15 April 2020

T 2475/17 - Ordering a different ED composition

Key points

  • In this examination appeal, the ED had based its decision on a wrong version of the pending claims. The Board acknowledges this as a substantial procedural violation and remits the case. The applicant had requested the Board to order a different composition of the ED after the remittal.
  • The Board recalls a body of case law according to which the Board are not competent to order a different composition of the first instance department after remittal. 
  • “Die Kammern haben mehrmals festgestellt, dass das EPÜ keine Rechtsgrundlage bietet, die es den Kammern erlauben würde, sich an die Stelle der Amtsleitung zu setzen und eine Änderung der Zusammensetzung des erstinstanzlichen Entscheidungsorgans anzuordnen [...]. Da die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs dem Präsidenten des Amts bzw. seinen Vertretern und nicht dem Organ selbst obliegt, kann Artikel 111 (1) EPÜ ein solches Vorgehen in der Tat nicht rechtfertigen.”
  • The Board acknowledges that there is an exception in those cases where the composition of the first instance department was the root cause for the substantial procedural violation, in particular, if a justified concern exists that one or more members of the first instance department are not impartial.
  • “Zum anderen gab es auch Fälle, in denen die Kammer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs festgestellt und den Fall mit der Auflage an die erste Instanz zurückverwiesen hat, die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs zu ändern. Beispiele dafür sind [T628/95, T433/93, T95/04 and T2362/08]. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs den Erfordernissen von Artikel 19 (2) EPÜ nicht entsprochen hatte, kann hier nicht ipso facto von einer impliziten Notwendigkeit der Änderung der Zusammensetzung gesprochen werden. Die Kammer ist also nur dann befugt, eine Änderung der Zusammensetzung anzuordnen, wenn sie zum Schluss gelangt, dass die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs die eigentliche Ursache für die Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt und die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur durch eine Änderung der Zusammensetzung geheilt werden kann, also insbesondere in dem Fall, in dem die berechtigte Besorgnis besteht, dass ein oder mehrere Mitglieder des erstinstanzlichen Organs befangen sind. Wie schon dargelegt, ist die bloße Tatsache, dass das rechtliche Gehör verletzt wurde, nicht ausreichend, um eine solche Besorgnis zu rechtfertigen.
    • T628/95: OD had not appointed oral proceedings as requested; no mention at all of impartiality.
    • T433/93 hn.2 “If a party has reasonable grounds to suspect that the same composition of opposition division would be tainted by the previous decision and therefore partial, at the request of that party the case should be reheard before a different composition of opposition division.” R.2: “In the present case, since the opposition division has already issued a written decision containing reasons for revoking the patent, in the board's judgment the proprietor has reasonable grounds to suspect that the same composition of opposition division would have difficulty in rehearing and deciding the case without being tainted by its previous decision (as reflected by the proprietor's request for rehearing before a different composition). It is therefore clearly in the interest of the proper administration of justice within the EPO that this case should be reheard and re-decided by a different composition of opposition division.”
    • T95/04 : “The Examining Division has decided in the decision under appeal that the subject-matter of the claims is not new and further expressed its view that the application does not contain any patentable subject-matter.”
    • T2362/08: “However, after substantial procedural irregularities in the first proceedings, it is fundamental that the parties have no ground to suspect in the further proceedings that they have not received a fair hearing, as they might well do if the same opposition division were again to revoke the patent even after conducting the proceedings in an impeccable way.”



EPO T 2475/17 -  link

Entscheidungsgründe


1. Wesentlicher Verfahrensfehler (Artikel 113 (2) EPÜ)

1.1 Die Begründung in der angefochtenen Entscheidung zum Anspruch 1 des damaligen Hauptantrages beruht nicht auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 in der von der Anmelderin vorgelegten Fassung.

1.2 Die ursprüngliche eingereichte Fassung der Anmeldung hatte 31 Ansprüche.

[...]

