate Zeit gehabt.

Die Kammer kann aber insbesondere nicht nachvollziehen, wieso die Beschwerdegegnerin unter dem subjektiven Eindruck der Zeitnot den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag ersetzte anstelle davon, den ursprünglichen Hauptantrag aufrechtzuerhalten und durch weitere Hilfsanträge zu ergänzen. Auf diese Weise hätte sich die Beschwerdegegnerin die Möglichkeit gewahrt, den ursprünglichen Hauptantrag weiterzuverfolgen.

Damit sind die vorgetragenen Gründe der Beschwerdegegnerin allesamt nicht stichhaltig.

2.5 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 obliegt es dem Beteiligten, der sein Beschwerdevorbringen ändern möchte, mit stichhaltigen Gründe außergewöhnliche Umstände aufzuzeigen. Dies bedeutet nach Auffassung der Kammer, dass sie selbst nicht verpflichtet ist, aktiv zu prüfen, ob außergewöhnliche Umständen vorgelegen haben. Die Regelung geht aber auch nicht so weit, die Ermessensausübung der Kammer dahingehend einzuschränken, dass sie sich ausschließlich auf die vom Beteiligten vorgetragenen Gründe stützen dürfte.

2.6 Unter den vorliegenden Umständen sieht die Kammer eine unbillige Härte für die Beschwerdegegnerin, falls der Hauptantrag - und zwar die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung - nicht wieder in das Verfahren zugelassen würde.

Es wäre, wie oben dargelegt, nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Beschwerdegegnerin anstelle davon den ursprünglichen Hauptantrag durch einen neuen zu ersetzen, den ursprünglichen Hauptantrag durch Hilfsanträge ergänzt hätte. Dann hätte die Kammer und die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung über den Hauptantrag in der Sache und zumindest über die Zulässigkeit der Hilfsanträge diskutieren müssen. Durch die Zulassung der Wiedereinführung des Hauptantrages ins Verfahren sähe sich die Kammer und die Beschwerdeführerin der gleichen Verfahrenssituation gegenüber gestellt. Darüber hinaus brachte sie keine zusätzliche Komplexität mit sich und konnte von der Beschwerdeführerin und der Kammer ohne Verzögerung behandelt werden. Bei der Rücknahme und Wiedereinführung des Hauptantrages sieht die Kammer auch keinen Verfahrensmissbrauch seitens der Beschwerdegegnerin.

Die Diskussion in der mündlichen Verhandlung des ursprünglichen Hauptantrages in der Sache war auch durch das Beschwerdevorbringen der Parteien und die vorläufige Meinung der Kammer ausreichend vorbereitet, um sinnvoll in der mündlichen Verhandlung geführt zu werden. Einer der Zwecke des Artikels 13 VOBK 2020 ist es, eine Partei in ihrem Recht auf Stellungnahme nicht bei der Zulassung nachträglicher Änderungen des Vorbringens der Gegenpartei zu benachteiligen (Artikel 13 (2) VOBK 2007), etwa weil sie dieses Recht in der zur Verfügung stehenden Zeit nur unzureichend wahrnehmen kann (vgl. auch "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, Juli 2019, V.A.4.2.1). Unter den oben dargelegten Umständen des vorliegenden Falles, steht die Zulassung der Wiedereinführung des ursprünglichen Hauptantrages zu diesem Regelungszweck nicht im Widerspruch. Die Kammer bemerkt in diesem Zusammenhang allerdings, dass andere Umstände denkbar sind, bei denen eine Rücknahme und Wiedereinführung eines Antrages sehr wohl dem Regelungszweck des Artikel 13 VOBK zuwiderlaufen könnten, zum Beispiel wenn der Fall sehr komplex ist und mehrere Anträge zurückgenommen und wiedereingeführt werden sollen oder wenn dadurch der Gegenstand der bisherigen Diskussion geändert würde. In solch einem Fall könnte möglicherweise die ausreichende sorgfältige Beschäftigung und Vorbereitung eines zunächst zurückgenommen Antrages, der dann wieder eingeführt werden soll, nicht vorausgesetzt werden. Insofern ist die vorliegende Ermessensausübung der Kammer das Ergebnis einer Einzelfallbetrachtung.

Demgegenüber hätte die Verweigerung der Zulassung der Wiedereinführung des Hauptantrages vermutlich den Widerruf des Streitpatents bedeutet, da dann keine Ansprüche vorgelegen hätten, auf Grundlage derer die Kammer noch hätte entscheiden können. In Anbetracht der vorgenannten Umstände des vorliegenden Falles hätte dies eine unbillige Härte dargestellt. Daher erkennt die Kammer die Umstände des Falles als außergewöhnliche Umstände an und übt ihr Ermessen dahingehend aus, die Wiedereinführung des Hauptantrages zuzulassen.

[...]

3.6 Daher ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Druckgasschalter.

4. Zulässigkeit der Hilfsanträge I bis III

4.1 Die Hilfsanträge I bis III der Beschwerdegegnerin sind nicht zulässig.

4.2 Die Hilfsanträge wurden am 8. Dezember 2020 und 31. März 2021, mithin allesamt nach Zustellung der Ladung vorgelegt. Sie sind daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin.

