24 July 2018

T 0884/14 - Public prior use not admitted

Key points

  • The Board does not admit a public prior use attack filed for the first time with the Statement of grounds.
  • The Board, in rough translation: "The opponent can no longer submit a product of his own which is out of production for a long time as alleged public prior use, if a search for the product was omitted at the outset, even though the opponent knew about the product that was the subject of the prior use and should have urged a timely search for it in its own company documents. An erroneous assumption that the evidence would fall short, can not benefit the opponent in that respect. In any case, the behavior can be equated with an abuse of procedure with the result of ignoring the late objection.


EPO T 0884/14 - link


Ein seit längerer Zeit nicht mehr hergestelltes Erzeugnis aus dem eigenen Haus kann von der Einsprechenden als angeblich öffentliche Vorbenutzung jedenfalls dann nicht mehr in das Beschwerdeverfahren eingebracht werden, wenn eine Recherche nach diesem Erzeugnis von Anfang an unterlassen wurde, obwohl die Einsprechende den vorbenutzten Gegenstand kannte und sich eine rechtzeitige Recherche in den eigenen Firmenunterlagen hätte aufdrängen müssen. Eine irrtümlich angenommene Beweisnot kommt ihr insoweit nicht zugute. Das Verhalten kann einem Verfahrensmissbrauch jedenfalls mit dem Ergebnis der Nichtberücksichtigung des späten Einwands gleichgestellt werden.




Entscheidungsgründe
1. Geltend gemachte offenkundige Vorbenutzungen V und W
Gemäß Art 12(4) VOBK hat die Kammer die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Insbesondere ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Aufl., IV.C.1.3.17) bei der Zulassung einer verspätet geltend gemachten Vorbenutzung ein strenger Maßstab für die Zulassung anzulegen.
Wie die Kammer bereits in ihrem Ladungsbescheid ausgeführt hatte, kann eine erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte offenkundige Vorbenutzung nach der Entscheidung T 691/12 nur dann berücksichtigt werden, wenn zumindest drei Voraussetzungen erfüllt sind:
a) es darf sich nicht um einen erkennbaren Verfahrensmissbrauch handeln,
b) die Vorbenutzung muss prima facie so relevant sein, dass sie die Gültigkeit des Patents in Frage stellt,
c) die Vorbenutzung muss lückenlos nachgewiesen sein, so dass keine weiteren Ermittlungen zur Feststellung ihres Gegenstands bzw. ihrer Umstände notwendig sind.
Wenn mithin ein Verfahrensmissbrauch festgestellt werden kann, kommt es auf die mögliche Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung nicht mehr an (siehe auch T 17/91, Punkt 5 der Entscheidungsgründe).