1.4 Die von der Kammer unterstrichenen Merkmale fehlen in der Wiedergabe des Anspruchs im Abschnitt 15.2 in der angefochtenen Entscheidung. Diese fehlenden Merkmale werden auch nicht in der Begründung bezüglich der mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 berücksichtigt, so dass diese Entscheidung einerseits nicht ausreichend begründet ist und sich andererseits nicht mit der von der Anmelderin vorgelegten Fassung des Anspruchs 1 auseinandersetzt.

Somit liegt bereits ein wesentlicher Verfahrensfehler vor (Artikel 113 (2) EPÜ und Regel 111 (2) EPÜ).


Nach Artikel 11 VOBK 2020, der nach den Vorschriften der Artikel 24 (1) und 25 (1) VOBK 2020 hier anzuwenden ist, stellt das Vorliegen wesentlicher Verfahrensmängel einen besonderen Grund dar, der für eine Zurück­verweisung der Angelegenheit an das Organ der ersten Instanz spricht.

Die Kammer hat daher entschieden, die Sache in Anwendung von Artikel 111 (1) EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen, wobei die Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels in voller Höhe zurückzuzahlen ist (Regel 103 (1) a) EPÜ).

1.5 In der angefochtenen Entscheidung liegen noch etliche weitere Fehler vor, die die Beschwerdeführerin in den Punkten 2.1 und 2.2 ihrer Beschwerdebegründung aufzählt.

In dieser Aufzählung kann die Kammer lediglich dem Einwand zum Punkt 20.1 der angefochtenen Entscheidung nicht folgen, weil die Prüfungsabteilung sich in diesem Punkt eindeutig auf das allgemeine Fachwissen ("fachübliche") bezieht, und für dieses Fachwissen auf die Druckschriften D8 und D11 verweist. Somit ist der von der Prüfungsabteilung zugrundegelegte Ausgangspunkt das allgemeine Fachwissen des Fachmanns (siehe auch Punkt 17.3 der angefochtenen Entscheidung).

2. Mündliche Verhandlung vor der Kammer

Da die Kammer den Anträgen der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung und Rückzahlung der Beschwerdegebühr stattgibt, ist eine mündliche Verhandlung vor der Kammer nicht erforderlich.

3. Änderung der Zusammensetzung der Prüfungsabteilung

Die Beschwerdeführerin hat beantragt, dass die Kammer anordnen solle, dass das Prüfungsverfahren von einer vollständig anders besetzten Prüfungsabteilung durchgeführt wird.

3.1 Grundsätzliches

3.1.1 Wie von der Großen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 5/91 vom 5. Mai 1992 (veröffentlicht im ABl. EPA 1992, 617) dargelegt wurde, gilt das Gebot der Unparteilichkeit grundsätzlich auch für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA, die an Entscheidungen mitwirken, die die Rechte eines Beteiligten berühren. Es kann daher unter Umständen erforderlich sein, bei der Zurückverweisung eines Falls an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung eine Änderung der Zusammensetzung vorzunehmen.

Dazu ist es nicht erforderlich, dass die Befangenheit der Mitglieder des Organs, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, faktisch gegeben ist. Wie in der Entscheidung G 1/05 der Großen Beschwerdekammer vom 7. Dezember 2006 (ABl. EPA 2007, 362, Punkt 19 der Entscheidungsgründe) festgestellt wurde, ist eine Änderung der Zusammensetzung nicht nur dann gerechtfertigt, wenn tatsächlich eine Befangenheit gegeben ist, sondern auch, wenn eine begründete Besorgnis, d.h. ein Anschein, der Befangenheit vorliegt. Jedoch muss der Anschein der Befangenheit auf objektiver Grundlage begründet sein; rein subjektive Eindrücke oder vage Verdächtigungen reichen hierfür nicht aus (G 1/05, supra, Punkt 20 der Entscheidungs­gründe).

