T 0217/10
EPO Keyword
" Nicht substantiierte Hilfsanträge sind im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen (Punkt 5 der Entscheidungsgründe)"
" Auxiliary requests without substantiation are to be disregarded in opposition proceedings" .
- Filing auxiliary requests with the Response as proprietor-respondent in opposition-appeal without substantiation, results in the requests to be disregarded under Article 12(2) and (4) RPBA, which require the Statement of Grounds and the Response to contain a party's complete case; including the reasons why it is requested that the decision under appeal be reversed, amended or upheld.
- The Board recalls that Articles 12 and 13 RPBA have the express purpose of preventing ping-pong submissions and salami tactics in appeal, this applies to the appellant as well as to the respondent; citing the same travaux préparatoires).
- Similar reasoning was given in T 1890/09 of the same Board, published the same day (also in German, unrelated case).
Entscheidungsgründe
[...]
5. Hilfsanträge I bis V
Gemäss Artikel 12(2) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Es ist insbesondere anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder zu bestätigen.
Mit ihrer Beschwerdeerwiderung hat die Beschwerdegegnerin beantragt "[h]ilfsweise das Patent basierend auf einem der Hilfsanträge I bis V (eingereicht am 06. Oktober 2009) aufrechtzuerhalten". Der in der Beschwerdeerwiderung weiterhin enthaltene Sachvortrag bezieht sich allerdings lediglich auf die unveränderte Aufrechterhaltung des Patents bzw. die Zurückweisung der Beschwerde (mit einem ergänzenden Verweis auf einen Teil des Schreibens vom 6. Oktober 2009) - zu den (in der Beschwerdeerwiderung lediglich erwähnten, aber nicht als Anlage beigefügten) Hilfsanträgen enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Stellungnahme. Das Einreichungsdatum der erwähnten Hilfsanträge liegt nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
Während die vorliegende Beschwerdeerwiderung somit Gründe enthält, weshalb die angefochtene Entscheidung zu bestätigen, die Beschwerde also zurückzuweisen ist, ist dies in Bezug auf eine Abänderung dieser Entscheidung - die Aufrechterhaltung auf der Basis der erwähnten Hilfsanträge - nicht der Fall.
5.1 Zur Beurteilung der hier vorliegenden Situation hält es die Kammer für angebracht, die Hintergründe des Zustandekommens der zitierten Bestimmung in der VOBK zu betrachten.
Gemäss Beschuss des Präsidiums vom 28. Oktober 2002 und Genehmigung des Verwaltungsrates am 12. Dezember 2002 (ABl. EPA 2003, 61) wurden damals die Artikel 10a (Grundlage des Verfahrens) und 10b (Änderung des Vorbringens eines Beteiligten) in die VOBK eingefügt. Diese Artikel wurden (mit für den im Folgenden zu diskutierenden Sachverhalt unbedeutenden Änderungen) mit Beschuss des Präsidiums vom 12. September 2007 und Genehmigung des Verwaltungsrates vom 25. Oktober 2007 in Artikel 12 und 13 VOBK umnummeriert. Die Einführung dieser Artikel in die VOBK zielte gemäss Dokument CA/33/02 [probably: CA/133/02] darauf ab, ein effizienteres und faireres Verfahren vor den Kammern zu gewährleisten: "Die Vorschriften in den Artikeln [12 and 13, then: 10a und 10b] dienen generell dazu, "Pingpong"-Vorbringen und "Salami"-Taktik im schriftlichen Verfahren zu vermeiden, und sollen dafür sorgen, dass die Kammer (und insbesondere der Berichterstatter) mit einer Beschwerdeakte arbeiten kann, die nur einen vollständigen Sachvortrag jedes Beteiligten enthält." (Seite 2, Punkt B.2).
Zu Artikel 10a VOBK (jetzt Artikel 12) wird in Dokument CA/133/02 auf Seite 12 weiterhin ausgeführt:
"Nach diesem Artikel werden dem Beschwerdeverfahren die Beschwerde und die Beschwerdebegründung - im mehrseitigen Verfahren zusätzlich die Erwiderungen der anderen Beteiligten - und alle Mitteilungen der Kammer sowie alle vorschriftsmäßig eingereichten Antworten hierauf zugrunde gelegt. Diese Bestimmung sieht in Verbindung mit Artikel 10b(1) auch eine Zäsur vor, nach der jedes weitere Vorbringen ipso facto verspätet ist; [...]. Damit wird der Zeitpunkt, zu dem der Sachvortrag eines Beteiligten als vollständig gilt (so dass die Kammer eine Sache in ihrer Gesamtheit prüfen und vorbehaltlich einer mündlichen Verhandlung eine Entscheidung treffen kann), durch die Bestimmungen objektiv festgelegt und ist nicht mehr von der Verfahrensstrategie der Beteiligten abhängig."
