4 September 2017

T 1162/12 - Abuse of procedure

Key points

  • With the summons, the Board expressed new concerns about the claims being possible not sufficiently disclosed over the whole scope of the claims of the main request, in addition to a preliminary opinion that the main request was not novel. The proprietor then filed a new main request, and argued that this request must be admitted by the Board. The Board does not agree, firstly because the new main request was filed before the Board had refused the earlier main request for insufficient disclosure. Moreover, the new main request also addressed - perhaps not coincidentally, and late - an objection of lack of novelty that was already made by the OD. 
  • The Board does not like the new main request prevents the Board from deciding on the earlier main request, and considers the filing of the main request an abuse of procedure. " Damit hat sie [patentee] sich aber unter dem Vorwand der Verfahrensökonomie in unzulässiger Weise an die Stelle der Kammer gesetzt und die Kammer daran gehindert, tatsächlich selbst zu dieser Frage [about sufficiency of disclosure] Stellung zu nehmen. Dieses Vorgehen, gekoppelt mit der Darstellung der neuen Anträge als Reaktion auf die völlig hypothetische Zurückweisung des vorherigen Hauptantrags, führt dazu, dass der Kammer die Zulassung der neuen Anträge gewissermaßen aufgezwungen wird. Die Kammer erachtet dieses Vorgehen der Beschwerdeführerin als Verfahrensmissbrauch." 



 EPO T 1162/12

Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Anträge
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge I bis V wurden nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Ihre Zulassung liegt gemäß Artikel 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer.
Die Beschwerdeführerin hat dies mit dem Hinweis darauf bestritten, dass die Anträge eine Reaktion auf einen erstmals im Ladungsbescheid der Kammer erhobenen Einwand darstellen. Die Kammer müsse der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Reaktion geben und habe daher kein Ermessen, die Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen.


