21 February 2020

T 1487/16 - Inherent features and disclosure

Key points

  • In this opposition appeal, one of the issues is whether "Example II" in (possible) prior right document D9 validly claims priority of D9a. In D9 (WO 2004/065443), there is a table stating various properties of the chemical product prepared in that example, including a BET value of 116, a Sears number of 22 and a ratio of Sears / BET of 0.190. The identical values for the BET value and the Sears number are given in D9a. However, D9 is completely silent about the ratio of Sears / BET. Of course, it can be simply calculated by the numbers that are given in D9a, but no such calculation is mentioned in D9a. D9 teaches that the ratio is advantageous. Claim 1 of the opposed patent also specifies the Sears number to BET ratio, but that should not matter (I suppose?)
  • The Board considers the example in D9 to lack priority.
  • “Somit sind im vorliegenden Fall die in den Entscheidungen G 2/98 und G 1/03 dargelegten Grundsätze anzuwenden. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin jedoch nicht bestritten, dass ein fiktives Hinzufügen des Verhältnisses Searszahl V2 zu BET-Oberfläche zur D9a nach Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig wäre. Dieser Schlussfolgerung ist zuzustimmen.” 
  • “Aus den obengenannten Gründen kann die D9 nicht die Priorität der D9a beanspruchen, da weder [...]  noch die konkreten Beispiele KSIb und KSII auf Seite 28 dieselbe Erfindung beschreiben. Damit gehört die D9 nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ.”
  • As a comment 1) this decision illustrates that a document does not disclose inherent features, and 2) I would say that the (unchanged) individual Sears and BET numbers have priority in D9 and that this inherently is novelty-destroying for the claim. However, this is not the view of the Board.



EPO T 1487/16 -  link

Entscheidungsgründe
1. Priorität
1.1 Sowohl das Streitpatent als auch die Entgegenhaltung D9 haben als Anmeldedatum den 8. Januar 2004 und beanspruchen jeweils eine erste Priorität, D0 beziehungsweise D9a, vom 22. Januar 2003, sowie eine zweite Priorität vom 13. Dezember 2003. Es ist nicht strittig, dass sowohl das Streitpatent als auch die D9 Anspruch auf die jeweils zweite Priorität haben.


