29 January 2018

T 1476/14 - Challenging witnesses

Key points

  • The patentee appealed the decision revoking the patent. The OD had held a witness hearing about the alleged public prior use at a trade fair (of two witnesses), considering it proven and novelty destroying for the (then) main request. The patentee tries to challenge the witness hearing in appeal. The Board is not very open to the objections. The small inconsistencies between the testimonies of the two witnesses are not prejudicial. The fact that the witnesses had met with the representative of the opponent at the evening before the hearing, is neither prejudicial because the mere possibility of coordination of the testimonies is not sufficient. 
  • The Board: "Wenn aber schon allein die bloße Möglichkeit einer vorherigen Abstimmung [between witnesses] genügte, um den Inhalt der späteren Aussagen zu disqualifizieren, könnte kaum je eine Zeugenaussage Berücksichtigung finden. Maßgeblich ist daher vielmehr, ob die Zeugenaussagen als solche einen konkreten Verdacht dafür liefern, dass die Zeugen sich zuvor untereinander abgestimmt haben." 
  • Moreover, the patentee pointed out (in the appeal) an inconsistency in the earlier testimonies, but admitted that he had refrained from pointing it out during the witness hearing because the witnesses could then have adapted their testimony. The Board, in a rather German sentence: "Aus einem solchen eigenen Versäumnis kann die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeinstanz jedoch schon zum einen deswegen nichts mehr für sich herleiten, weil sie sich insoweit freiwillig ihrer Rechte begeben hat, wohl auch weil sie mit einer derartigen Fragestellung sogar nach ihrem eigenen Verständnis eine Zeugenaussage herausgefordert hätte, die zu ihren eigenen Lasten gegangen wäre." 
  • In addition, the Board does not admit a request (filed for the first time in appeal) with a feature that aims to provide novelty over the public prior use. In particular because this would necessitate a new witness hearing. 




EPO T 1476/14 -  link

Hauptantrag
2. Neuheit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung ANPIC
2.1 Von der Einspruchsabteilung wurde entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags unter anderem im Lichte der Vorbenutzung "ANPIC" nicht neu sei. Bei dieser Entscheidung stützte sich die Einspruchsabteilung auf die während der mündlichen Verhandlung gemachten Zeugenaussagen der Herren Rodriguez Lee, Giorgianni und Fierro Rodriguez.


