1 April 2020

T 0136/16 - Do not wait for the Board's preliminary opinion

Key points

  • In this opposition appeal, the opponent is the appellant. The Board disagrees with the narrow claim interpretation adopted by the OD, interprets claim 1 broadly and finds it to be not novel. The opponent had contested the narrow claim interpretation by the OD in detail in its Statement of grounds. After receiving the (probably negative) preliminary opinion of the Board, the patentee files two new auxiliary requests. The Board does not admit these requests: they should have been filed by the patentee as the respondent in its Statement of response (currently Art.12(1)(c)  RPBA 2020). 
  • The Board notes that the patentee could not have assumed that the Board would follow the OD, in view of opponent's detailed arguments in its Statement of grounds: “Die Beschwerdegegnerin [patentee] hätte also bereits mit ihrer Erwiderung Anlass gehabt, die vorgenommene Änderung durchzuführen, die auf dem zuvor umfänglich diskutierten Sachverhalt, insbesondere Absatz 7 des Patents, beruht. Die Beschwerdegegnerin [patentee] hatte keinen Anlass davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer in jedem Fall der Linie der Einspruchsabteilung und Beschwerdegegnerin [patentee] folgen würde. Dass die Vielzahl der vorgetragenen Angriffe ohne eine vorläufige Beurteilung der Kammer der Formulierung sinnvoller Hilfsanträge entgegengestanden hätte, überzeugt die Kammer im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" in nahezu allen vorgetragenen Einwänden nicht. Zudem sieht die Kammer unter diesen Umständen und entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin die Vorlage von Hilfsanträgen mit dieser Änderung erst zu diesem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren als der Verfahrensökonomie abträglich an.”
  • The Board also reimbursed the appeal fee in full because of a substantial procedural violation by the OD. The OD had not admitted the inventive step attacks, presented by the opponent during the oral proceedings, which were based on the documents that were found to be not novelty destroying by the OD. The OD gave as reasons in the decision that no convincing reasons had been given why these new attacks were more relevant as the earlier presented inventive step attacks based on other documents, such that the attacks were not prima facie relevant. The Board concludes that the minutes do not show that the opponent was given an opportunity by the OD to present its arguments in favor of the prima facie relevance. The minutes of the oral proceedings before the OD do not show any discussion of prima facie relevance of the new attacks. This is a violation of the right to be heard and a substantial procedural violation. Moreover, the opponent's appeal is successful, such that the appeal fee is reimbursed. 





EPO T 0136/16 -  link


Sachverhalt und Anträge


I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 1 666 398 durch die Einspruchsabteilung eingelegt.

II. Aus dem Verlauf des Einspruchsverfahrens ist folgender Sachverhalt für die hier zu treffende Entscheidung über die Beschwerde relevant.

a) Der Einspruch war unter anderem gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) in Verbindung mit 54 und 56 EPÜ.

[...]

c) Neuheitseinwände wurden in der Einspruchsschrift auf Grundlage von E1 bis E3 erhoben, erfinderische Tätigkeit wurde nur ausgehend von E4 oder E6 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit E5 angegriffen.


d) Vor der Einspruchsabteilung fand eine mündliche Verhandlung statt.

e) Auf Seite 2 der Niederschrift über die Verhandlung hat die Einspruchsabteilung eine Phase des Verlauf in folgender Weise festgehalten:

"[zu Punkt 3 Neuheit] Um 11.42 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, dass Anspruch 1 gegenüber E1-E3 und E5 neu ist.
4 Erfinderische Tätigkeit
Die Parteien diskutieren über die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination der Dokumente E4+E5 und E6+E5.
Die Einsprechende beantragt zusätzliche Angriffe, gestützt auf die Dokumente E1-E3 zur Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit zuzulassen.
Der Patentinhaber beantragt, die zusätzlichen Anträge aus verfarhensökonomischen [sic] Gründen zurückzuweisen.
Die Einsprechende trägt vor, dass nach Feststellung der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber E1,E2,E3, diese nun mindestens gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sprächen.
Um 12.05 Uhr wird die Verhandlung zur Beratung der Einspruchsabteilung über die Zulassung der neuen Anträge unterbrochen.
Um 12.12 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Meinung, dass zusätzliche Anträge anhand der Dokumente E1-E3 nicht zur Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit zugelassen werden.
Um 12.13 Uhr wird die Verhandlung zur Beratung der Einspruchsabteilung über die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 unterbrochen.
Um 12.24 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht."