1.2 Die von der Beschwerdegegnerin zitierten Ansprüche 1-5 der Entgegenhaltung D9 und des Prioritätsdokuments D9a sind jeweils fast wortgleich. Das Verhältnis Searszahl V2 zu BET-Oberfläche wird jedoch in keinem dieser Ansprüche erwähnt, weder in der D9, noch in der D9a. Es werden lediglich Bereiche für die Searszahl V2 und die BET-Oberfläche jeweils für sich offenbart.
Die Beschreibung der D9 auf Seite 3, Zeile 25 - Seite 5, Zeile 3 hat einen ähnlichen Offenbarungsgehalt wie der der D9a auf Seite 3, Zeile 27 bis Seite 4, Zeile 15, mit dem Unterschied, dass die D9 zusätzlich das Verhältnis Searszahl V2 zu BET-Oberfläche und den damit verbundenen Effekt anspricht (Seite 4, Zeilen 12-16 und 22-26, sowie Seite, 4 Zeile 31 - Seite 5, Zeile 3). Dagegen wird in der gesamten D9a das Verhältnis Searszahl V2 zu BET-Oberfläche mit keinem Wort erwähnt.
Ähnliches gilt für die Beispiele der D9 und der D9a: Die Beispiele KSIb und KSII der D9 (Seite 28) sowie die Beispiele KSI und KSII der D9a (Seite 26) ähneln sich zwar sehr, aber auch hier wird das Verhältnis Searszahl V2 zu BET-Oberfläche nur in der D9, nicht aber im Prioritätsdokument D9a genannt.
1.3 Der vorliegende Fall ist eng mit dem Fall T 379/13 verbunden, der von der gleichen Kammer in unterschiedlicher Besetzung entschieden wurde.
Dort ging es um den umkehrten Fall: Beim Streitpatent in T 379/13 handelte es sich um das aus der vorliegenden Entgegenhaltung D9 hervorgegangene europäische Patent EP 1 590 297 B1, welches als erste Priorität die vorliegende D9a beanspruchte. Bei der Entgegenhaltung handelte es sich um die internationale Anmeldung, aus der das Streitpatent im vorliegenden Fall hervorging, und welche die Priorität der vorliegenden D0 beanspruchte.
Auch in T 379/13 wurde erörtert, ob die Entgegenhaltung die Priorität für eine generische Offenbarung und/oder für spezifische Beispiele beanspruchen kann. Die Kammer erachtete in diesem Fall, dass es im Prioritätsdokument der Entgegenhaltung keinerlei Hinweise darauf gab, dass das Verhältnis von Searszahl V2 zu BET-Oberfläche von Bedeutung ist. Es sei zwar theoretisch möglich gewesen, dieses Verhältnis zu berechnen, aber eine solche rein hypothetische Ableitung wäre dem Fachmann im Verborgenen geblieben (siehe die Entscheidungsgründe 3.1.4 und 3.1.5).
Daher kam die Kammer in T 379/13 zum Schluss, dass es sich bei der Entgegenhaltung und dessen Prioritätsdokument nicht um "dieselbe Erfindung" im Sinne der G 2/98 handelte und dass weder die speziellen Beispiele noch die generische Offenbarung in den Ansprüchen und in der Beschreibung der Entgegenhaltung die Priorität beanspruchen konnten. Die Entgegenhaltung gehörte daher nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ.
1.4 Auch im vorliegenden Fall kann die Priorität der Entgegenhaltung D9 aus den folgenden Gründen nicht anerkannt werden kann:
1.4.1 Die Entscheidung der großen Beschwerdekammer G 2/98 hat klargestellt, dass das in Artikel 87 (1) EPÜ für die Inanspruchnahme einer Priorität genannte "Erfordernis derselben Erfindung" eng auszulegen ist (Punkt 9 der Entscheidungsgründe) und bedeutet, "daß die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Artikel 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann" (Leitsatz).
Laut ständiger Rechtsprechung ist es für Prioritätszwecke zudem nicht ausreichend, wenn ein Gegenstand im Prioritätsdokument nicht unmittelbar und eindeutig als solcher bezeichnet wird und es erheblicher Nachforschungen bedarf, um seine Identität festzustellen (siehe beispielsweise T 301/87, OJ 1990, 335, Punkt 6.3 der Entscheidungsgründe). Insbesondere wesentliche Bestandteile der Erfindung, die in der früheren Anmeldung fehlen und erst später als wesentlich erkannt werden, sind nicht Bestandteil der Voranmeldung. In diesem Fall besteht kein Prioritätsanspruch (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, II.D.3.1.5. a)).
Für den vorliegenden Fall folgt daraus folgendes:
Die D9a nennt in den Beispielen eine Anzahl von Parametern. Die Auswahl zweier dieser Paramter, die Bildung eines Quotienten um die Parameter miteinander in Verhältnis zu setzen und die Erkenntnis, dass damit ein bestimmter Effekt erzielt werden kann, stellt eine neue Lehre dar, die im Prioritätsdokument nicht vorhanden ist. Aus den in den Beispielen KSIb und KSII des Prioritätsdokumentes D9a angegebenen Werten für die Searszahlen V2 und den BET-Oberfläche könnten zwar theoretisch jeweils Verhältnisse berechnet werden, die im beanspruchten Bereich von Anspruch 1 des Streitpatents liegen, aber da die D9a dieses Verhältnis mit keinem Wort offenbart, ganz zu schweigen vom Einfluss auf die resultierende Kautschukmischung, handelt es sich bei den Beispielen KSIb und KSII der D9 einerseits und den Beispielen KSI und KSII der D9a andererseits nicht um "dieselbe Erfindung".
