19 November 2020

T 0074/17 - Harmless error and much more

Key points

  • Today's post can be filed under ‘advanced appellate procedure’ and deals with ‘harmless error’, though that is the term in US law. “In United States law, a harmless error is a ruling by a trial judge that, although mistaken, does not meet the burden for a losing party to reverse the original decision of the trier of fact on appeal, or to warrant a new trial.” (wikipedia)
  • In EPO terms, a substantial procedural violation of the first instance department is only a ground for setting aside the impugned decision (and remitting the case) if it has a causal link with the order of the decision.
  • In this case, the OD does not admit patentee's Main Request and patentee files a new Main Request. Patentee then complains in appeal that the OD's decision to hold the (first) Main Request inadmissible was a substantial procedural violation requesting remittal of the case.
  • The Board does not agree or more precisely, considers the question irrelevant. “Daraus folgt nach Auffassung der Kammer, dass ein behaupteter Verfahrensmangel nur dann in einer Beschwerde berücksichtigt werden kann, wenn er sich auf die beschwerdefähigen Teile einer Entscheidung ausgewirkt hat, d.h. wenn er die Partei beschwert hat.” 
  • The Board explains that the OD's conclusion that the (first) Main Request was not admitted, was not yet the final decision. The Board, in German: “Jedoch war das Einspruchsverfahren nach der Verkündung der Nichtzulassung des ersten Hauptantrags noch nicht beendet. Durch die Rücknahme konnte die erst lediglich als verfahrensführende Entscheidung wirkende Nichtzulassung eine materielle Rechtswirkung nicht mehr entfalten in dem Sinne, dass die abschließende Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung keine Entscheidung mehr über den ersten Hauptantrag, d.h. weder über dessen Nichtzulassung noch über die Nichtgewährbarkeit enthalten müsste. ”
  • The Board indicates that there could be an exception if the OD presses the patentee to give up the inadmissible main request. 
  • The Board appears to indicate that a request must be maintained as higher ranking than the requests decided on by the OD. “Dementsprechend muss die Kammer feststellen, dass der erste Hauptantrag durch seine Ersetzung durch den zweiten Hauptantrag implizit zurückgezogen wurde, oder jedenfalls nicht höherrangig war als alle in der Entscheidung behandelten weiteren Anträge.”
  • Hence, this also deals with the implicit withdrawal of a request.

    A number of rules can  be inferred from the decision:
  • Filing a new main request implies withdrawal or at least the non-maintenance of the previous main request.
  • A conclusion of an OD that a request is not admissible is not a decision not to admit. If the request is subsequently withdrawn but the  OD nevertheless includes the reasons for inadmissibility on the written decision, these reasons are obiter and still not a 'decision not to admit' in the sense of Art. 12(6)(s.1).
  • A withdrawal of a request during the first instance proceedings may be non-prejudicial for admissibility of the request in appeal if the withdrawal was made under pressure.
  • Non-maintenance in the sense of Art. 12(6)(s.2) refers to maintaining as higher ranking than the requests decided on (found allowable) by the OD.






  • The Board's reference to Art. 107 [see the full decision text] is not entirely clear to me. Typically, Article 107 (adversely affected) is analysed only with respect to the order of the decision - the opponent can not appeal if the OD revokes the patent finding the claims to be novel but not inventive. 
  • A number of requests are not admitted, the other requests involve added subject-matter. The patent is revoked. 
    • "Diese Hilfsanträge 1, 4, 7 und 8 scheinen dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen IV, VIII und IX zu entsprechen, die mit Schreiben vom 5. September 2016 eingereicht, aber in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht weiterverfolgt wurden. Eine Nicht-Weiterverfolgung kommt einer impliziten Rücknahme gleich. " (see Art. 12(6)(s.2) RPBA 2020)


EPO T 0074/17 -  link



3. Hauptantrag - Antrag auf Zurückverweisung und wesentliche Verfahrensmängel

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern setzt eine zulässige Beschwerde eine Beschwer der beschwerdeführenden Partei durch die angefochtene Entscheidung voraus, Artikel 107 EPÜ, siehe weiter Rechtsprechung der Beschwerdekammer (RSBK), 9. Auflage, 2019, V.A.2.4.2.a). Dieser Grundsatz gilt für alle Arten von Beschwerden und auch für solche, deren Gegenstand ein wesentlicher Verfahrensmangel des Verfahrens vor der Abteilung ist, deren Entscheidung angefochten wird. Das Vorliegen einer Beschwer ist jedoch auf der Grundlage der der Entscheidung zugrunde liegenden Anträge und der Ergebnisse der Entscheidung zu beurteilen (RSBK V.A.2.4.2.a). Es ist auch ständige Rechtsprechung, dass ein Verfahrensmangel nur dann als wesentlicher anerkannt wird, wenn er in einem kausalen Zusammenhang mit der Entscheidung steht, in dem Sinne, dass das Ergebnis der Entscheidung von dem behaupteten Verfahrensmangel abhängig sein muss (RSBK V.A.9.5.2).


