12 January 2016

T 2191/13 - Cognitive feature does not distinguish

T 2191/13
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EPO Headnote

Ein rein auf gedanklicher Ebene bestehender, nämlich sich ausschließlich auf das Vorhandensein einer Erkenntnis gründender Unterschied zum Stand der Technik kann, ohne dass dieser einen Niederschlag in den technischen Merkmalen des Anspruchsgegenstandes findet, die Neuheit nicht begründen (Punkte 12.3 und 12.4 der Entscheidungsgründe)

Key points
  • The Board decides that a method step of selecting a suitable component does not distinguish over a method in a prior art document that is otherwise identical, even though from that document it does not appear that it was recognized that the selected component was suitable for a particular substrate. The Board follows established case law that novelty can be based on technical features only (G 2/88, T 959/98, T 553/02 and T 154/04).
  • The Board makes an interesting remark that, if the knowledge requirement would limit the claim, proof of infringement would require proof of actual knowledge of the alleged infringer. 



Hilfsantrag 8
[...]

12. Neuheit

12.1 Anspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zum Bereitstellen einer individuell an die Substrate und die Verarbeitungsbedingungen angepassten Klebstoffzusammensetzung, umfassend die Schritte
- Bereitstellen eines Klebstoffsystems,
- Auswählen einer für die jeweiligen Substrate und Anwendungsbedingungen geeigneten Komponente (B) aus mehreren Alternativen; und/oder Auswählen einer Menge einer Komponente (B), wobei diese Menge an die jeweiligen Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist,
- Beimischen der Komponente (B) zu Komponente (A),
wobei das Klebstoffsystems umfasst:
(A) eine mit Feuchtigkeit reaktionsfähige Mischung, umfassend mindestens ein Prepolymer, aufgebaut aus mindestens einem Polyol und mindestens einem Polyisocyanat; sowie
(B) eine Modifizierungskomponente, umfassend mindestens einen Polymerisationskatalysator, und wobei als Komponente (B)  (i) verschiedene Katalysatoren als Alternativen und/oder (ii) verschiedene Katalysatormengen in verschiedenen Gefäßen als Alternativen enthalten sind, wobei im Fall (ii) die verschiedenen Gefäße mit Komponente (B) verschiedene zu erzielende offene Zeiten/Presszeiten repräsentieren.
[...]


12.2 Aus den bezüglich des Hilfsantrags 2b genannten Gründen wird dieses Klebstoffsystems in den Beispielen der D10 offenbart. Somit ist der erste Schritt des anspruchsgemäßen Verfahrens, nämlich die Bereitstellung eines Klebstoffsystems, durch D10 bereits vorweggenommen.
D10 (zweite Tabelle der Seite 30) offenbart ferner den anspruchsgemäßen zweiten Verfahrensschritt, nämlich die Auswahl eines Härters B1/C3 und damit einer bestimmten Katalysatormenge von 0,02 Teilen. Aus der zweiten Tabelle auf Seite 30 der D10 geht hervor, dass dieser Härter zu einer guten Verklebung führt und damit an das in D10 verwendete Substrat und die darin vorliegenden Verarbeitungsbedingungen gut angepasst ist.
Schließlich wird in D10 auch der anspruchsgemäße dritte Verfahrensschritt der Beimischung der Komponente C3 (entsprechend der anspruchsgemäßen Komponente (B)) zu der Komponente B1 (entsprechend der anspruchsgemäßen Komponente (A)) offenbart.