3.1.2 Die bloße Tatsache, dass ein wesentlicher Verfahrensfehler begangen wurde, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass ein Anschein der Befangenheit vorliegt. Dies ist unter anderem aus dem Vorgehen der Großen Beschwerdekammer in den Fällen, in denen sie einem Antrag auf Überprüfung gemäß Artikel 112a EPÜ stattgegeben hat, weil ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vorlag (siehe Artikel 112a (2) c) EPÜ), ersichtlich (R 7/09 vom 22. Juli 2009, R 3/10 vom 22. September 2011, R 15/11 vom 13. Mai 2013, R 21/11 vom 15. Juni 2012, R 16/13 vom 8. Dezember 2014, R 2/14 vom 22. April 2016, R 3/15 vom 28. November 2017 und R 4/17 vom 29. Januar 2018). Obwohl die Regel 108 (3) EPÜ diese Möglichkeit explizit vorsieht, hat die Große Beschwerdekammer in keinem dieser Fälle eine Änderung der Besetzung der Kammer angeordnet. In den Fällen R 15/11, R 21/11, R 16/13 und R 3/15 wurde der Antrag auf eine Änderung der Besetzung durch die Große Beschwerdekammer sogar ausdrücklich zurückgewiesen.

3.1.3 Wie in der Entscheidung T 71/99 vom 20. Juni 2001 (Punkt 4 der Entscheidungsgründe) dargelegt wurde, untersteht die Organisation der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen, und insbesondere ihre Zusammensetzung, der Leitung des Präsidenten des Europäischen Patentamts (Artikel 10 (2) a) und i) EPÜ), wobei diese Verantwortung in der Praxis einem Direktor übertragen wird, der dem Vizepräsidenten und dem betreffenden Hauptdirektor untersteht. Wenn also unter bestimmten Umständen eine Partei eine Änderung der Zusammensetzung der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung beantragt, muss die Angemessenheit dieser Änderung von dem für die Zusammensetzung der Abteilungen zuständigen Organ geprüft werden. Die Zusammensetzung der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung kann jedoch später im Wege einer Beschwerde gegen deren Endentscheidung oder ggf. gegen eine beschwerdefähige Zwischenentscheidung gemäß Artikel 106 (2) EPÜ angefochten werden (siehe Entscheidung G 5/91, supra, Leitsatz 2).

3.1.4 Die Kammern haben mehrmals festgestellt, dass das EPÜ keine Rechtsgrundlage bietet, die es den Kammern erlauben würde, sich an die Stelle der Amtsleitung zu setzen und eine Änderung der Zusammensetzung des erstinstanzlichen Entscheidungsorgans anzuordnen (siehe T 1221/97, Punkt 5 der Entscheidungsgründe, T 71/99, Punkt 4, T 400/02, Punkt 5.3, T 1081/02, Punkt 6, T 2509/11, Punkt 13.3, T 2111/13, Punkt 8; vgl. T 838/02, Punkt 8, T 1049/11, Punkt 14, und T 1088/11, Punkt 22.1). Da die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs dem Präsidenten des Amts bzw. seinen Vertretern und nicht dem Organ selbst obliegt, kann Artikel 111 (1) EPÜ ein solches Vorgehen in der Tat nicht rechtfertigen.

Dieses Verständnis der Rechtslage mag erklären, warum die Kammern selbst in Fällen, in denen sie eine Änderung der Zusammensetzung für angemessen oder wünschenswert hielten, keine entsprechende Anordnung trafen (siehe T 1065/99, Punkt 14 der Entscheidungs­gründe, T 611/01, Punkt 7, T 1309/05, Punkt 4.2).

3.1.5 Dessen ungeachtet liegen auch Entscheidungen vor, in denen eine Kammer eine Änderung der Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs angeordnet hat.

