3 January 2022

T 2091/18 - Cancelling independent claim and case amendment

 Key points

  •  The patentee cancels device claims 6-14 during the oral proceedings, keeping only claims 1-5 directed to the process, in a new request filed during oral proceedings before the Board.
  • The Board considers this to be a case amendment in the sense of the RPBA. The Board disagrees with a number of other decisions which took a different position.
  • "Für den Rückschluss, dass die Streichung von Ansprüchen das Beschwerdevorbringen nicht ändere, insofern sich dadurch keine geänderte Sachlage (T 995/18, T 981/17, T 1792/19, T 1857/19) bzw. keine (völlige) Neugewichtung (T 995/18, T 981/17) ergebe, findet sich nach Ansicht der Kammer in der Verfahrensordnung keine Stütze."
  • The present Board is of the view that the question of whether a submission constitutes a case amendment in the meaning of Article 13(2) RPBA, is to be distinguished from the considerations regarding the further course of proceedings, as such considerations may be relevant for the subsequent question of whether there are exceptional circumstances. 
  • The Board applies Article 13(2) RPBA and admits the request inter alia because the Board had raised new issues regarding specifically the device claims in the preliminary opinion.

T 2091/18 - 

Entscheidungsgründe

Zulassung des Hauptantrags

1. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Hauptantrag wurde erstmals zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht. Er unterscheidet sich von dem Patent in der erteilten Fassung, das der angefochtenen Entscheidung, den Einspruch zurückzuweisen, zugrunde lag, lediglich dadurch, dass die Vorrichtungsansprüche 6 bis 14 gestrichen worden sind. Damit werden in dem nun vorliegenden Hauptantrag nur die Verfahrensansprüche 1 bis 5 in der erteilten Fassung weiterverfolgt.

2. Artikel 13 (2) VOBK 2020, der gemäß den Übergangsbestimmungen des Artikels 25 (1) und (3) VOBK 2020 vorliegend anwendbar ist, implementiert die dritte Stufe des im Beschwerdeverfahren anzuwendenden Konvergenzansatzes (s. Zusatzpublikation 2 zum ABl. EPA 2020, S. 33, Erläuterungen zu Artikel 13 Absatz 2). Die Vorschrift bestimmt, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Ablauf einer von der Kammer in einer Mitteilung nach Regel 100 Absatz 2 EPÜ bestimmten Frist oder, wenn eine solche Mitteilung nicht ergeht, nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.


a) Änderung des Beschwerdevorbringens

3. In einigen Entscheidungen der Beschwerdekammern wird die Auffassung vertreten, dass die Streichung von Ansprüchen, die bereits Gegenstand des Beschwerdeverfahrens waren, keine Änderung des Beschwerdevorbringens darstelle, sodass die Kammer keinerlei Ermessensspielraum hinsichtlich ihrer Zulassung nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 habe (siehe z. B. T 995/18, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 981/17, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; T 2243/18, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 1792/19, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 1857/19, Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe).

4. Dieser Sichtweise schließt sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht an.

4.1 Artikel 12 (3) VOBK 2020 schreibt vor, dass die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten müssen. Dabei ist das Beschwerdevorbringen nach Artikel 12 (2) VOBK 2020 auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen. Wie die juristische Beschwerdekammer in J 14/19 (Punkt 1.4 der Entscheidungsbegründung) dargelegt hat, folgt im Umkehrschluss daraus, dass Vorbringen der Beteiligten, das nicht auf die in der Beschwerdebegründung oder Erwiderung enthaltenen Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente oder Beweismittel gerichtet ist, eine Änderung des Beschwerdevorbringens bewirkt. Als Beispiel wird dort im darauffolgenden Punkt 1.5 der Entscheidungsbegründung eine Änderung des Patents genannt. Für die Kammer steht außer Zweifel, dass das Streichen eines oder mehrerer unabhängiger Ansprüche einschließlich etwaiger abhängiger Ansprüche eine Änderung des Patents darstellt (vgl. G 3/14, Punkt 77 der Entscheidungsgründe: "...indem man von einer Änderung ausgeht, die wahlweise in der Streichung eines oder mehrerer unabhängiger Ansprüche (einschließlich etwaiger abhängiger Ansprüche) besteht und die anderen unabhängigen sowie deren abhängige Ansprüche unberührt lässt..."). Folglich teilt die Kammer die in T 1569/17 (Punkt 4.3.1 der Entscheidungsgründe) vertretene Auffassung, dass es sich bei der Streichung von unabhängigen Ansprüchen, die bereits Gegenstand des Beschwerdeverfahrens waren, um eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 handelt. Zu einem ähnlichen Schluss kamen auch die Beschwerdekammern in T 1224/15 (Punkt 5 der Entscheidungsgründe), in T 482/19 (Punkt 5.7 der Entscheidungsgründe), in T 60/18 (Punkt 7 der Entscheidungsgründe) und, wenn auch nur hypothetisch, in T 1857/19 (Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe: "Even if the deletion of a claim category were always to be considered an amendment").