Als einen Verfahrensmissbrauch hat es die Kammer in der Entscheidung T 534/89 (ABl. 1994, 464, Punkt 2.6 der Gründe) angesehen, wenn die Einsprechende einen Einwand wegen Vorbenutzung durch sie selbst erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ vorbringt, obgleich sie den Sachverhalt kannte und ihn ohne weiteres innerhalb dieser Frist hätte vorbringen können.
Zwar kann der Beschwerdeführerin nach den konkreten Umständen nicht vorgeworfen werden, dass sie Beweismittel aus verfahrensstrategischen Gründen missbräuchlich und treuwidrig unterdrückt und erst mit dem Beschwerdeverfahren in das Verfahren einbringen wollte. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
1.1 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin es aber bewusst unterlassen, alle Einspruchsgründe, zu denen im Rahmen des Neuheitseinwands auch bekannte offenkundige Vorbenutzungen gehören, sowie die betreffenden Tatsachen und Beweismittel zum frühestmöglichen Termin in das Verfahren einzubringen.
Insoweit hat sie offen zugegeben, dass ihr zwar während des gesamten Verfahrens bewusst gewesen sei, dass von ihr im Jahr 2003 Geräte verschiedenen Typs hergestellt und verkauft worden seien, die eine öffentliche Vorbenutzung darstellten. Da sie aber nach ihrem Vorbringen ohne weiteres davon ausgegangen ist, dass sie dieses nicht werde beweisen können, unterliess sie im Einspruchsverfahren jeden Hinweis auf diesen Umstand. In dieser Hinsicht ist anzumerken, dass die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung zunächst lediglich vorgetragen hatte, dass ihre jetzigen Mitarbeiter keine Kenntnis von der Bedienblende als Gegenstand der Vorbenutzung V mehr hatten, weil diese bereits seit 2004 nicht mehr von ihr in Geräten verbaut und vertrieben worden sei.
Die beiden in einer gewissen Diskrepanz stehenden Behauptungen versteht die Beschwerdekammer dahin, dass jedenfalls die Beschwerdeführerin selbst eigenes Wissen davon hatte, dass es eigene, wenn auch scheinbar nicht beweisbare Vorbenutzunghandlungen in ihrem Hause gab.
Dass sie offenbar erst die zu ihren Ungunsten ergangene Entscheidung der Einspruchsabteilung zum Anlass genommen hat, diejenigen Recherchen in ihrem Haus durchzuführen, die schliesslich zu der Zusammenstellung von Unterlagen wie aus dem Anlagenkonvolut V ersichtlich geführt haben, beruht allein auf ihrer eigenen Entscheidung, das Verfahren wie geschehen zu führen und bis zum Ende des Einspruchsverfahren von einer Recherche im eigenen Haus Abstand zu nehmen, obwohl diese, wäre sie durchgeführt worden, das betreffende Material hätte zutage fördern können.
Sachgerecht, da verfahrensförderlich, wäre es gewesen, die Kundendienstdokumentation, wie sie in dem Konvolut V auszugsweise enthalten ist und die ihr nach ihrem eigenen Vorbringen bereits im Zeitpunkt der Vorbereitung des Einspruchs bzw. der Einspruchs selbst in Form von Computerunterlagen zur Verfügung gestanden haben, bereits zum damaligen Zeitpunkt auszuwerten und rechtzeitig in das Verfahren einzuführen.
Es mag sein, dass sie, wie sie ausgeführt hat, zum damaligen Zeitpunkt an diese Möglichkeit nicht gedacht hatte und vielmehr ohne weiteres von der Nichtbeweisbarkeit ihres Wissens ausgegangen ist.
Jedoch kann dies die Beschwerdeführerin nicht entschuldigen. Es ist keineswegs so, dass die Recherche in den eigenen Unterlagen eine, wie die Beschwerdeführerin meinte, untypische und nicht standardisierte Vorgehensweise sei, um den Nachweis einer Vorbenutzung führen zu können, die von der Beschwerdeführerin erst "entwickelt" werden musste.
Im Gegenteil gehört der Beweis durch Vorlage von Firmenunterlagen, untermauert durch entsprechende Beweisangebote durch Zeugenvernehmung, zu den gängigen Beweisarten, die typischerweise für den Nachweis einer öffentlichen Vorbenutzung mit eigener Beteiligung Verwendung finden, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um Kundendienstunterlagen oder andere firmeninterne Unterlagen handelt.
Die angebliche Beweisnot ist also nur deswegen entstanden, weil die Beschwerdeführerin die erforderlichen Recherchen im eigenen Haus unterlassen hat, obwohl ihr dies ohne weiteres zuzumuten gewesen wäre.
Eine - noch dazu vermeintliche - Beweisnot einer Beteiligten kann aber nicht zulasten der anderen Beteiligten geltend gemacht werden, wenn die Gründe dafür ausschließlich im Einflussbereich desjenigen liegen, der den Beweis zu führen hat, wie dies hier der Fall ist. Es ist der Beschwerdegegnerin nach einer mehrjährigen Verzögerung auch nicht mehr zuzumuten, ihrerseits nach Beweismitteln zu suchen, um die Behauptungen der Beschwerdeführerin ggf. zu widerlegen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Anträge während der gesamten Dauer des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung nicht geändert hatten.
