30 June 2015

T 0755/14 - Unity of invention a posteriori: requires inventions

EPO T 755/14

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Key points

  • The Board explains that for a lack of unity of invention of dependent claims a posteriori, it is required that the features of these claims define inventive subject matter. In case the dependent claims are considered to lack inventive step, they can not cause a lack of unity of invention.
  • " Bei einer konsistenten Prüfung der Einheitlichkeit a posteriori zum Zeitpunkt der Erstellung des Teilrecherchenberichts oder aber spätestens zum Zeitpunkt der Erstellung des Recherchenberichts hätte die Recherchenabteilung mithin feststellen können und müssen, dass die zusätzlichen Merkmale der abhängigen Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 jeweils keinen Beitrag zu dem zum Zeitpunkt der Versendung der Aufforderung nach Regel 64 (1) EPÜ verfügbaren Stand der Technik leisten und mithin keine "besondere technische Merkmale" im Sinne der Regel 44 (1) EPÜ darstellen können []. Demnach können die Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 per definitionem gar keine Erfindungen im Sinne der Regel 44 (1) EPÜ darstellen. Der erhobene Einwand der mangelnden Einheitlichkeit a posteriori war mithin unbegründet."
  • A similar reasoning is given in T 0129/14 at [5.4.]: " However, for each group of claimed inventions, the Examining Division should have identified special technical features and established a respective technical problem solved over document D1, i.e. the prior art considered in its assessment. This is not only clear from the established case law of the boards of appeal, but also directly derivable from the wording of Rule 44(1) EPC, which explicitly mentions, for each claimed invention, "a contribution [...] over the prior art".





Entscheidungsgründe
1. Angesichts der erstinstanzlichen Umstände des Falles hält es die Kammer für angebracht, kurz auf die Vorschrift der Einheitlichkeit sowie auf die etablierte Rechtsprechung zu dieser Vorschrift einzugehen.
1.1 Nach Artikel 82 EPÜ darf eine Anmeldung nur eine einzige Erfindung enthalten oder eine Gruppe von Erfindungen, die untereinander in der Weise verbunden sind, dass sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Sind in einer Anmeldung mehrere Erfindungen beansprucht, ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 EPÜ nur dann erfüllt, wenn zwischen diesen Erfindungen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden "besonderen technischen Merkmalen" zum Ausdruck kommt (Regel 44 (1) Satz 1 EPÜ). Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag jeder beanspruchten Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik bestimmen (Regel 44 (1) Satz 2 EPÜ). Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern meint der Begriff "Beitrag" in diesem Zusammenhang einen neuen und offensichtlich erfinderischen Beitrag zum Stand der Technik (siehe die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage 2013, kurz "RsprBK 2013", II.B.5.1 und 5.2).