Dies betrifft zum einen Fälle, in denen die angefochtene Entscheidung den Erfordernissen gemäß Artikel 19 (2) EPÜ nicht entsprach. Beispiele dafür sind die Entscheidungen T 251/88 vom 14. November 1989, T 939/91 vom 5. Dezember 1994, T 476/95 vom 20. Juni 1996, T 825/08 vom 8. Mai 2009, T 135/12 vom 7. Dezember 2012, T 1788/14 vom 15. Februar 2016 und T 2582/11 vom 9. Mai 2016. Hier ist die Anordnung einer anderen Besetzung durch die Kammer dadurch gerechtfertigt, dass ein eindeutiger Verfahrensfehler vorliegt und das erstinstanzliche Organ nur dann eine den Erfordernissen des EPÜ entsprechende Entscheidung treffen kann, wenn ihre Besetzung entsprechend korrigiert wird. Die Befugnis der Kammer, eine Änderung der Zusammensetzung anzuordnen, ergibt sich in dieser Konstellation somit implizit aus ihrer Aufgabe, die erstinstanzliche Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Hätte die Kammer eine entsprechende Befugnis nicht, dann gäbe es keinen Weg, gesetzeswidrige Zusammensetzungen des erstinstanzlichen Organs in einer verbindlichen Art und Weise zu berichtigen.

Zum anderen gab es auch Fälle, in denen die Kammer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs festgestellt und den Fall mit der Auflage an die erste Instanz zurückverwiesen hat, die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs zu ändern. Beispiele dafür sind die Entscheidungen T 628/95 vom 13. Mai 1996, T 433/93 vom 6. Dezember 1996, T 95/04 vom 29. September 2004 und T 2362/08 vom 14. März 2011. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs den Erfordernissen von Artikel 19 (2) EPÜ nicht entsprochen hatte, kann hier nicht ipso facto von einer impliziten Notwendigkeit der Änderung der Zusammensetzung gesprochen werden. Die Kammer ist also nur dann befugt, eine Änderung der Zusammensetzung anzuordnen, wenn sie zum Schluss gelangt, dass die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs die eigentliche Ursache für die Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt und die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur durch eine Änderung der Zusammensetzung geheilt werden kann, also insbesondere in dem Fall, in dem die berechtigte Besorgnis besteht, dass ein oder mehrere Mitglieder des erstinstanzlichen Organs befangen sind. Wie schon dargelegt, ist die bloße Tatsache, dass das rechtliche Gehör verletzt wurde, nicht ausreichend, um eine solche Besorgnis zu rechtfertigen.

Ergänzend sei noch angemerkt, dass die Kammer sich mit der Anordnung einer geänderten Zusammensetzung nicht an die Stelle des Präsidenten des Amts setzt, denn die eigentliche Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs obliegt nach wie vor dem Präsidenten bzw. dessen Vertretern. Die Anordnung der Kammer beschränkt sich darauf, dass die Zusammensetzung zu ändern ist, damit das Recht der Parteien auf ein faires und rechtmäßiges Verfahren gewährleistet werden kann. Der Umfang der Änderung bzw. welches Mitglied der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung durch wen ersetzt wird, bleibt den dafür zuständigen Stellen überlassen.

3.2 Anwendung auf den vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dargelegt, dass die oben unter Punkt 1 festgestellten Verfahrensfehler in der Zusammensetzung der Prüfungsabteilung begründet sind. Es ist für die Kammer bei objektiver Betrachtung insbesondere nicht offenkundig, dass ein oder mehrere Mitglieder der Prüfungsabteilung befangen sind. Die bloße Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die festgestellten Verfahrensfehler eine Befangenheit zum Ausdruck bringen und deshalb zu befürchten ist, dass die Prüfungsabteilung bei der Fortsetzung des Verfahrens voreingenommen agieren würde, kann eine Anordnung der Änderung der Zusammensetzung der Prüfungsabteilung nicht rechtfertigen.

Die Kammer sieht sich daher außerstande, dem Antrag der Beschwerdeführerin auf eine Zurückverweisung an eine Prüfungsabteilung in geänderter Besetzung stattzugeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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