30 April 2015

T0862/11 - Assessing the effect under A83 and A56

Key point

  • If the technical effect is not valid over the whole scope claimed, this is only an issue under A83 (rather than A56) for clear claims if the technical effect is expressly specified in the claims. Otherwise, it is relevant for A56. In case the claims are unclear, the lack of technical effect can also be an issue under A83 if the claims are so unclear that the desired effect can not be obtained without undue burden.
EPO Headnote (informal translation)
Assessment of the technical effect. A distinction is to be made between (a) assessment of an effect under A83 EPC and (b) under A56 EPC.
Unclear claims: To the extent that inventions are defined by claims which contain unclear features, e.g. unclear parameters, which are not clarified in the description, the invention can possibly only be understood through the effect to be achieved. This effect, which must therefore be taken into account, is then examined under A83 EPC, to assess sufficiency of disclosure.
Clear claims: (i) Effect included in the claims: to the extent the claim is clearly defined, is the effect to be taken into account for the assessment of sufficiency of disclosure, only when it is expressly included in the claim. (ii) Effect not included in the claims: to the extent the claim is clearly defined and the effect is not included in the claims, the question whether the effect is obtained is not relevant for A83 EPC. The question, whether the effect is obtained, is rather relevant for A56 EPC (see eg. T939/92, [2.4.3]), namely for the assessment of the success of the solution.



T 0862/11 - 21.04.2015

Dated 17.03.2015 - Board 3.3.05 (Raths, Glod, Guntz) - publication C - for the decision, click here


Sachverhalt und Anträge




VII. Anspruch 1 aller Anträge lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines mit mindestens einer organischen Peroxycarbonsäure, insbesondere Imidoperoxycarbonsäure, beladenen mehrschichtigen Kapselsystems, dadurch gekennzeichnet, daß auf eine in Form fester Teilchen vorliegende organische Peroxycarbonsäure, insbesondere Imidoperoxycarbonsäure, aufeinanderfolgend mindestens zwei voneinander verschiedene Hüllschichten jeweils auf Basis mindestens eines Polyelektrolyten und/oder ionischen Tensids aufgebracht werden, so daß ein Kapselsystem resultiert, welches mindestens eine organische Peroxycarbonsäure, insbesondere Imidoperoxycarbonsäure, in einer mehrschichtigen Kapselhülle aus mindestens zwei Hüllschichten umfaßt, umfassend die folgenden Verfahrensschritte:
(a) Aufbringen einer mindestens einen ersten Polyelektrolyten und/oder mindestens ein erstes ionisches Tensid (I) enthaltenden Lösung und/oder Dispersion auf mindestens eine in Form fester Teilchen vorliegende organische Peroxycarbonsäure, insbesondere Imidoperoxycarbonsäure, so daß die Peroxycarbonsäure von einer ersten Hüllschicht auf Basis des ersten Polyelektrolyten und/oder des ersten ionischen Tensids (I) vollständig umhüllt bzw. beschichtet wird; dann
(b) Aufbringen mindestens einer einen zweiten Polyelektrolyten und/oder mindestens ein
zweites ionisches Tensid (II) enthaltenden Lösung und/oder Dispersion auf die in Verfahrensschritt (a) erhaltene erste Hüllschicht, wobei der zweite Polyelektrolyt und/oder das zweite ionische Tensid (II) von dem ersten Polyelektrolyten und/oder ersten ionischen Tensid (I) verschieden und entgegengesetzt geladen ist, so daß eine zweite Hüllschicht auf
Basis des zweiten Polyelektrolyten und/oder des zweiten ionischen Tensids (II) auf die in Verfahrensschritt (a) erhaltene erste Hülischicht aufgebracht wird, wobei die zweite Hüllschicht die erste Hüllschicht vollständig umhüllt bzw. beschichtet und die beiden Hüllschichten in direktem Kontakt zueinander sind; dann
(c) gegebenenfalls Aufbringen mindestens einer weiteren Hüllschicht, insbesondere einer dritten, vierten etc. Hüllschicht, wobei die die Hüllschicht(en) ausbildenden Polyelektrolyte und/oder ionischen Tenside derart ausgewählt werden, daß jeweils unmittelbar aneinandergrenzende Hüllschichten voneinander verschiedene, insbesondere entgegengesetzt geladene Polyelektrolyte und/oder entgegengesetzt geladenen ionische Tenside umfassen oder hieraus bestehen; anschließend
(d) gegebenenfalls Aufbereiten, insbesondere Trocknen und/oder Aufreinigen und/oder Klassieren, insbesondere Sieben, des erhaltenen Kapselsystems,
wobei der Polyelektrolyt und/oder das ionische Tensid der in Verfahrensschritt (a) erhaltenen ersten Hüllschicht und der gegebenenfalls in Verfahrenschritt (c) erhaltenen dritten, fünften etc. Hüllschicht eine positive Nettoladung aufweist, und die erste Hüllschicht durch ein kationisches Tensid oder einen kationischen Polyelektrolyten, vorzugsweise durch ein kationisches Tensid, gebildet wird und die gegebenenfalls vorhandene dritte, fünfte etc. Hüllschicht durch einen kationischen Polyelektrolyten (Polykation) gebildet wird, und daß der Polyelektrolyt und/oder das ionische Tensid der in Verfahrensschritt (b) erhaltenen zweiten Hüllschicht und der gegebenenfalls in Verfahrensschritt (c) erhaltenen vierten, sechsten etc. Hüllschicht eine negative Nettoladung aufweist, insbesondere wobei der Polyelektrolyt der zweiten und gegebenenfalls vierten, sechsten etc. Hüllschicht ein anionischer Polyelektrolyt (Polyanion) ist und/oder daß die äußerste Hüllschicht mindestens einen anionischen Polyelektrolyten aufweist oder hieraus besteht."
Anspruch 22 aller Anträge lautet wie folgt:
"22. Kapselsystem, erhältlich nach dem Verfahren gemäß den Ansprüchen 1 bis 21."