1.2 Dieses Erfordernis ist eine reine Ordnungsvorschrift, welche organisatorischen, dokumentarischen, verfahrenstechnischen wie haushaltsmäßigen Ordnungszwecken dient (siehe RsprBK 2013, II.B.3.4). Daher ist zwar in klaren Fällen ein Einwand der mangelnden Einheitlichkeit vorzubringen, als Folge einer zu engen, zu wörtlichen oder theoretischen Auslegung sollte aber kein Einwand erhoben werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die mögliche mangelnde Einheitlichkeit keine weitere Recherche erforderlich macht (siehe dazu auch die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, 2014, kurz "Richtlinien 2014", F-V, 8).
1.3 Mangelnde Einheitlichkeit einer Anmeldung kann entweder von vornherein ("a priori") ersichtlich sein, d.h. bevor die Ansprüche gegenüber dem verfügbaren Stand der Technik geprüft werden, oder sich erst nachträglich ("a posteriori") ergeben, d.h. nach materieller Prüfung der Ansprüche auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber dem verfügbaren Stand der Technik (siehe auch Richtlinien 2014, F-V, 7).
2. Die Recherchenabteilung war also im Prinzip befugt, die Einheitlichkeit der Anmeldung a posteriori zu prüfen und, nachdem sie fünf nichteinheitliche Erfindungsgruppen ermittelt hatte, vier weitere Recherchengebühren zu verlangen.
3. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung in Bezug auf den Rückzahlungsantrag nach Regel 64 (2) EPÜ überprüft, ob die Aufforderung nach Regel 64 (1) EPÜ gerechtfertigt war. Sie hat den darin erhobenen Einwand der mangelnden Einheitlichkeit bestätigt und kam dann zu dem Schluss, dass der Rückzahlungsantrag nicht berechtigt sei. Die Prüfungsabteilung hat dennoch die Rückzahlung zweier weiterer Recherchengebühren mit der Begründung angeordnet, dass die Erfindungsgruppen 3 und 5 mit geringem zusätzlichen Recherchenaufwand recherchierbar waren.
4. Bei der Überprüfung der Entscheidung der Prüfungs-abteilung nach Regel 64 (2) EPÜ muss die Kammer ebenfalls überprüfen, ob die Aufforderung nach Regel 64 (1) EPÜ berechtigt war und ob der darin erhobene Einwand der mangelnden Einheitlichkeit gerechtfertigt war. Dabei muss sich die Überprüfung dieses Einwands darauf beschränken, ob er zum Zeitpunkt der Versendung der Aufforderung nach Regel 64 (1) EPÜ, d.h. zum Zeitpunkt der Erstellung des Teilrecherchenberichts, und unter Berücksichtigung des zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Stands der Technik gerechtfertigt war (siehe RsprBK 2013, II.B.3.3.2; siehe auch Richtlinien 2014, F-V, 11.3 und C-III, 3.3).
5. Zum relevant Zeitpunkt stand der Recherchenabteilung nicht nur der durch ihre vorläufige Recherche aufgefundene Stand der Technik (u.a. die D1 und D2) zur Verfügung, sondern auch der in der ursprünglichen Anmeldung erwähnte Stand der Technik (d.h. die D3a und D5 sowie die Patentschrift EP 0 533 559 B1), der aufgrund seiner Relevanz für das Verständnis der Erfindung von der Recherchenabteilung zu berücksichtigen war.
6. Die Kammer stellt aus folgenden Gründen fest, dass weder der Einwand der mangelnden Einheitlichkeit noch die Aufforderung zur Zahlung weiterer Recherchengebühren gerechtfertigt waren:
6.1 Keine Prüfung a posteriori
Die Recherchenabteilung war der Auffassung, dass die Bodenabtragsvorrichtungen gemäß der D1 und D2 jeweils alle Merkmale des Anspruchs 1 aufwiesen. Die Beschwerdeführerin teilt diese Einschätzung. Auch die Kammer kann sich dieser Einschätzung anschließen.
Daraufhin hat die Recherchenabteilung festgestellt, dass wegen der fehlenden Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 die fünf Erfindungen, die in den direkt von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 definiert sind, den Anforderungen der Einheitlichkeit der Erfindung a posteriori nicht genügen.
Es ist aber nicht erkennbar, dass die Recherchenabteilung die Einheitlichkeit a posteriori geprüft hat. Eine solche Prüfung setzte voraus, dass die besonderen technischen Merkmale der abhängigen Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 a posteriori ermittelt wurden, d.h. nach Prüfung ihrer Neuheit und erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem verfügbaren Stand der Technik. Die im Ergänzungsblatt B des Teilrecherchenberichts angegebenen besonderen technischen Merkmale der Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 entsprechen jedoch jeweils dem Wortlaut der zusätzlichen Merkmale dieser Ansprüche. Die besonderen technischen Merkmale wurden also nur a priori ermittelt, d.h. ohne in die Prüfung der Patentfähigkeit dieser Ansprüche gegenüber den verfügbaren Stand der Technik einzusteigen.
Dieser Umstand wird dadurch bestätigt, dass die Recherchenabteilung im Hauptblatt des Teilrecherchenberichts angegeben hat, dass sie den Gegenstand des Anspruchs 2 als nicht neu bzw. nicht erfinderisch gegenüber der D1, oder alternativ der D2, ansieht (siehe Kategorie "X" der Dokumente D1 und D2), und diese Einschätzung bei ihrer Ermittlung der besonderen technischen Merkmale des Anspruchs 2 nicht berücksichtigt.
Demzufolge hat die Recherchenabteilung die Einheitlichkeit a posteriori in inkonsistenter Weise geprüft (siehe auch Richtlinien 2014, F-V, 9). Schon allein deshalb ist der Einwand der mangelnden Einheitlichkeit nicht stichhaltig.
6.2 Keine besonderen technischen Merkmale