Aus den Aussagen der Zeugen während der Zeugeneinvernahme vor der Einspruchsabteilung ergibt sich folgender Sachverhalt (nachfolgend werden die Protokolle der Zeugeneinvernahmen der Herren Rodriguez Lee, Giorgianni und Fierro Rodriguez als Zeugenprotokolle 1 bis 3 bezeichnet):
2.1.1 Die Messe ANPIC fand vom 22. bis 25. Februar 2003 in Leon, Guanajuato, Mexiko statt. Zu dieser Zeit waren die Zeugen Herr Rodriguez Lee und Herr Giorgianni am Stand der Firma GESTA anwesend (jeweils Seite 3 der Zeugenprotokolle 1 und 2).
Der Zeuge Herr Fierro Rodriguez war zu dieser Zeit Mitarbeiter der Firma Huntsman und war als solcher am Stand dieser Firma während besagter Messe ANPIC ebenfalls anwesend (Seite 2 des Zeugenprotokolls 3).
Am Messestand der Firma GESTA war eine Maschine für jeden Besucher frei zugänglich ausgestellt (Seiten 10 und 14 des Zeugenprotokolls 1 und Seite 8 des Zeugenprotokolls 2). Mit dieser Maschine wurden während der Messe Schuhe mit einer Zwischensohle aus einem expandierbaren thermoplastischen Polyurethan Smartlite**(®) 303 der Firma Huntsman ohne Verwendung eines Klebstoffes produziert (Seiten 15 und 16 des Zeugenprotokolls 1, Seiten 12 und 14 des Zeugenprotokolls 2 und Seite 4 des Zeugenprotokolls 3). Hierbei wurde erst eine Laufsohle aus dem Material Avalon**(®) 65 hergestellt, dann kam der Schuhschaft von oben und in den sich bildenden Zwischenraum wurde das expandierbare thermoplastische Polyurethan von Huntsman eingespritzt und verschäumt (Seiten 14 und 15 des Zeugenprotokolls 1, Seite 12 des Zeugenprotokolls 2 und Seiten 4 und 8 des Zeugenprotokolls 3).
Auf Anfrage wurde die Funktionsweise der Maschine und die Art des für die Zwischensohle verwendeten Materials von Herrn Rodriguez Lee und Herrn Giorgianni erklärt (Seite 14 des Zeugenprotokolls 1 und Seite 14 des Zeugenprotokolls 2). Bei Detailfragen zur chemischen Zusammensetzung des Materials der Zwischensohle wurde der Vertreter der Firma Huntsman, Herr Fierro Rodriguez, hinzugezogen (Seite 23 des Zeugenprotokolls 1, Seite 20 des Zeugenprotokolls 2 und Seite 10 des Zeugenprotokolls 3).
2.2 Von der Beschwerdeführerin wurde diese offenkundige Vorbenutzung bestritten. Die Argumentation der Beschwerdeführerin zielte hierbei im schriftlichen Verfahren einzig darauf ab, die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage zu stellen.
2.2.1 So brachte die Beschwerdeführerin vor, dass die Aussagen der Zeugen nicht glaubwürdig seien, da in den einzelnen Aussagen und im Vergleich der Aussagen zueinander deutliche Ungereimtheiten und Unterschiede vorhanden seien.
Dieser Punkt wurde bereits in der Entscheidung der Einspruchsabteilung behandelt. Wie von der Einspruchsabteilung ausgeführt, sind Abweichungen zwischen den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf einzelne Details nicht geeignet oder ausreichend, die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen in Frage zu stellen. Dass die Zeugen damals ihren Fokus in unterschiedlicher Weise auf Umstandsaspekte, wie z.B. das Material eines Posters, gerichtet haben und darüber hinaus nach einem so langen Zeitraum solche Aspekte in unterschiedlicher Genauigkeit erinnern, scheint vielmehr der Lebenswirklichkeit zu entsprechen und damit für die Authentizität der Aussagen zu sprechen. Ferner betreffen die von der Beschwerdeführerin im schriftlichen Beschwerdeverfahren aufgeführten Abweichungen nicht den Kernbereich der Vorbenutzung, sondern allenfalls Randbereiche, wie beispielsweise die Anzahl der Maschinen am Messestand, das Material eines am Messestand befindlichen Posters, was auf dem Poster abgebildet war, ob der rechte und/oder linke Schuh hergestellt wurde, ob noch andere Schuhtypen hergestellt wurden und wie viele Schuhe hergestellt wurden. Diese Abweichungen können daher die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen nicht infrage stellen, wie auch die Einspruchsabteilung zutreffend angenommen hat.
2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass die Zeugen sich am Vorabend der mündlichen Verhandlung mit dem Anwalt der Beschwerdegegnerin getroffen hatten und dass auch während der mündlichen Verhandlung in den Pausen zwischen den Zeugeneinvernahmen Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch bestanden habe. Daher hätten die Zeugen die Möglichkeit gehabt, ihre Aussagen abzustimmen, so dass diese bei der Beurteilung der Vorbenutzungen nicht zu berücksichtigen seien.
Ein ähnlicher Einwand war bereits vor der Einspruchsabteilung vorgebracht worden. Wie diesbezüglich von der Einspruchsabteilung ausgeführt, ist die Möglichkeit einer Abstimmung der Zeugenaussagen - gerade auch im Vorfeld einer mündlichen Verhandlung - nie ganz auszuschließen. Wenn aber schon allein die bloße Möglichkeit einer vorherigen Abstimmung genügte, um den Inhalt der späteren Aussagen zu disqualifizieren, könnte kaum je eine Zeugenaussage Berücksichtigung finden. Maßgeblich ist daher vielmehr, ob die Zeugenaussagen als solche einen konkreten Verdacht dafür liefern, dass die Zeugen sich zuvor untereinander abgestimmt haben. Konkrete Anhaltspunkte dafür sind jedoch von der Beschwerdeführerin weder vor der Einspruchsabteilung noch im schriftlichen Beschwerdeverfahren vorgebracht worden, vielmehr hat diese wie oben dargestellt selbst verschiedene Inkonsistenzen und Widersprüche in den Zeugenaussagen geltend gemacht, was eher gegen eine Abstimmung spricht.
2.2.3 Ferner argumentierte die Beschwerdeführerin, der Zeuge Rodriguez Lee sei ein elektromechanischer Ingenieur und als solcher nicht geeignet gewesen, die öffentliche Vorbenutzung eines chemischen Verfahrens erweisen zu können. Insbesondere habe der Zeuge nicht wissen können, welches Material in dem vorbenutzten Verfahren eingesetzt wurde.
Auch dieses Argument ist nicht überzeugend. Herr Rodriguez Lee war Angestellter der Firma GESTA und als solcher verantwortlich für und damit kompetent hinsichtlich des am Messestand vorgeführten Verfahrens, einschließlich des dabei für die Mittelsohle verwendeten Materials. Außerdem wurden dessen Aussagen hinsichtlich der Art des eingesetzten Materials durch die Aussagen des Herrn Fierro Rodriguez von der Firma Huntsman, die dieses Material lieferte, gestützt.
2.3 Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer argumentierte die Beschwerdeführerin, dass insbesondere der Zeuge Herr Giorgianni in seiner Aussage vor der Einspruchsabteilung von einem "expandierten" Material gesprochen habe (Seite 23 des Protokolls der Zeugeneinvernahme), während Anspruch 1 ein "expandierbares" Material verlange. Auch in den Erklärungen D32 und D33 sei von expandiertem Material die Rede. Somit sei das in den vorbenutzten Schuh eingebrachte Polyurethan der Mittelsohle nicht anspruchsgemäß gewesen. Auf die Erwiderung der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die Beschwerdeführerin habe während der Zeugenbefragung hierauf mit keinem Wort hingewiesen, hat sie diesen Sachverhalt nicht bestritten. Als Grund dafür gab die Beschwerdeführerin auf Befragen der Kammer an, sie habe stillschweigend antizipiert, dass der Zeuge seine Aussage dann in Richtung des fraglichen Anspruchsmerkmals korrigieren werde, wenn er danach gefragt würde, weswegen sie von der Stellung der Frage abgesehen habe.
Aus einem solchen eigenen Versäumnis kann die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeinstanz jedoch schon zum einen deswegen nichts mehr für sich herleiten, weil sie sich insoweit freiwillig ihrer Rechte begeben hat, wohl auch weil sie mit einer derartigen Fragestellung sogar nach ihrem eigenen Verständnis eine Zeugenaussage herausgefordert hätte, die zu ihren eigenen Lasten gegangen wäre. Nachdem der geltend gemachte Umstand - die angebliche Verwendung von expandiertem anstelle des anspruchsgemäßen expandierbaren Polyurethans - zudem für die angegriffene Entscheidung nicht wesentlich gewesen ist, geht ein Angriff darauf vor der Beschwerdekammer ins Leere.
2.4 Unter diesen Umständen sieht die Kammer keinen Grund, die Würdigung der Zeugenaussagen durch die Einspruchsabteilung in Zweifel zu ziehen. Daher ist die offenkundige Vorbenutzung ANPIC durch die Zeugenaussagen nach wie vor als bewiesen anzusehen. Entsprechend nimmt diese offenkundige Vorbenutzung den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
2.5 Da sich die vorliegende Entscheidung ausschließlich auf die mündlichen Zeugenaussagen stützt, kann das zusätzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass von den Zeugen die vorab eingereichten schriftlichen Erklärungen nicht selbst geschrieben worden seien, unberücksichtigt bleiben, da es darauf nicht ankommt. Jedenfalls hat die Beschwerdeführerin nichts dazu vorgetragen, weshalb dieser von ihr behauptete Umstand die Unglaubwürdigkeit der Zeugen zur Folge haben sollte.