3.2 Daraus folgt nach Auffassung der Kammer, dass ein behaupteter Verfahrensmangel nur dann in einer Beschwerde berücksichtigt werden kann, wenn er sich auf die beschwerdefähigen Teile einer Entscheidung ausgewirkt hat, d.h. wenn er die Partei beschwert hat. Verfahrensmängel, die lediglich nicht beschwerdefähige Aspekte einer Entscheidung betreffen, sind für die Entscheidung über die Beschwerde nicht relevant, und aus diesem Grund braucht die Kammer nicht festzustellen, ob sie wesentlich sind oder nicht. Im Umkehrschluss zeigt dies, dass dann solche Verfahrensmängel in keinem Kausalzusammenhang zu den Ergebnissen der angefochtenen Entscheidung stehen. Dementsprechend können diese Verfahrensmängel auch aus diesem Grund als nicht wesentlich angesehen werden, ohne dass weiter untersucht wird, ob das Verfahren ansonsten korrekt war oder nicht.

3.3 Die Patentinhaberin hat das Protokoll der mündlichen Verhandlung an sich nicht gerügt, vielmehr hat sie dies zur Unterstützung ihre eigene Argumente auch herangezogen. Auch der Ablauf der mündlichen Verhandlung, wie er sich aus dem Protokoll ableiten lässt, war an sich unstrittig. Die strittige Frage zwischen den Parteien war lediglich die rechtliche Bewertung der Ereignisse. Dementsprechend muss die Kammer feststellen, dass der erste Hauptantrag durch seine Ersetzung durch den zweiten Hauptantrag implizit zurückgezogen wurde, oder jedenfalls nicht höherrangig war als alle in der Entscheidung behandelten weiteren Anträge.

3.4 Im vorliegenden Fall kann die Patentinhaberin im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge nur die Zurückweisung des zweitgestellten Hauptantrags und des Hilfsantrags I zulässig mit ihrer Beschwerde anfechten. Der erste Hauptantrag war nicht mehr im Verfahren, nachdem er durch den zweiten Hauptantrag ersetzt wurde. Dementsprechend war die Einspruchsabteilung nicht mehr befugt, über ihn zu entscheiden, und selbst seine Nichtzulassung hätte nicht einmal in der Begründung der schriftlichen Entscheidung erörtert werden müssen.

3.5 Die Patentinhaberin argumentiert zum fehlenden Kausalzusammenhang wie folgt:


"Da durch die Nichtzulassung des fristgerecht gestellten Hauptantrags der Patentinhaberin bereits ein Kausalzusammenhang mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung verwirklicht wurde, bevor die Patentinhaberin in Reaktion auf diese - aus unserer Sicht zu diesem Zeitpunkt überraschende und in der Sache falsche - Entscheidung eine Umnummerierung der gestellten Anträge vorgenommen hat, ist der Kausalzusammenhang zur verkündeten Entscheidung der Einspruchsabteilung jedoch bereits verwirklicht worden, bevor die Umnummerierung der gestellten Anträge vorgenommen wurde." (Eingabe vom 13. August 2020, Seite 2, 2. Absatz).


3.6 Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Die verfahrens- und materiellrechtliche Wirkung der Nichtzulassung des (ersten) Hauptantrags wäre nur dann durch die Verkündung der endgültigen Entscheidung (d.h. vorliegend die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags II) rechtswirksam geworden, wenn die Patentinhaberin den ersten Hauptantrag aufrechterhalten hätte. Jedoch war das Einspruchsverfahren nach der Verkündung der Nichtzulassung des ersten Hauptantrags noch nicht beendet. Durch die Rücknahme konnte die erst lediglich als verfahrensführende Entscheidung wirkende Nichtzulassung eine materielle Rechtswirkung nicht mehr entfalten in dem Sinne, dass die abschließende Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung keine Entscheidung mehr über den ersten Hauptantrag, d.h. weder über dessen Nichtzulassung noch über die Nichtgewährbarkeit enthalten müsste. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in der Entscheidung der Einspruchsabteilung die Nichtzulassung des ersten Hauptantrags (Punkte 1.1 bis 1.5) doch behandelt wird. Diese Teile sind zwar formell Teil der Entscheidung, ihr Inhalt bildet durch die frühere Rücknahme keinen Gegenstand der Entscheidung, der beschwerdefähig wäre. Diese Teile der Entscheidung sind nicht mehr als ein "obiter dictum".

3.7 Diese Würdigung der Kammer wird auch nicht durch das Argument entkräftet, dass die Nichtzulassung des ersten Hautantrags die Patentinhaberin überrascht habe, und diese Überraschung dann ursächlich war für die implizite Rücknahme. Es ist nicht ersichtlich, dass die Patentinhaberin in irgendeiner Weise gezwungen wurde, ihren damals anhängigen Hauptantrag vollständig aufzugeben. Für die Kammer ist kein Umstand, wie etwa Zeitdruck o.Ä. erkennbar, der sie daran ernsthaft gehindert hätte, den Antrag aufrechtzuerhalten und die weiteren Anträge als nachrangige Hilfsanträge zu verfolgen.

3.8 Im Ergebnis stellt die Kammer fest, das die gerügten Verfahrensschritte der Einspruchsabteilung keine wesentlichen Verfahrensmängel darstellen. Dementsprechend kann dem Hauptantrag der Patentinhaberin - Zurückverweisung nach Artikel 111(1) EPÜ und Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1) a) EPÜ - nicht stattgegeben werden.

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