Die Recherchenabteilung hat in der dem Recherchenbericht beigefügten Stellungnahme zur Recherche ihre vorläufige Auffassung kundgetan, dass der Gegenstand der Ansprüche 2, 4, 8 und 10 gegenüber der D1 bzw. D2 nicht neu sei und dass ausgehend von der D2 der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 9 im Hinblick auf die Lehre der D3 oder D5 auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Kammer teilt diese Auffassung.
Die Kammer stellt fest, dass die Entgegenhaltungen D1, D2, D5 und D3a, dessen Inhalt mit dem der D3 identisch ist, zum Zeitpunkt der Erstellung des Teilrecherchenberichts der Recherchenabteilung zur Verfügung standen (siehe Punkt 5 oben).
Bei einer konsistenten Prüfung der Einheitlichkeit a posteriori zum Zeitpunkt der Erstellung des Teilrecherchenberichts oder aber spätestens zum Zeitpunkt der Erstellung des Recherchenberichts hätte die Recherchenabteilung mithin feststellen können und müssen, dass die zusätzlichen Merkmale der abhängigen Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 jeweils keinen Beitrag zu dem zum Zeitpunkt der Versendung der Aufforderung nach Regel 64 (1) EPÜ verfügbaren Stand der Technik leisten und mithin keine "besondere technische Merkmale" im Sinne der Regel 44 (1) EPÜ darstellen können (siehe Punkt 1.1 oben). Demnach können die Ansprüche 2, 4, 8, 9 und 10 per definitionem gar keine Erfindungen im Sinne der Regel 44 (1) EPÜ darstellen.
Der erhobene Einwand der mangelnden Einheitlichkeit a posteriori war mithin unbegründet.
6.3 Kein zusätzlicher Recherchenaufwand erforderlich
Abgesehen von dieser inkorrekten Prüfung der Einheitlichkeit a posteriori stellt die Kammer fest, dass der Recherchenbericht sich vom Teilrecherchenbericht im Wesentlichen nur darin unterscheidet, dass die Druckschriften D3, D4 und D5 genannt sind. Die Kammer findet es bemerkenswert, dass die D5 bereits in der ursprünglichen Anmeldung erwähnt war und dass die D3 herangezogen wurde, obwohl sie nur die deutsche Übersetzung der D3a ist, welche ihrerseits ebenfalls in der ursprünglichen Anmeldung erwähnt war. Die D4 ist neben der D3 und D5 nur als weiterer Nachweis der Behauptung genannt worden, dass ausgehend von der D2 das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 9, "dass an der Lagereinrichtung ... Anschlüsse ... für Hydraulikfluide vorgesehen sind", keine erfinderische Tätigkeit begründen kann. Die Kammer findet es auch hier bemerkenswert, dass die D4 von der gleichen Anmelderin wie die in der ursprünglichen Anmeldung erwähnte Patentschrift EP 0 533 559 B1 stammt und dass die entgegengehaltene Lehre der D4 nicht über diejenige der Patentschrift hinausgeht (siehe Spalte 4, Zeilen 30 bis 37).
Es ist mithin offensichtlich, dass für alle Erfindungsgruppen mit geringem oder gar ohne zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand eine vollständige Recherche durchgeführt und eine vollständige Stellungnahme dazu hätten verfasst werden können. Schon allein deshalb verstieß die Anforderung zusätzlicher Recherchengebühren gegen den Grundsatz der Billigkeit (siehe auch RsprBK 2013, II.B.6.3).
7. Aus den vorgenannten Gründen hätte auch die Prüfungsabteilung die Frage der Einheitlichkeit zugunsten der Beschwerdeführerin entscheiden und die Rückzahlung der gezahlten vier weiteren Recherchengebühren anordnen müssen.
8. Nach alledem kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der gezahlten zwei weiteren Recherchengebühren für die Erfindungsgruppen 2 und 4 berechtigt ist und dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Rückerzahlung dieser weiteren Recherchengebühren abzulehnen, aufzuheben ist.
9. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
9.1 Nach Regel 103 EPÜ wird die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
9.2 Obwohl die Recherchen- und Prüfungsabteilungen es versäumt haben, sich an das in den Richtlinien festgelegte Verfahren zur Prüfung der Einheitlichkeit zu halten, kann entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin die inhaltliche Fehleinschätzung der Recherchen- und Prüfungsabteilung zu der Frage der Einheitlichkeit nicht als ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne der Regel 103 (1) EPÜ angesehen oder einem solchen gleichgesetzt werden, insbesondere da die Richtlinien nicht rechtsverbindlich sind.
9.3 Auch kann die Kammer in der Vorgehensweise der Prüfungsabteilung keinen wesentlichen Verfahrensmangel erkennen. Die Prüfungsabteilung hat die Stichhaltigkeit des von der Recherchenabteilung erhobenen Einwands der mangelnden Einheitlichkeit und die Begründetheit des Antrags der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der zusätzlich gezahlten Recherchengebühren überprüft. Bevor sie ihre Zwischenentscheidung erlassen hat, mit der dieser Antrag zurückgewiesen wurde, hat sie die Beschwerdeführerin über ihre vorläufige Meinung und auch über die Gründe für diese Meinung unterrichtet. Der Beschwerdeführerin wurde Gelegenheit gegeben, sich zu dieser vorläufigen Meinung zu äußern, und ihre Äußerungen wurden von der Prüfungsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung berücksichtigt.
9.4 Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) EPÜ ist damit zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Zwischenentscheidung wird aufgehoben.
2. Die Rückzahlung der zwei nach Regel 64 (1) EPÜ gezahlten Recherchengebühren für die Erfindungsgruppe 2 (Ansprüche 4 bis 7) und die Erfindungsgruppe 4 (Anspruch 9) wird angeordnet.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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