13 April 2017

T 1711/11 - Wayback Machine II

Key points

  • The Board decides that an internet publication on a company website has been sufficiently proven. The  Board notes that T 1134/06, T 1213/05 and T 1875/06 are obsolete. The disclosure does not to be proven up to the hilt, but on the balance of probabilities (T 286/10).
  • The Board furthermore repeats that the Internet Archive on the Wayback Machine is fundamentally credible and reliable. 



Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Dokument D1 als Stand der Technik
2.1 Das Dokument D1 besteht aus vier Seiten und beinhaltet sieben Screenshots von archivierten Seiten der Website der Cognitec AG, die im Internetarchiv archive.org abgelegt und mit Hilfe dessen Wayback-Machine aufgefunden wurden.
Außerdem befindet sich auf der ersten Seite von D1 eine Übersicht der Kalenderdaten, an denen die Seite
http://cognitec-ag.de von der Wayback-Machine erfasst wurde. Dort ist die Willkommensseite
http://www.cognitec-ag.de/index.html wiedergegeben.
Ausgehend von dieser Seite kann man durch Klicken verschiedener Links durch die Website navigieren. Die zweite Seite (FaceVACS-SDK "Software Development Kit for integrators") und die dritte Seite ("FaceVACS-SDK Manual" und "Tutorial - Overview") von D1 zeigen Screenshots derjenigen Seiten, die durchnavigiert werden müssen, um letztendlich an die vierte Seite von D1 ("Face-VACS-SDK Tutorial - Evaluate Samples (images)") zu gelangen.
2.2 Unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 1134/06 (s. auch T 1213/05 und T 1875/06) vertritt die Beschwerdeführerin die Meinung, dass D1 nicht als Stand der Technik angesehen hätte werden dürfen, da nach genannter Rechtsprechung für Internet-Offenbarungen der Beweismaßstab der "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gelte, dem D1 nicht entspreche.
Die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung ist jedoch überholt. Nach der jüngeren und einhelligen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt, in ausdrücklicher Abkehr von T 1134/06 u.a., der Beweismaßstab des "Abwägens der Wahrscheinlichkeit" (s. T 286/10 mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf die zutreffende Rechtsprechung zu T 2339/09 und T 990/09); T 2227/11). Damit gibt es bei Offenbarungen im Internet keine Rechtsgrundlage für die Anwendung anderer Beweisregeln als diejenigen, die allgemein für Offenbarungen des Standes der Technik gelten. Die Vorgangsweise der Einspruchsabteilung, den Nachweis eines im Internet veröffentlichten Dokuments mit Hilfe des Internetarchivs archive.org zu belegen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und ist daher nicht zu beanstanden.


