13 August 2015

T 1646/12 - No Art 69 for patentability

EPO T 1646/12

For the decision, click here. ([C], no headnote, DE)

Key points
  • The Board follows established case law that for patentability (rather than scope of protection) Article 69 EPC is not to be applied, but considers that the claims are nevertheless to be read in the context of the description.
  • Two extremes are to be avoided, according to the Board. Features described in the description, but not in the claims, are not to be read into the claims. On the other hand, the claims are not to be considered as completely separate from the description. 
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 1 515 857 zu widerrufen, Beschwerde eingelegt. [...]
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, die Erfindung sei nicht ausführbar.


Entscheidungsgründe
1. Die Anmeldung, auf der das Streitpatent beruht, wurde am 6. Juni 2003 eingereicht. Deshalb ist im vorliegenden Fall in Anwendung von Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 4, ABl. EPA 2007, 217) und des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 4 ABl. EPA 2007, 219) der Artikel 100 EPÜ 1973 anzuwenden.
2. Auslegungsfragen
2.1 Grundsätzliches
Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, die Einspruchsabteilung hätte die Beschreibung unbedingt zur Auslegung des Anspruchs 1 heranziehen müssen und hat in diesem Zusammenhang auf Artikel 69 (1) Satz 2 EPÜ hingewiesen.
Die Beschwerdekammern haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Artikel 69 (1) EPÜ nur den Schutzbereich des Patents betreffe, der wiederum nur im Zusammenhang mit der Prüfung in Hinblick auf die Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ und in Verletzungsverfahren vor nationalen Gerichten von Bedeutung sei (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 7. Auflage, 2013, II.A.6.3.2). Ein allgemeines Gebot der Auslegung der Ansprüche unter Heranziehung der Beschreibung lässt sich aus Artikel 69 (1) EPÜ nicht herleiten.
Die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 1808/06 enthält ein obiter dictum, dem zufolge in Situationen, in denen es aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht möglich ist, Unstimmigkeiten zwischen Beschreibung und Ansprüchen mit Berufung auf Artikel 84 EPÜ 1973 zu beseitigen, die Ansprüche hilfsweise ("purely as an auxiliary construction") unter Zuhilfenahme von Artikel 69 (1) EPÜ 1973 ausgelegt werden können (siehe Punkt 2 der Entscheidungsgründe). Diese Entscheidung befasste sich aber mit der Anpassung der Beschreibung und hat keinen direkten Bezug zu den Fragen, mit denen die Kammer im gegenwärtigen Fall befasst ist.
Dessen ungeachtet sind die Ansprüche eines Patents Texte, deren Auslegung den allgemeinen Grundsätzen zur Auslegung von Texten unterliegt. Zu diesen Grundsätzen gehört auch, dass ein Begriff bzw. ein Textbestandteil nur im Kontext ausgelegt werden kann. Auf Patente angewandt bedeutet dies, dass Begriffe eines Anspruchs bzw. der Anspruchswortlaut als solcher kontextuell, d.h. im Gesamtzusammenhang des Anspruchssatzes bzw. der Beschreibung auszulegen sind. Sie können daher in der Regel nicht völlig losgelöst von der Beschreibung betrachtet werden.
In diesem Zusammenhang gilt es zwei Extreme zu meiden. Zum einen ist es nicht zulässig, die Ansprüche und die Beschreibung gewissermaßen als kommunizierende Gefäße zu betrachten, zum Beispiel, indem man einschränkende Merkmale, die zwar in der Beschreibung beschrieben sind, aber nicht in den Ansprüchen, in letztere hineinliest (siehe dazu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 7. Auflage, 2013, II.A.6.3.4). Eine solche Übertragung von einschränkenden Merkmalen kann nicht durch Auslegung, sondern nur durch eine Änderung der Ansprüche erreicht werden.

Zum anderen kann man den Anspruch auch nicht als von der Beschreibung völlig getrennt betrachten. Der Fachmann, der einen Anspruch auslegt, muss sich zumindest vergewissern, ob die Ausdrücke des Anspruchs ihrem üblichen Wortsinn nach zu verstehen sind oder ob die Beschreibung für diese Ausdrücke eine besondere Bedeutung definiert. Auch bei unklaren Ansprüchen kommt der Fachmann nicht umhin, in den restlichen Ansprüchen, aber auch in der Beschreibung und ggf. in den Figuren nach Elementen zu suchen, die zu einer Klärung beitragen können (siehe dazu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", op.cit., II.A.6.3.3). Es ist also innerhalb gewisser Grenzen zulässig, und unter Umständen sogar notwendig, die Beschreibung bei der Auslegung der Ansprüche heranzuziehen; einer Berufung auf Artikel 69 (1) EPÜ bedarf es dazu nicht.

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