4.3 Die Beschwerdegegnerin hat keine außergewöhnlichen Umstände darlegen können.

Sie vertrat die Auffassung, die Kammer habe in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK eine Frist von einem Monat vor der mündlichen Verhandlung für weitere Anträge gesetzt. Daher seien die vorgelegten Hilfsanträge gar keine Änderung. Dies ist nicht zutreffend. Die Kammer hat die Beteiligten am Ende ihrer Mitteilung folgendermaßen informiert:

"Die Berücksichtigung von neuem Vorbringen im Verfahren geschieht nach Maßgabe der Artikel 12 und 13 VOBK 2020 (Amtsblatt EPA 2019, A63). Die Übergangsbestimmungen für die Verfahrensordnung sind in Artikel 25 VOBK 2020 geregelt. Zusätzlich zu den dort genannten Erfordernissen muss weiteres Vorbringen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorliegen."

Dadurch hat die Kammer die Beteiligten weder zum Einreichen weiteren Vorbringens aufgefordert noch zum Ausdruck gebracht, dass neues Vorbringen zulässig sei, solange es nur bis spätestens einen Monat vor der Verhandlung vorliegt. Die obige Passage weist lediglich auf die existierenden Erfordernisse für die Zulassung neuen Vorbringens gemäß Artikeln 12 und 13 VOBK hin, die auch für neues Vorbringen, das innerhalb eines Monats vor der mündlichen Verhandlung eingereicht wird, gelten.

Die Tatsache, dass die vorläufige Meinung der Kammer von der für die Beschwerdegegnerin günstigen Entscheidung der Einspruchsabteilung abweicht, ist ebenfalls kein außergewöhnlicher Umstand, sondern liegt in der Natur einer ergebnisoffenen gerichtlichen Überprüfung. Das Einreichen von Hilfsanträge war daher schon zumindest mit der Beschwerdeerwiderung möglich und angemessen. Die Beschwerdegegnerin war hiervon auch nicht deshalb entbunden, weil die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung keinen gegenüber dem Einspruchsverfahren neuen Sachvortrag vorgelegt hat. Um für den Fall, dass der Hauptantrag in der Beschwerde scheitert, neue Hilfsanträge vorlegen zu können, muss die Beschwerdegegnerin nur verstehen, welchen Einwand sie eventuell auszuräumen hat, im vorliegenden Fall mangelnde Neuheit im Hinblick auf Dokument D1. Nimmt die Beschwerdegegnerin diese Möglichkeit nicht war, trägt allein sie das Risiko, dass eine spätere Änderung des Vorbringens nicht zugelassen wird.

Die Beschwerdegegnerin trug schriftlich vor, der Hilfsantrag I sei nicht verspätet, denn er sei durch die vorläufige Stellungnahme der Beschwerdekammer und die Argumentation der Beschwerdeführerin verursacht. Dies kann die Kammer nicht akzeptieren. Wie bereits weiter oben dargelegt, hat sie in der vorläufigen Meinung lediglich zu den vorliegenden Argumenten der Beschwerdeführerin und der angefochtenen Entscheidung Stellung genommen, ohne selbst neue Aspekte ins Verfahren eingeführt zu haben. Da sämtliche in der Mitteilung der Kammer behandelten Einwände bereits Gegenstand des bisherigen Verfahrens waren, kann diese Mitteilung das Vorliegen außergewöhnliche Umstände nicht begründen (siehe auch T 1187/16, Punkt 3 der Gründe). Eine nicht näher ausgeführte Behauptung, ein Hilfsantrag sei eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer, kann auch nicht als stichhaltige Gründe im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 angesehen werden, siehe hierzu insbesondere die Erklärungen zur neuen Verfahrensordnung (siehe CA/3/19, Punkt 59. auf Seite 12/78 sowie Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020), wo es heißt

"Bringt ein Beteiligter beispielsweise vor, dass die Kammer einen Einwand erstmals in einer Mitteilung erhoben hat, so muss er genau darlegen, warum dieser Einwand neu ist und nicht unter die zuvor von der Kammer oder einem Beteiligten erhobenen Einwände fällt."

Dies ist im vorliegenden Fall erkennbar nicht geschehen.

Die Beschwerdegegnerin war weiter der Ansicht, der Hilfsantrag I sei zulässig, weil er sich auf erteilte Ansprüche beschränke. Dabei übersieht sie aber die Erfordernisse des Artikels 13 (2) VOBK, gemäß derer Änderungen nach Zustellung der Ladung um zulässig zu sein in erster Linie außergewöhnlicher Umstände bedürfen. Da diese nicht vorliegen, ist die Tatsache, dass der Hilfsantrag I nur auf die Kombination erteilter Ansprüche gerichtet ist, nicht ausschlaggebend.

4.4 Die Beschwerdegegnerin hat bezüglich der Hilfsanträge II und III keine Argumente vorgetragen, die über den Vortrag zum Hilfsantrag I hinausgingen. Da, wie oben dargelegt, auch die Hilfsanträge II und III eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin darstellen und keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die ihre Zulassung dennoch rechtfertigen würden, lässt die Kammer auch die Hilfsanträge II und III nicht in das Beschwerdeverfahren zu.

5. Schlussfolgerungen

Da der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber dem aus Dokument D1 bekannten Druckgasschalter ist, steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegen. Da die Hilfsanträge I bis III der Beschwerdegegnerin nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen wurden, liegt kein Antrag vor, auf Grundlage dessen das Streitpatent aufrechterhalten werden könnte. Daher gibt die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin statt, das Patent gemäß Artikel 101 (2) EPÜ zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.


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