Entscheidungsgründe
5. Artikel 83 EPÜ
5.1 Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ
Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Die Frage stellt sich, was unter "Erfindung" zu verstehen ist oder wie die Erfindung definiert wird.
5.2 Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ
(a) Gemäß G 02/93 (Gründe 4), muss eine europäische Patentanmeldung, um die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ zu erfüllen, genügend Informationen enthalten, damit ein Fachmann anhand seines allgemeinen Fachwissens die der beanspruchten Erfindung innewohnende technische Lehre erkennen und entsprechend ausführen kann.
Zudem setzt eine ausreichende Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ, gemäß G 02/93 (Gründe 10), unter anderem voraus, dass der in einer europäischen Patentanmeldung beanspruchte Gegenstand eindeutig identifiziert werden kann.
Es geht nicht eindeutig aus der Entscheidung hervor, was unter "innewohnende technische Lehre" zu verstehen ist.
(b) Die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern sieht die Erfordernisse der Ausführbarkeit nur dann als erfüllt an, wenn die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens und weiterer Angaben in der vorliegenden Anmeldung nachgearbeitet werden kann (z.B. T 409/91, Gründe 3.5; T 435/91, Gründe 2.2 und 2.2.1; T 895/04, Gründe 1.1; T 1072/06, Gründe 3.2; T 815/07, Gründe 5; T 1941/08, Gründe 3.2; T 347/10, Gründe 2.2; T 430/10, Gründe 1.3.4; T 432/10, Gründe 2).
(c) Somit ist der beanspruchte Gegenstand als "die Erfindung" anzusehen. Dieser Gegenstand sollte vom Fachmann verstanden werden können und die gesamte Patentanmeldung sollte ausreichend Informationen und Anleitungen enthalten, die es dem Fachmann ermöglichen den Gegenstand des Anspruchs ("Erfindung") zu erhalten.
(d) Ein solches Verständnis, dass es sich bei der Erfindung um den beanspruchten Gegenstand handelt, scheint auch im Einklang mit z.B. Regel 42(1) c) EPÜ und Regel 42(1) e) EPÜ zu sein.
- Regel 42(1) c) verlangt dass "die Erfindung, wie sie in den Patentansprüchen gekennzeichnet ist, so darzustellen ist, dass danach die technische Aufgabe, auch wenn sie nicht ausdrücklich also solche genannt ist, und deren Lösung verstanden werden können."
- Laut Regel 42(1) e),"ist wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im Einzelnen anzugeben".
5.3 Argumentation der Beschwerdeführerin
Anspruch 1 betrifft ein Verfahren.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das Ausführen eines Verfahrens gemäß den Verfahrensansprüchen sicher kein Problem darstelle, aber das reine Ausführen dieses Verfahrens könne nicht wirklich als Ausführung der Erfindung angesehen werden. Der Fachmann habe nämlich nicht die Möglichkeit, das Versprechen der Erfindung ("promise of the invention"), nämlich die Stabilisierung einer organischen Peroxycarbonsäure, zu erreichen. Es sei nicht möglich, den gewünschten Effekt der Stabilisierung für alle erhaltenen Produkte zu erreichen. Ausgehend von den Erläuterungen (5.2) zur Erfindung ist der zu erreichende Effekt im vorliegenden Fall nicht die Erfindung, sondern das Ziel der Erfindung.
5.4 Bedeutung des technischen Effekts für Artikel 83 EPÜ
Die Frage, die sich vorwiegend stellt, ist also die, ob der zu erreichende Effekt, auch wenn er nicht im Anspruch formuliert ist, für die Bewertung der Ausführbarkeit der Erfindung entscheidend ist.
(a) In der Entscheidung T 2001/12 (Gründe 3.4), die sich mit dieser Frage befasste, kam die Kammer zum Schluss, dass es nicht legitim sei, einen Einwand unter Artikel 83 EPÜ auf das Argument zu stützen, dass die Patentanmeldung es dem Fachmann nicht ermögliche, einen nicht beanspruchten Effekt zu erreichen. Dabei wurde vor allem Bezug genommen auf die Entscheidung G 1/03, die unter Gründe 2.5.2 Folgendes angibt:
"Ist eine Wirkung im Anspruch definiert, so liegt eine unzureichende Offenbarung vor. Wird hingegen die Wirkung nicht im Anspruch definiert, ist aber Teil der zu lösenden Aufgabe, so besteht ein Problem bezüglich der erfinderischen Tätigkeit (T 939/92, ABl. EPA 1996, 309)."
Dies ist auch im Einklang mit der in der Rechtsprechung vielfach zitierten Entscheidung T 435/91 (Gründe 2.2.1), die einen Fall beschreibt, bei dem der Anspruch ein funktionelles Merkmal und somit den zu erreichenden Effekt enthielt.