f) Die angefochtene Entscheidung führt in 2.4.4 der Entscheidungsgründe aus:

"Die Einsprechende beantragt weitere auf die Dokumente E1, E2, E3 gestützte Angriffe gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit der Erfindung gemäss Streitpatent vortragen zu wollen. Die Einspruchsabteilung ist aber der Auffassung, dass die Einsprechende nicht überzeugend dargelegt hat, aus welchen Gründen bei ungeändertem Anspruch1 [sic] die Angriffe auf erfinderische Tätigkeit gestützt auf E1, E2, E3 hätten relevanter sein sollen als die zuvor vorgetragenen. Aus Gründen mangelnder "prima facie" Relevanz sowie der Verfahrensökonomie werden diese zusätzlichen Anträge im Einspruchsverfahren nicht zugelassen. Gegen die Relevanz dieser Angriffe spricht zudem der Umstand, dass die Einsprechende im schriftlichen Sachvortrag mit den Dokumenten E1, E2, E3 alleinig die Neuheit des Erfindungsgegenstands angreift."
[...]

IV. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) hat die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung über die Sache mitgeteilt.

V. Die Beschwerdegegnerin reichte daraufhin mit ihrem Schreiben vom 3. Februar 2020 zwei Sätze geänderter Ansprüche ein, entsprechend Hilfsanträgen 1 und 2.

[...]

Entscheidungsgründe


Hilfsanträge 1 und 2

3. Die Hilfsanträge wurden nach Ablauf der Frist für die Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht und stellen somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar.

3.1 Artikel 13 (1) VOBK 2020 findet Anwendung (siehe z.B. auch T 634/16). Dies wurde von den Parteien auch nicht bestritten.

Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten. Ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer.

Der Artikel bestimmt unter anderem weiter, dass der Beteiligte die Gründe dafür angeben muss, weshalb er die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht.

Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer insbesondere den Stand des Verfahrens, die Eignung der Änderung zur Lösung der von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise aufgeworfenen Fragen oder der von der Kammer selbst aufgeworfenen Fragen, ferner ob die Änderung der Verfahrensökonomie abträglich ist, und bei Änderung einer Patentanmeldung oder eines Patents, ob der Beteiligte aufgezeigt hat, dass die Änderung prima facie die von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren oder von der Kammer aufgeworfenen Fragen ausräumt und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.

3.2 Unter Berücksichtigung der in Artikel 13 (1) VOBK 2020 aufgeführten Kriterien hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, Hilfsantrag 1 nicht in das Verfahren zuzulassen.

3.2.1 Einerseits führt die vorgenommene Änderung am Anspruch 9 prima facie zu einem neuen Einwand unter Artikel 84 EPÜ. Das aus Absatz 7 der Beschreibung des Patents in den Anspruch aufgenommene Merkmal, "[Zugangsstockwerke...,] durch die das Gebäude erschlossen wird", lässt auf den ersten Blick nicht mit der geforderten Deutlichkeit erkennen, durch welche (möglicherweise auch nur implizierten) strukturellen oder funktionellen Merkmale die beanspruchte Anordnung zur Personenbeförderung in einem Gebäude mit einer Aufzugsanlage weiter eingeschränkt werden soll. Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die Änderung im wesentlichen der Klarstellung des Ausdrucks "Zugangsstockwerk" dienen solle, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, weil es keine Antwort auf die aufgeworfene Frage hinsichtlich einer Einschränkung gibt.

3.2.2 Darüber hinaus hätte diese Änderung bereits in einem früheren Stadium des Beschwerdeverfahrens erfolgen können und müssen. Bereits die Einspruchsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" hingewiesen und ihn eingeschränkt im Sinne des Absatz 7 der Beschreibung verstanden (Entscheidungsgründe 2.2). Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung dieser engen Auslegung durch die Einspruchsabteilung und die Beschwerdeführerin detailliert widersprochen (II.2.2 der Beschwerdeerwiderung) und anhand anderer Passagen der Beschreibung argumentiert, dass die vorgenommene einschränkende Auslegung ungerechtfertigt sei. Die Beschwerdegegnerin hätte also bereits mit ihrer Erwiderung Anlass gehabt, die vorgenommene Änderung durchzuführen, die auf dem zuvor umfänglich diskutierten Sachverhalt, insbesondere Absatz 7 des Patents, beruht. Die Beschwerdegegnerin hatte keinen Anlass davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer in jedem Fall der Linie der Einspruchsabteilung und Beschwerdegegnerin folgen würde. Dass die Vielzahl der vorgetragenen Angriffe ohne eine vorläufige Beurteilung der Kammer der Formulierung sinnvoller Hilfsanträge entgegengestanden hätte, überzeugt die Kammer im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Auslegung des Begriffs "Zugangsstockwerk" in nahezu allen vorgetragenen Einwänden nicht. Zudem sieht die Kammer unter diesen Umständen und entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin die Vorlage von Hilfsanträgen mit dieser Änderung erst zu diesem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren als der Verfahrensökonomie abträglich an.