12.3 Vom Patentinhaber wurde argumentiert, dass zum Zeitpunkt der Auswahl des Härters C3 in D10 noch nicht bekannt war, ob der ausgewählte Härter bzw. die ausgewählte darin enthaltene Katalysatormenge an das Substrat und die Verarbeitungsbedingungen angepasst war. Dies habe sich in D10 erst nach der Verklebung und nach Charakterisierung der Klebefestigkeiten ergeben. Somit fehle das anspruchsgemäße Merkmal, dass die Auswahl zielgerichtet, nämlich an die Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist.
Selbst wenn man der Auslegung des Anspruchs 1 durch den Patentinhaber folgt, besteht ein Unterschied nur in nicht technischer, d. h. rein gedanklicher Hinsicht, nämlich dahingehend, dass anspruchsgemäß bereits während der Auswahl der Komponente (B) die Erkenntnis vorhanden sein muss, dass die ausgewählte Menge an ein bestimmtes Substrat und bestimmte Verarbeitungsbedingungen angepasst ist, während diese Erkenntnis in D10 erst im Anschluss an diese Auswahl entstanden ist.
Ein solcher rein auf gedanklicher Ebene bestehender, nämlich sich ausschließlich auf das Vorhandensein einer Erkenntnis begründender Unterschied kann, ohne dass dieser einen Niederschlag in den technischen Merkmalen des Anspruchsgegenstandes findet, die Neuheit aber nicht begründen. Dieser Ansatz folgt der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/88. Hier wurde festgestellt, dass eine beanspruchte Erfindung nur dann neu ist, wenn sie mindestens ein wesentliches technisches Merkmal enthält, durch das sie sich vom Stand der Technik unterscheidet (Punkt 7 der Entscheidungsgründe). Entsprechend kann gemäß dieser Entscheidung ein Merkmal rein gedanklicher Art kein neues technisches Merkmal im Sinne des Artikels 54(1) und (2) EPÜ darstellen, so dass die Neuheit zu verneinen ist, wenn die einzigen technischen Merkmale des Anspruchs bekannt sind (Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe).
Dieser Ansatz wurde auch in den nachfolgenden Entscheidungen T 959/98, T 553/02 und T 154/04 weiterverfolgt:
In T 959/98 entschied die Kammer, dass der rein gedankliche Verfahrensschritt der Berechung einer für ein beanspruchtes Beschichtungsverfahren geeigneten Spaltdimension als nicht technisches Merkmal die Neuheit gegenüber einem Dokument (1) nicht herstellen konnte, welches das gleiche Verfahren unter Anwendung der gleichen Spaltdimension jedoch ohne vorherige Berechnung offenbarte (Punkte 1.3.4 bis 1.3.8).
In T 553/02 entschied die Kammer, dass die in einem Anspruch auf eine Bleichmittelzusammensetzung enthaltene Anleitung, die keinen Niederschlag in der physischen Struktur der Zusammensetzung findet, nicht als technisches Merkmal der beanspruchten Zusammensetzung angesehen werden konnte, welches einen technischen Beitrag liefert. Diese Anleitung beschränkte daher den Anspruchsumfang in keiner Weise und war somit bei der Neuheitsbetrachtung nicht zu berücksichtigen (Punkte 1.2.2 und 1.3).
Schließlich wurde in T 154/04 (ABl EPA 2008, 46, Punkt 14) festgestellt:
"Während Neuheit nicht notwendig ist, um den technischen Charakter einer Erfindung zu bejahen, gilt dies umgekehrt nicht, da Neuheit und erfinderische Tätigkeit nur anhand der technischen Merkmale der Erfindung festgestellt werden können."
12.4 Würde man im vorliegenden Fall dem Patentinhaber darin folgen, dass sich Anspruch 1 dahingehend von D1 unterscheidet, dass bereits während der Auswahl der Menge an Komponente (B) die Erkenntnis vorhanden sein muss, dass diese Menge an die jeweiligen Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist, würde dies implizieren, dass das Erfordernis des Vorhandenseins dieser Erkenntnis den Umfang des Anspruchs 1 begrenzt. Dies würde wiederum bedeuten, dass man zur Feststellung einer Verletzung nachprüfen müsste, ob diese Erkenntnis im Gehirn des möglichen Verletzers zum Zeitpunkt des Auswählens vorhanden war. Auch wenn die Frage der Verletzung für die Neuheit nicht relevant und letztendlich vom Europäischen Patentamt nicht zu entscheiden ist, zeigt diese Betrachtung dennoch, dass der Ausgangspunkt der Argumentation des Patentinhabers, nämlich dem Vorhandensein einer bestimmten Erkenntnis beschränkende Wirkung beizumessen, nicht korrekt sein kann.
12.5 Aus diesen Gründen mangelt es dem Gegenstand des Anspruchs 1 an Neuheit gegenüber D10.
12.6 Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Entscheidung über die Einwände des Einsprechenden hinsichtlich der Artikel 83, 84 und 123(2) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.

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