Die Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung entspricht auch der Mitteilung des Europäischen Patentamts über die Anführung von Internet-Dokumenten (s. ABl. EPA 8-9/2009, Seiten 456-462), wonach ebenfalls der Beweismaßstab der "Abwägung der Wahrscheinlichkeit" für Internet-Offenbarungen gelten soll. Der über die Wayback Machine zugängliche Internetarchiv archive.org wird darin ausdrücklich als grundsätzlich zum Nachweis von Internet-Veröffentlichungen geeignet angesehen und es wird auch darauf hingewiesen, dass die Unvollständigkeit derartiger Archive die darin enthaltenen Daten nicht weniger glaubhaft macht. Auch die Richtlinien für die Prüfung im EPA (April 2010) bezüglich Internet-Offenbarungen widerspiegeln diese Mitteilung (s. C-IV, 6.2).
2.3 Es ist darüber hinaus festzuhalten, dass die Screenshots von D1 jeweils aus drei Frames zusammengestellt sind. Jeder Frame hat seine eigene URL. Jede URL enthält einen Zeitstempel, der genau zeigt, wann die Seite bei einem Crawl erfasst wurde. Bei einer näheren Analyse der vierten Seite von D1 "FaceVACS-SDK Tutorial-Evaluate samples (images)" ist aufgrund der jeweiligen Zeitstempel in der URL festzustellen, dass der Header (http://www.cognitec-ag.de/products/header_products.html) am 26. Juni 2002, der linke Frame (http://www.cognitec-ag.de/products/sdk_e/left_sdk_e.html) am 22. September 2001 und der rechte Frame (http://www.cognitec-ag.de/documentation/frsdk_public/t_evaluate.html), der den für die Entscheidung relevanten Inhalt der Seite enthält, am 22. April 2002 erfasst wurden.
Demzufolge war am 22. April 2002 der gesamte Inhalt des rechten Frames der letzten Seite von D1 der Öffentlichkeit zugänglich. Ferner zeigt eine Analyse aller anderen Screenshots von D1, dass die in der URL angegebenen Daten allesamt vor dem Anmeldetag des Streitpatents (24. Oktober 2002) liegen.
2.4 Die Beschwerdeführerin versucht, die Zuverlässigkeit dieser Datumsangaben von archive.org in Zweifel zu ziehen, indem sie auf angeblich widersprüchliche Angaben des ersten Screenshots von D1 und der kalendarische Übersicht von D9 hinweist.
Abgesehen davon, dass sie zu Unrecht - wie oben gezeigt - von der unrichtigen Prämisse eines erhöhten Beweismaßstabs ausgeht, können ihre Argumente auch nicht überzeugen. D9 bezieht sich auf die Daten, an welchen die Seite http://cognitec-ag.de erfasst wurde. Im Vergleich zu den Daten, die in dem ersten Screenshot von D1 erscheinen, fehlen die Einträge für den 14. April 2001, den 6. Oktober 2001 und den 12. Dezember 2001.
Der zweite Screenshot von D1 ("Welcome to Cognitec AG") ist unter der URL http://web.archive.org/web/20011006192528/http://cognitec-ag.de/index.html zu finden. Ein kalendarischer Überblick der archivierten Seiten mit der URL http://cognitec-ag.de/index.html zeigt drei Einträge für 2001, nämlich 14. April 2001, 6. Oktober 2001 und 12. Dezember 2001. Diese Daten sind diejenigen, die in dem kalendarische Überblick von D9 fehlen.
Obwohl nicht ersichtlich ist, warum der erste Screenshot von D1 die Erfassungsdaten sowohl für cognitec-ag.de als auch für cognitec-ag.de/index darstellt, besteht kein Anlass, allein daraus an der Glaubwürdigkeit der in den URL eingebetteten Daten zu zweifeln. Wie auch zutreffend in der oben zitierten Mitteilung über die Anführung von Internet-Dokumenten erkannt wird, ist das Internetarchiv archive.org als grundsätzlich glaubwürdig und zuverlässig einzustufen. Es gelingt der Beschwerdeführerin im vorliegenden Zusammenhang damit nicht, Unrichtigkeiten der erstinstanzlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.
2.5 Die Beschwerdeführerin argumentiert ferner, dass das Vorhandensein von Links auf einer Seite nicht impliziere, dass die verlinkten Inhalte zum selben Zeitpunkt auch vorhanden waren.
Auch dieses Argument überzeugt im vorliegenden Fall nicht. Es kann durchaus passieren, dass die archivierte Version einer Webseite Links enthält, die zum Zeitpunkt der Erfassung der Seite nicht existierten. Es kann deshalb nicht garantiert werden, dass ein Link auf einer archivierten Seite zu einem Inhalt führt, der identisch mit dem Inhalt ist, der zum Zeitpunkt des Erstellens des Links mit dem Link assoziiert wurde. Jedoch sind solche Zweifel für den Inhalt von Seite 4 von D1 unerheblich. Insbesondere entstammt der für die Entscheidung relevante Inhalt von D1, nämlich dessen letzte Seite, einer einzigen HTML-Datei ohne etwaige Links, die den Inhalt dieser letzten Seite vervollständigen würden. Im vorliegenden Fall stellt sich daher nicht die Frage, ob verlinkte Inhalte erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar waren.
2.6 Da die Argumente der Beschwerdeführerin gegen die angefochtene Entscheidung bezüglich des Dokuments D1 als Beweismittel nicht überzeugend sind, ist mit D1 der Nachweis für den Stand der Technik gemäß Art. 54(2) EPÜ 1973 als erbracht anzusehen.

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