Hilfsantrag 2

4. Der ebenfalls auf eine Anordnung gerichtete unabhängige Anspruch 7 enthält neben weiteren Änderungen die gleiche Änderung wie der unabhängige Anspruch 9 des Hilfsantrags 1. Es ist nicht erkennbar und es wurde auch von der Beschwerdegegnerin nicht behauptet, dass die weiteren Änderungen den hinsichtlich Anspruch 9 von Hilfsantrag 1 prima facie erhobenen Einwand unter Artikel 84 EPÜ ausräumen würden. Die Kammer hat daher ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 in der gleichen Weise wie zu Hilfsantrag 1 ausgeübt und auch Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zugelassen.



5. Da folglich keine Fassung des Streitpatents vorliegt, welche den Erfordernissen des EPÜ genügt, ist das Patent entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin zu widerrufen (Artikel 101 (3) b) EPÜ).

Rückzahlung der Beschwerdegebühr

6. Nach Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

Da die Beschwerde Erfolg hat und das Einspruchsverfahren wie im folgenden dargelegt an einem wesentlichen Verfahrenmangel leidet, nämlich der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ, entspricht die Rückzahlung der Gebühr der Billigkeit.

Die Beschwerdeführerin hat erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, nach dem Misserfolg ihrer auf E1, E2, und E3 gestützten Neuheitseinwände, versucht, Einwände ausgehend von diesen drei Entgegenhaltungen zur erfinderischen Tätigkeit zu erheben. Diese Einwände wurden von der Einspruchsabteilung nicht im Verfahren berücksichtigt.

Die schriftliche Begründung hierzu (siehe Punkt 2.4.4 der angefochtenen Entscheidung) gibt an, dass keine überzeugenden Gründe dargelegt wurden, warum die Einwände relevanter hätten sein sollen als die zuvor vorgetragenen Einwände zur erfinderischen Tätigkeit (auf E4, E5 und E6 beruhend) und das mangels prima facie erkennbarer Relevanz diese nicht zugelassen wurden, wobei gegen die Relevanz der Angriffe bereits die Tatsache spräche, dass mit E1, E2 und E3 im schriftlichen Verfahren alleinig Neuheit angegriffen worden sei (siehe oben II.f)).

Auch wenn die Einspruchsabteilung in der schriftlichen Begründung ihrer Ermessensentscheidung auf hierfür wesentliche Kriterien Bezug nimmt, wurde bei der Entscheidungsfindung das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt.

Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist nicht erkennbar, dass, wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung argumentiert hat, ihr überhaupt Gelegenheit gegeben wurde, die betreffenden Einwände zumindest insoweit vorzutragen, dass die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin die prima facie Relevanz hätten beurteilen können. Es ist aus der Niederschrift noch nicht einmal zu entnehmen (siehe oben II.e) unter "4"), dass die Einspruchsabteilung die prima facie Relevanz bei ihrer Entscheidung überhaupt berücksichtigt hat.

Insofern wurde die angefochtene Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Artikels 113 (1) EPÜ auf Gründe gestützt, zu denen sich die Beschwerdeführerin nicht äußern konnte, was als ein wesentlicher Verfahrensmangel zu werten ist. Folglich entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit.

Andere Anträge

7. Über die Anträge der Beschwerdegegnerin betreffend die Nicht-Berücksichtigung des Neuheitseinwands beruhend auf E5 und der Einwände unter Artikel 56 EPÜ beruhend auf E1, E2 und E3 muss nicht entschieden werden, da sie für den Ausgang des Verfahrens offensichtlich keine Bedeutung haben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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