4.2 Für den Rückschluss, dass die Streichung von Ansprüchen das Beschwerdevorbringen nicht ändere, insofern sich dadurch keine geänderte Sachlage (T 995/18, T 981/17, T 1792/19, T 1857/19) bzw. keine (völlige) Neugewichtung (T 995/18, T 981/17) ergebe, findet sich nach Ansicht der Kammer in der Verfahrensordnung keine Stütze. Nach Auffassung der Kammer ist die Frage, ob eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vorliegt, von Erwägungen bezüglich des weiteren Verfahrensablaufs, die möglicherweise bei der anschließenden Ermittlung, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen oder ob die nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 maßgeblichen Kriterien erfüllt sind, eine Rolle spielen, zu trennen.

5. Aus den genannten Gründen ist die Kammer zum Schluss gelangt, dass die Streichung der erteilten Vorrichtungsansprüche im vorliegenden Fall eine Änderung des Beschwerdevorbringens darstellt, deren Zulassung gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer liegt.

b) Außergewöhnliche Umstände

6. Als Rechtfertigung für die verspätete Einreichung des Hauptantrags hat die Beschwerdegegnerin geltend gemacht, dass dieser eine Reaktion auf die von der Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 geäußerte vorläufige Meinung zur Nichtgewähr­barkeit der Vorrichtungsansprüche darstelle.

7. Im Punkt 10.3.2 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 6 in der erteilten Fassung ausgehend von der Druckschrift D2 ihre vorläufige Meinung dargelegt, dass dieser unabhängige Vorrichtungsanspruch keine expliziten Merkmale enthalte, wie eine Trennvorrichtung und eine Versetzeinrichtung für die Herstellung von TT-Systemen anzupassen wären und wie sich die wirkstoffhaltige Beschichtung, die haftklebend aufgebracht sei, darauf auswirke. Außerdem hat sie in Punkt 10.3.3 der Mitteilung darauf hingewiesen, dass in keinem der Vorrichtungsansprüche 6, 10 oder 12 in der erteilten Fassung definiert werde, dass die beim Stanzen entstehende Gitterstruktur an keiner Stelle eine Mindestbreite zwischen den kreisförmigen Pflastern unterschreiten solle. Hinsichtlich Anspruch 12 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass er offenbar keine strukturellen Merkmale enthalte, die für eine Konturierungsvorrichtung bzw. Stanzvorrichtung speziell bei der Herstellung von TT-Systemen erforderlich seien.

8. Diese Aspekte waren vorher im Verlauf des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens nicht zur Sprache gekommen. Darüber hinaus teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass es die Einspruchsabteilung versäumt hat, sich in der angefochtenen Entscheidung mit den unabhängigen Vorrichtungsansprüchen auseinanderzusetzen, obwohl die Einsprechende auch zu diesen Ansprüchen Einwände vorgetragen hatte.

9. Folglich kann der neue Hauptantrag als Reaktion auf die vorläufige Stellungnahme der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 gewertet werden. Die Beschwerdegegnerin hat mithin stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen, die die Zulassung des Hauptantrags auch in dem späten Stadium des Verfahrens rechtfertigten.

10. Somit hat die Kammer den Hauptantrag in Ausübung ihres Ermessens ins Beschwerdeverfahren zugelassen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).

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