- If claim 1 as granted is considered to lack inventive step, Rule 80 is not prejudicial to filing auxiliary requests having multiple independent claims, each with different distinguishing features compared to claim 1 as granted.
- The Board reviews the case law regarding the difference between clarity and insufficiency of disclosure, and finds that meanwhile there is a broad consensus, or at least predominant opinion, that the question of whether the skilled person can determine whether a product falls in the scope of the claims, or not, is a matter of clarity and not of insufficient disclosure.
EPO T 2290/12 - link
Entscheidungsgründe
3. Hauptantrag
3.1 Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ 1973)
Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass der Fachmann wissen muss, wann er im Schutzbereich der Ansprüche arbeitet und sich dabei auf die Entscheidungen T 464/05 bzw. T 256/87 berufen.
Die Entscheidung T 256/87 vom 26. Juli 1988 hat den ihr vorliegenden Anspruch, der eine chemische Zusammensetzung betraf, als klar im Sinne von Artikel 84 EPC 1973 befunden und sich dann die Frage gestellt, ob die technische Lehre der Beschreibung ausreicht, um den Fachmann in die Lage zu versetzen, die Erfindung auszuführen, so dass er einerseits feststellen kann, ob eine Zusammensetzung in den beanspruchten Bereich fällt, und andererseits befähigt ist, eine solche Zusammensetzung herzustellen (siehe Punkt 10 der Entscheidungsgründe).
Dieser Ansatz verknüpft also die Ausführbarkeit der Erfindung mit ihrer genauen Abgrenzung.
Die Entscheidung T 256/87 wurde erst ab dem Jahr 2003 von anderen Entscheidungen aufgegriffen, und zwar auf zweierlei Art:
Zwischen 2004 und 2007 hat die Kammer 3.2.06 in vier Entscheidungen (nämlich T 387/01, T 252/02, T 611/02 und die schon genannte Entscheidung T 464/05) zum Ausdruck gebracht, dass der Fachmann wissen muss, ob er sich innerhalb des Schutzbereichs des Anspruchs befindet, um die beanspruchte Erfindung ausführen zu können.
Dieser Ansatz scheint seither von den Kammern nicht mehr weiterverfolgt worden zu sein; die einzige der Kammer bekannte Entscheidung, die dieser Logik folgt (aber ohne die früheren Entscheidungen zu zitieren) ist die Entscheidung T 18/08 (siehe Punkt 4.2.4 der Entscheidungsgründe).
Im Gegensatz dazu haben andere Kammern, insbesondere im Bereich der Chemie, den Ansatz der Entscheidung T 256/87 in Frage gestellt und zum Ausdruck gebracht, dass die Abgrenzung des Schutzbereichs eher die Klarheit (Artikel 84 EPÜ) als die Ausführbarkeit der Erfindung betrifft. Der Kammer sind mehr als zwanzig Entscheidungen in diesem Sinn bekannt. Die Entscheidungen T 1948/10, T 608/12, T 2331/11 und T 1507/10 sind Beispiele jüngeren Datums.
Die Kammer schließt daraus, dass sich mittlerweile weitgehend ein Konsens oder zumindest eine vorherrschende Meinung gebildet hat, der zufolge die Frage, ob der Fachmann feststellen kann, ob ein Gegenstand in den beanspruchten Bereich fällt oder nicht, ein Erfordernis der Klarheit und nicht der Ausführbarkeit darstellt (siehe dazu auch "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 8. Auflage, 2016, Punkt II.C.7.2). Die Kammer teilt diese Sicht der Dinge.
Die Entscheidung T 608/07 (Punkt 2.5.2 der Entscheidungsgründe) weist im Übrigen auf die Notwendigkeit hin, darauf zu achten, dass ein Einwand der Unausführbarkeit nicht ein versteckter Klarheitseinwand ist ("... care has to be taken that an insufficiency objection arising out of an ambiguity is not merely a hidden objection under Article 84 EPC ...").
Das bedeutet nicht, dass ein Klarheitsmangel nicht zu einer Unausführbarkeit der Erfindung führen kann. Allerdings genügt es in einem solchen Fall nicht, darzulegen, dass der Anspruch nicht klar ist. Es ist vielmehr erforderlich, aufzuzeigen, dass der Klarheitsmangel das Patent als Ganzes betrifft und zwar derart, dass der Fachmann - der auch auf die Beschreibung und sein allgemeines Fachwissen zurückgreifen kann - sich außerstande sieht, die Erfindung auszuführen (vgl. T 1886/06, Punkt 1.4.2 der Entscheidungsgründe ; T 593/09, Punkt 4.1.4 der Entscheidungsgründe).
Alle von der Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit Artikel 100 b) EPÜ 1973 erhobenen Einwände (siehe Punkt 4.1 der Beschwerdeerwiderung vom 15. März 2013) sind Einwände, die die genaue Abgrenzung des Schutzbereichs betreffen, und somit Klarheitseinwände. Da der Hauptantrag den erteilten Ansprüchen entspricht, kann die Kammer diese Klarheitseinwände nicht berücksichtigen (siehe die Entscheidung G 3/14 der Grossen Beschwerdekammer, ABl. EPA 2015, A102).
Dass der Fachmann außerstande ist, die Erfindung auszuführen, wurde von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht.
Deshalb ist die Kammer zum Schluss gelangt, dass Artikel 100 b) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegensteht.
3.3 Schlussfolgerung
Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich für den Fachmann angesichts seines allgemeinen Fachwissens in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschrift E1, welche zum Stand der Technik gehört.
Dem Hauptantrag kann daher nicht stattgegeben werden.
4. Hilfsanträge
4.1 Vielzahl unabhängiger Ansprüche
Die Beschwerdegegnerin hat in der Tatsache, dass manche der Hilfsanträge eine Vielzahl von unabhängigen Ansprüchen enthalten, die in ganz unterschiedlicher Weise gegen den Stand der Technik abgegrenzt sind, wobei manche neuen Merkmale aus der Beschreibung aufgenommen wurden, einen Verstoß gegen die Regel 80 EPÜ gesehen.
Die Regel 80 EPÜ legt fest, dass die Patentansprüche und die Zeichnungen geändert werden können, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sind.
Die Einspruchsabteilung ist zum Schluss gekommen, dass der einzige unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents nicht erfinderisch ist. Die Beschwerdeführerin hat daher versucht, Teilbereiche des erteilten Anspruchs 1, die ihrer Meinung nach als erfinderisch zu gelten haben, mittels mehrerer unabhängiger Ansprüche abzudecken. Solange kein Verfahrensmissbrauch vorliegt oder eine unangemessen große Zahl von unabhängigen Ansprüchen eingereicht wird, ist diese Vorgangsweise grundsätzlich legitim. Da die erfinderische Tätigkeit einen Einspruchsgrund darstellt, liegt jedenfalls kein Verstoß gegen die Regel 80 EPÜ vor.
Die Frage der Zulässigkeit der Anspruchsätze könnte sich möglicherweise im Hinblick auf das Gebot der knappen Fassung (Artikel 84 EPÜ) stellen, oder im Hinblick darauf, dass die Patentinhaberin die Veranlassung und die Möglichkeit hatte, die jetzigen Hilfsanträge schon der Einspruchsabteilung vorzulegen (Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern). Da die Beschwerdegegnerin keinen derartigen Einwand erhoben hat, sieht die Kammer keinen Bedarf, darauf näher einzugehen.
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