(b) Es gibt jedoch eine Reihe von Entscheidungen, die die Beschwerdeführerin nicht explizit genannt hat, auf die sie jedoch angesichts des verwendeten Begriffs ("promise of the invention") implizit abstellt. Diese Entscheidungen untersuchten unter Artikel 83 EPÜ die Frage, ob es dem Fachmann ermöglicht wurde, die Erfindung wie vorgesehen zu nutzen, d.h. den gewünschten Effekt zu erreichen. Solche Entscheidungen betrafen Ansprüche, die auf der einen Seite mit dem Nachteil der Unklarheit behaftet sind, auf der andern Seite den Effekt nicht im Anspruch enthalten:
Dies war der Fall in den Entscheidungen T 608/07, T 79/08, T 1387/08, T 593/09, T 1007/09 und T 2403/11. Diese Entscheidungen betrafen Erfindungen, die durch Ansprüche definiert waren, die nicht den Effekt, jedoch unklare Merkmale v.a. unklare Parameter, im Anspruch enthielten. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob diese unklaren Merkmale einen Einwand unter Artikel 83 EPÜ rechtfertigten, oder ob es sich "bloß" um einen Einwand unter Artikel 84 EPÜ handele.
Es wurde geschlussfolgert, dass ein Einwand unter Artikel 83 EPÜ dann gerechtfertigt sei, wenn die Unklarheit so groß sei, dass eine Person des Faches dadurch, dass er den gewünschten Effekt nicht oder nicht ohne unzumutbaren Aufwand erreichen könne, das Versprechen der Erfindung ("promise of the invention") nicht erziele (T 608/07, Gründe 2.5.2; T 79/08, Gründe 5.18; T 1387/08, Gründe 2.3.2; T 593/09, Gründe 4.1.4; T 1007/09, Gründe 4.1.5; T 2403/11, Gründe 2.2).
Die Entscheidungen können unterteilt werden in
(i) Entscheidungen, in denen kein Mangel an Ausführbarkeit vorlag (T 608/07, 1387/08 und T 1007/09) und in
(ii) Entscheidungen, in denen ein Mangel an Ausführbarkeit vorlag (T 79/08, T 593/09 und T 2403/11).
Die Logik dieser Entscheidungen ist im Einklang mit weiteren Entscheidungen, die einen nicht beanspruchten Effekt berücksichtigten, um über die Frage der Ausführbarkeit zu urteilen (z.B. T 466/05, Gründe 4.8; T 288/06, Gründe 2.6.2; T 815/07, Gründe 5). Auch in diesen Fällen enthielten die Ansprüche unklare Parameter.
Aus diesen Entscheidungen kann der Ansatz abgeleitet werden, dass im Falle von Unklarheiten im Anspruch der zu erreichende Effekt, oder das zu erreichende Ziel, herangezogen werden muss, um die Erfindung eindeutig zu identifizieren. Der zu erreichende Effekt ist indirekt via dem unklaren Parameter im Anspruch vorhanden.
5.5 Schlussfolgerung
(A) Allgemein:
Begutachtung eines Effekts:
Zu unterscheiden ist zwischen
(a) dem Begutachten des Effekts unter Artikel 83 EPÜ und
(b) dem Begutachten des Effekts unter Artikel 56 EPÜ
(a) Unklare Ansprüche:
Soweit Erfindungen durch Ansprüche definiert sind, die unklare Merkmale, wie z.B. unklare Parameter enthalten, die auch nicht durch die Beschreibung klargestellt werden, kann die Erfindung möglicherweise nur durch den zu erreichenden Effekt verstanden werden. Dieser Effekt, der somit berücksichtigt werden muss, wird dann unter Artikel 83 EPÜ begutachtet, um die Ausführbarkeit der Erfindung zu beurteilen.
(b) Klare Ansprüche:
(i) Effekt im Anspruch vorhanden:
Soweit der Anspruch klar definiert ist, ist der Effekt bei der Beurteilung der Ausführbarkeit nur zu berücksichtigen, wenn er explizit im Anspruch vorhanden ist.
(ii) Effekt nicht im Anspruch vorhanden:
Soweit der Anspruch klar definiert ist und der Effekt nicht im Anspruch vorhanden ist, ist die Frage, ob der Effekt erreicht wird, für Artikel 83 EPÜ nicht relevant. Vielmehr wird die Frage, ob der Effekt erreicht wird, dann unter Artikel 56 EPÜ relevant (siehe auch z.B. T 939/92, Gründe 2.4.3), und zwar bei der Beurteilung des Erfolgs der Lösung.
(B) Vorliegender Fall:
Im vorliegenden Fall enthält der Anspruch 1 keine Unklarheiten und keinen zu erreichenden Effekt, sodass die Frage, ob der Effekt erreicht wird, für Artikel 83 EPÜ nicht relevant ist, sondern erst im Zusammenhang mit Artikel 56 EPÜ Bedeutung gewinnt.
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 ist ausführbar. Die Patentschrift beschreibt ausführlich die Herstellung solcher Kapseln (siehe z.B. Absätze [0028] bis [0033]) und enthält auch Ausführungsbeispiele, die der Fachmann sicherlich nacharbeiten kann.
Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ sind somit erfüllt.

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