Zu Artikel 10b VOBK (jetzt Artikel 13) wird in Dokument CA/133/02 auf Seite 16 weiterhin ausgeführt:
"Artikel 10b stellt die Zulässigkeit von nachträglichen Änderungen am Vorbringen eines Beteiligten (unabhängig davon, ob es um Tatsachen, Beweismittel oder Anträge geht) nach der durch die Artikel 10a(1) und 10b(1) festgelegten Zäsur in das Ermessen der Kammer (wie es bereits jetzt der Fall ist), ermächtigt die Kammer aber ausdrücklich dazu, solche Änderungen aufgrund der Komplexität des neuen Vorbringens, des Verfahrensstands und der gebotenen Verfahrensökonomie zurückzuweisen. [...] Der Schwerpunkt liegt auf der rechtzeitigen Einreichung; die verspätete Einreichung wird zwar nicht durch strikte Fristen vollkommen ausgeschlossen, durch die gegen Abschluss des Verfahrens schwindende Aussicht auf Zulassung jedoch eingedämmt."
5.2 Der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist in ihrer Gesamtheit somit zu entnehmen, dass das Beschwerdeverfahren primär ein schriftliches ist, wobei Artikel 12(2) VOBK festlegt, dass das vollständige Vorbringen der Beteiligten bereits zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen hat und Artikel 13 VOBK die Zulassung von Änderungen des Vorbringens in das Ermessen der Kammer stellt. Wie aus den zitierten Passagen des Dokuments CA/133/02 hervorgeht, ist der Zweck dieser Bestimmungen ein faires Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und es der Kammer zu ermöglichen, ihre Arbeit auf der Basis eines vollständigen Vorbringens beider Seiten zu beginnen. Im zweiseitigen Verfahren sollen sowohl die Rechte als auch die Pflichten zwischen den Parteien gleich verteilt sein, sodass die Kammer ihre unabhängige richterliche Funktion wahrnehmen kann (siehe auch T 1732/10, 1.4 der Entscheidungsgründe). Es wird also erwartet, dass nicht nur die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde substantiiert begründet, sondern dass gleichermassen auch die Beschwerdegegnerin zu einem frühen Verfahrensstadium darlegt, weshalb die in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände nach ihrer Ansicht nicht greifen. Wenn Hilfsanträge vorgelegt werden, erfordert dies in der Regel auch eine Begründung inwiefern diese Einwände hierdurch ausgeräumt werden (zumindest wenn dies anhand der hierin eingefügten Änderungen nicht offensichtlich ist).
5.3 Im vorliegenden Fall sind die in die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge aufgenommenen Merkmale den abhängigen Ansprüchen und teilweise auch der Beschreibung entnommen. In der Beschwerdebegründung wird unter anderem die Neuheit nicht nur des unabhängigen, sondern auch aller abhängiger Ansprüche in detailliert begründeter und umfangreicher Weise angegriffen, nämlich gegenüber den Dokumenten D1 bis D9 und D11 sowie den mit der Beschwerdebegründung neu eingeführten Dokumenten D19 und D20. Es ist für die Kammer in keinerlei Weise direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge all diese Einwände ausräumen können. Dies wäre selbst dann nicht der Fall, wenn man die hierzu im Einspruchsverfahren am 6. Oktober 2009 vorgebrachten Kommentare berücksichtigen würde, da dort nicht ein einziges der entgegengehaltenen Dokumente überhaupt nur erwähnt ist.
Es stellt sich daher die Frage, ob derartige nicht substantiierte Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren überhaupt zu berücksichtigen sind. Artikel 12 VOBK gibt implizit eine Antwort auf diese Frage. Wie bereits oben erwähnt, bestimmt Artikel 12(2) VOBK, dass die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten müssen, dass sie deutlich und knapp angeben müssen, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und dass sie ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen sollen. Nach Artikel 12(4) VOBK wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt. Anders ausgedrückt: nur wenn das Vorbringen eines Beteiligten die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt, zwingt Artikel 12(4) VOBK die Kammer dieses Vorbringen zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Vorbringen, dass die Erfordernisse des Absatzes 2 nicht erfüllt, auch nicht zwingend zu berücksichtigen ist. Dies ist im Einklang mit dem in dem Dokument CA/133/02 beschriebenen Zweck der Bestimmungen in der VOBK. Sonst müsste die Kammer selbst herausfinden, aus welchen Gründen das unvollständige Vorbringen dem erwünschten Zweck dienen könnte, bzw. darauf warten, dass der betreffende Beteiligte sein Vorbringen vervollständigt. Dies aber sollte gerade mit den geänderten Bestimmungen in der VOBK vermieden werden.
5.4 In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern hat dies darin Niederschlag gefunden, dass ohne jegliche Begründung eingereichte Anträge gemäss Artikel 12(4) VOBK nicht berücksichtigt wurden, da die Erfordernisse nach Absatz 12(2) VOBK nicht erfüllt waren (T 509/07, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; siehe auch T 382/96, Punkt 5.5). Die Kammer schliesst sich dieser Rechtsprechung an, da im vorliegenden Fall die Beschwerdegegnerin eine Begründung bezüglich der Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren überhaupt nicht vorgebracht hat. Eine Begründung zu diesen Anträgen wurde auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren nachgereicht. Es ist daher hier nicht erforderlich zu prüfen, ob diese Hilfsanträge noch - als somit verspätet eingereicht geltend - in Ausübung des Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK zu berücksichtigen wären oder nicht (T 1732/10, Punkt 1.5; T 162/12, Punkt 2.2; T 1836/12, Punkt 1).
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