[...]
Hilfsantrag 2
4. Zulassung
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass am Ende des Anspruchs hinzugefügt wurde:
"wobei man in einem ersten Schritt in einem Werkzeug eine Laufsohle herstellt oder einlegt und anschließend das expandierbare thermoplastische Polyurethan in den Raum des Werkzeugs, der von der Laufsohle sowie von dem Schuhschaft begrenzt wird, einspritzt und verschäumt, und als expandierbare thermoplastische Polyurethane eine Mischung von thermoplastischen Polyurethanen mit expandierbaren Mikrosphären eingesetzt wird."
4.2 Ein Antrag, der ein solches Merkmal in einem unabhängigen Anspruch enthielt, war nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Vielmehr wurde dieser Antrag erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Dort verlor die Beschwerdeführerin jedoch kein Wort darüber, weshalb das hinzugefügte Merkmal die von der Einspruchsabteilung erhobenen Neuheitseinwände ausräumte. Selbst nachdem die Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung Einwände mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gegen diesen Antrag erhoben hatte, reagierte die Beschwerdeführerin nicht. Erst in der mündlichen Verhandlung erklärte sie, weshalb dieses Merkmal die Neuheit ihrer Meinung nach begründete. Insbesondere zweifelte die Beschwerdeführerin erstmals an, ob bei der Vorbenutzung ANPIC eine Mischung aus thermoplastischem Polyurethan und expandierbaren Mikrosphären eingesetzt wurde.
4.3 Diese Fragestellung war nie Gegenstand des Einspruchsverfahrens und entsprechend sind die Zeugen zu dieser Fragestellung nicht gehört worden. Der Zweck eines Beschwerdeverfahrens besteht im Wesentlichen darin, der unterlegenen Partei Gelegenheit zu geben, die angefochtene Entscheidung anzugreifen, nicht jedoch eine völlig neue, diese Entscheidung nicht berührende Fragestellung aufzuwerfen, schon gar nicht, wenn dadurch die erneute Anhörung von Zeugen notwendig würde. Daher wäre es Sache der Beschwerdeführerin gewesen, den Hilfsantrag bereits vor der Einspruchsabteilung einzureichen, um eine entsprechende Anhörung der Zeugen zu dieser Fragestellung zu ermöglichen.
Entsprechend hat die Kammer entschieden, Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK).

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