Somit hatte die Beschwerdeführerin seit der Veröffentlichung des erteilten Patents hinreichend Zeit und Veranlassung, die Vorbenutzung V, derer sie sich nach ihrem eigenen Vorbringen bereits seit Beginn des Verfahrens bewusst gewesen war, in ihren Unterlagen zu recherchieren und zu belegen.
1.2 Nicht anders ist die Zulassung der Vorbenutzung W zu beurteilen. Der Backofen AEG Competence B6871-4 ist noch später in das Verfahren eingebracht worden, und zwar erst nach Zustellung des Ladungsbescheids durch die Kammer. Die Beschwerdeführerin hat dazu vorgetragen, die Existenz dieses Geräts, das ausweislich seiner Seriennummer in ihrem eigenen Werk in Rothenburg in der Kalenderwoche 46 des Jahres 2003 hergestellt worden sei, sei ihr zufällig im Jahr 2017 im Rahmen der Vorbereitung eines anderweitigen Verfahrens bekannt geworden.
Auch in diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, es sei ihr zwar bewusst gewesen, dass von ihr im Jahr 2003 Geräte verschiedenen Typs hergestellt und verkauft worden seien, die die Merkmale des Streitpatent aufgewiesen haben. Es sei ihr aber bis zum Auffinden dieses Backofens nicht möglich gewesen, ein entsprechendes Gerät zurückzuerwerben, wobei offen geblieben ist, welche Anstrengungen sie dazu unternommen hat. Auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer konnte die Beschwerdeführerin lediglich vortragen, dass es sich bei der Entdeckung des Backofens um einen reinen Zufall gehandelt habe. Auf einen tatsächlichen Rückkauf des Geräts kommt es jedoch vorliegend nicht an, wenngleich die Vorlage des betreffenden Geräts in physischer Form auch die Beweisführung generell erleichtern mag.
Da aber schon keinerlei Angaben dazu gemacht worden sind, ob die Beschwerdegegnerin überhaupt nach solchen Geräten bzw. dessen Vertriebs- und Bedienungsunterlagen im eigenen Haus ermittelt hat, mit welchen Mitteln sie ggf. der Sache zum Zwecke der erfolgreichen Führung ihres Einspruchsverfahrens nachgegangen ist und ob insofern Nachforschungen im eigenen Unternehmen, das seit Jahrzehnten Haushaltsgeräte in erheblichen Umfang herstellt und entsprechend dokumentiert haben muss, angestellt worden sind, gibt es keine Grundlage dafür, das späte Einreichen der Vorbenutzung W in Form des betreffenden Backofens zu entschuldigen.
Zwar ist von der Einsprechenden nicht zu verlangen, dass sie Einspruchsgründe angibt, für die sie keine Beweise hat. Darum geht es hier aber auch nicht. Vielmehr ist die Beschwerdeführerin ohne hinreichende Rechercheversuche im eigenen Haus davon ausgeangen, dass dies der Fall sei.
Wenn schon richtigerweise für eine Einsprechende, die wirtschaftlich auf demselben Gebiet wie die Patentinhaberin tätig ist, eine begründete Vermutung dafür besteht, dass ein kollidierender Stand der Technik im eigenen Haus vorhanden sein könnte, davon ausgegangen wird, dass sie deswegen versuchen wird, diese zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu recherchieren und darzulegen (vgl. Entscheidung T 1955/13, Punkt 4 der Gründe), gilt dies erst recht für eine solche Einsprechende, der sogar von Anfang an bewusst ist, dass sie entsprechende Geräte im eigenen Haus hergestellt und vertrieben hat.
Letzeres spricht noch mehr dafür, das Unterlassen notwendiger Recherchen, die sich nach den konkreten Umständen des Falls aufgedrängt hätten, einem Verfahrensmissbrauch jedenfalls im Ergebnis insoweit gleichzustellen, als daraus resultierend spät eingereichtes Vorbringen nebst Beweisantritt betreffend eine eigene öffentliche Vorbenutzung nicht in das Verfahren zugelassen wird (vgl. wiederum T 1955/13, Punkt 4 der Gründe, dort letztlich offen gelassen).
1.3 Die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Vorbenutzungen V und W sind von der Kammer daher nach Art. 12(4) und 13(1) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen und somit nicht berücksichtigt worden.

1 comment:

  1. In the past abuse of procedure could be decided if a document available during the opposition period was only filed when entering appeal. See for instance T 215/03

    When looking at case law, the entry in force of the RPBA, this term is now reserved for filing a public prior use by the opponent when entering appeal. Art 12(4), 13(1) and 13(3) RPBA are a good tool against late submissions of the parties.

    T 1704/12, referring to T6 91/12, resumed the admissibility criteria to be met by an allegation of prior use filed for the first time in appeal proceedings.

    As far a public prior use is concerned, the mere fact that communication difficulties within a company or between subsidiaries of the same company does not justify the filing of a public prior use when entering appeal, cf. T 508/00.

    The notion of abuse of procedure also applies to late filed requests by the proprietor, cf. T 1431/10, in which no less than 111 requests have been filed 6 weeks before the oral proceedings.

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