Die gleiche Argumentation gilt für die generische Offenbarung in den Ansprüchen 1-5 der D9 und der D9a, bzw. in den entsprechenden Passagen der Beschreibung. Zudem stellt die Angabe des in der D9 beschriebenen V2 zu BET Verhältnisses von 0.140-0.370 durch Quotientenbildung der für V2 (10-30 ml/(5g)) und BET (80-210 m**(2)/g) angegebenen Wertebereiche (siehe beispielsweise Seite 4 Zeilen 1, 7 und 12) eine nicht im Prioritätsdokument D9a genannte Auswahl gegenüber dem theoretisch möglichen Bereich von 0,048-0,375 (berechnet aus 10/210-30/80) dar.
1.4.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin habe, gemäß der G 2/98, die Prüfung einer Priorität und die Prüfung von Änderungen nach Artikel 123(2) EPÜ nach den gleichen Maßstäben zu erfolgen, d.h. der Gegenstand des Anspruchs müsse unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens eindeutig und unmittelbar der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmbar sein.
Nun wäre aber nach Auffassung der Beschwerdeführerin ein fiktives Hinzufügen des Verhältnisses Searszahl V2 zu BET-Oberfläche weder in den Beispielen, in der Beschreibung noch in den Ansprüchen in der D9a konform mit Artikel 123(2) EPÜ. Aus diesem Grund könne der Meinung der Beschwerdeführerin nach die D9 nicht die Priorität der D9a in Anspruch nehmen. Da die Gültigkeit der Priorität der D9 aber eine Vorbedingung sei, bevor überhaupt überprüft werden kann, ob Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Hauptantrages gegenüber der D9 vorliegt, sei es unerheblich, ob die Beispiele KSIb und KSII der D9 den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorwegnehmen oder nicht.
Die Beschwerdegegnerin führte dazu mit Verweis auf G 1/15 (letzter Abschnitt von Punkt 5.2.1) lediglich an, dass die Erfordernisse bzgl. der Artikel 87-89 und 123(2) EPÜ nicht völlig identisch seien und dass eine implizite Offenbarung im vorliegenden Fall gegeben sei.
In Anbetracht der vorgetragenen Argumente kommt die Kammer zu folgendem Schluss: In der G 1/15 (OJ 2017, A82) wird festgestellt, dass für die Klärung der Frage, ob es sich um "dieselbe Erfindung" handelt, ebenso wie in den vorherigen Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 2/98 und G 1/03, die Kriterien zur Bestimmung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ Anwendung finden (Punkt 6.2 der Entscheidungsgründe).
Lediglich bei der Frage der Teilpriorität, d.h. wenn nur ein Teil des beanspruchten Gegenstands der Folgeanmeldung in der Erstanmeldung offenbart ist, können andere Kriterien Anwendung finden (Punkt 6.3 der Entscheidungsgründe: "...the expression "partial priority" being understood to refer to the situation in which only a part of the subject-matter encompassed by a generic "OR"-claim is entitled to the priority date of an earlier application"). So wird nach Punkt 6.4 der G 1/15 für die Gültigkeit einer Teilpriorität geprüft, ob der im Prioritätsdokument offenbarte Gegenstand vom Anspruch der Anmeldung bzw. des Patents umfasst wird, was nicht gleichbedeutend ist mit dem Kriterium aus G 2/98 "unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehm[bar]".
Für die Frage, ob die Beispiele KSIb und KSII der D9 die Priorität der Beispiele KSI und KSII der D9a gültig beanspruchen dürfen, ist die Einschränkung im Hinblick auf die Teilpriorität aber nicht von Relevanz, da es im vorliegenden Fall nicht um einen breiter beanspruchten Gegenstand im Vergleich zu einem ursprünglich enger beanspruchten Gegenstand geht. Sinngemäßes gilt auch für die allgemeine Offenbarung.
Somit sind im vorliegenden Fall die in den Entscheidungen G 2/98 und G 1/03 dargelegten Grundsätze anzuwenden. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin jedoch nicht bestritten, dass ein fiktives Hinzufügen des Verhältnisses Searszahl V2 zu BET-Oberfläche zur D9a nach Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig wäre. Dieser Schlussfolgerung ist zuzustimmen.
1.4.3 Aus den obengenannten Gründen kann die D9 nicht die Priorität der D9a beanspruchen, da weder die generische Offenbarung in den Ansprüchen 1-5 (bzw. in den entsprechenden Passagen der Beschreibung Seite 3, Zeile 25 - Seite 5, Zeile 3), noch die konkreten Beispiele KSIb und KSII auf Seite 28 dieselbe Erfindung beschreiben.
Damit gehört die D9 nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ.

No comments:

Post a Comment

Do not use hyperlinks in comment text or user name. Comments are welcome, even though they are strictly moderated (no politics). Moderation can take some time.