Die Kammer kann sich diesem Vortrag aus den folgenden Gründen nicht anschließen:
In der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer folgendermaßen zur Ausführbarkeit des Gegenstands des Hauptantrags Stellung genommen (siehe Punkt 5.3 der Mitteilung):
"Die entscheidende Frage ist hier, ob der Fachmann, der ein optisch variables Material in Teilchenform verwenden möchte, durch das Streitpatent oder durch sein Fachwissen befähigt würde, die Größe der Teilchen und ihren Formfaktor derart zu wählen, dass ein optisch variabler Effekt erhalten wird. Dazu ist anzumerken, dass das Streitpatent Pigmente erwähnt, die "von der Firma Merck unter dem Handelsnamen IRIODINE® vertrieben werden" (Absatz [0042]). Falls die Verwendung dieser im Handel erhältlichen Pigmente erlaubt, einen optisch variablen Effekt zu erhalten, wäre dem Fachmann ein Weg, die Erfindung auszuführen, offenbart.
Die Frage, ob die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist, wäre unter Umständen in der mündlichen Verhandlung zu erörtern. Diese Frage könnte sich auch im Zusammenhang mit dem Merkmal der Nicht-Beeinträchtigung (siehe Punkt 4.2) stellen." (Unterstreichungen nicht im Original)
In Punkt 5.4.6 der Mitteilung hat die Kammer dann abschließend zum Gegenstand des Hauptantrags Stellung genommen:
"Angesichts dieses Ergebnisses ist die Kammer der vorläufigen Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu, zumindest aber nicht erfinderisch gegenüber der Druckschrift S4 erscheint.
Sie beabsichtigt daher, dem Hauptantrag nicht stattzugeben."
Es geht aus der Mitteilung also unzweifelhaft hervor, dass die Kammer beabsichtigte, den Hauptantrag wegen fehlender Neuheit oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückzuweisen. Die Frage der Ausführbarkeit über den gesamten Bereich wurde von der Kammer nur erwähnt, da sie unter Umständen (nämlich nur dann, wenn die Einwände gegen die Patentierbarkeit ausgeräumt würden) zu erörtern gewesen wäre. Es geht aus der Mitteilung nicht hervor, dass die Kammer schon davon überzeugt war, dass die Erfindung nicht über den gesamten Bereich ausführbar wäre. Diese Frage wurde nur zur Debatte gestellt.
Die Beschwerdeführerin hat dies zum Anlass genommen, Anträge einzureichen, die dem denkbaren, aber von der Kammer nicht konkret erhobenen Einwand der Nichtausführbarkeit über den gesamten Bereich Rechnung tragen sollten. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Es lässt sich jedoch daraus nicht ableiten, dass die Anträge ipso facto in das Verfahren zuzulassen sind. Dies wäre nur der Fall, wenn die Kammer den Hauptantrag letztendlich wegen mangelnder Ausführbarkeit über den gesamten beanspruchten Bereich zurückgewiesen hätte. Das war aber in der Mitteilung der Kammer nicht in Aussicht gestellt worden.
Dadurch, dass die Beschwerdeführerin den Hauptantrag zurückgezogen und durch einen anderen Hauptantrag ersetzt hat, hat sie selbst diese mögliche Entwicklung des Verfahrens verhindert.
Die Kammer ist daher zum Schluss gelangt, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge I bis V nicht als legitime Reaktion auf einen erstmals von der Kammer vorgebrachten Einwand gelten können.
Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass die neuen Anträge auch eine Reaktion auf den Einwand der fehlenden Neuheit darstellen. Dieser Einwand war aber schon im Einspruchsverfahren erhoben worden und hätte zum Einreichen von Hilfsanträgen in der ersten Instanz führen müssen. Eine Partei sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, auf einen erstmals vorgetragenen Einwand angemessen zu reagieren. Im vorliegenden Fall wurde der Einwand der fehlenden Neuheit bereits im Ladungsbescheid der Einspruchsabteilung erhoben. Dessen ungeachtet hat die Patentinhaberin (jetzt Beschwerdeführerin) nicht mit der Einreichung von Hilfsanträgen reagiert und hat sogar auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung verzichtet.
Die der Kammer vorliegenden Anträge stellen also ein geändertes Vorbringen im Sinne von Artikel 13 VOBK dar. Die Zulassung der Anträge liegt gemäß Artikel 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer.
Bei der Ausübung des Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Die Rechtsprechung hat auch die Tatsache, dass Anträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, als mögliches Kriterium zur Ermessensausübung nach Artikel 13 (1) VOBK anerkannt. Dieses Kriterium wird zwar in Artikel 12 (4) VOBK erwähnt, also im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Anträgen, die zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereicht wurden; es liegt aber auf der Hand, dass ein Kriterium, das zur Nichtzulassung von zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereichten Anträgen führen kann, erst recht auf verspätet vorgebrachte Anträge Anwendung finden kann. Andernfalls wäre eine Partei, die ihre Anträge bewusst nicht mit der Beschwerdebegründung einreicht, in einer bevorzugten Lage. Vgl. dazu die Entscheidungen T 361/08, Punkt 13 der Entscheidungsgründe, und T 144/09, Punkt 1.17 der Entscheidungsgründe.
Im gegenwärtigen Fall gab es Anlass, die nun vorliegenden Anträge schon der Einspruchsabteilung vorzulegen. Die Beschwerdeführerin hat dies unterlassen und die Anträge erst nach Erhalt der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK eingereicht.
Die unabhängigen Ansprüche dieser Anträge sind zudem identisch mit den unabhängigen Ansprüchen der zuvor eingereichten Hilfsanträge Ib bis IIIb (siehe dazu Punkt VIII.VIII. oben), deren Unzulässigkeit von der Beschwerdeführerin selbst eingeräumt wurde.
Die Beschwerdeführerin hat also die unzulässigen Hilfsanträge Ib bis IIIb zurückgezogen und durch Anträge, deren unabhängige Ansprüche im Wesentlichen wortgleich sind, ersetzt, letztere aber als Reaktion auf einen erstmals erhobenen Einwand - und damit als notwendigerweise zulässig - dargestellt.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin geht schon deshalb ins Leere, da die Kammer keinen derartigen Einwand erhoben hat. Deshalb kann, wie schon erwähnt, das Einreichen des neuen Hauptantrags und der Hilfsanträge I bis V nicht als Reaktion auf einen solchen Einwand gelten.
Die Beschwerdeführerin scheint davon ausgegangen zu sein, dass die Kammer ihren mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag deshalb zurückweisen würde, weil sein Gegenstand nicht über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist, und hat ihn deshalb vorauseilend zurückgezogen. Damit hat sie sich aber unter dem Vorwand der Verfahrensökonomie in unzulässiger Weise an die Stelle der Kammer gesetzt und die Kammer daran gehindert, tatsächlich selbst zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Dieses Vorgehen, gekoppelt mit der Darstellung der neuen Anträge als Reaktion auf die völlig hypothetische Zurückweisung des vorherigen Hauptantrags, führt dazu, dass der Kammer die Zulassung der neuen Anträge gewissermaßen aufgezwungen wird.
Die Kammer erachtet dieses Vorgehen der Beschwerdeführerin als Verfahrensmissbrauch.
Die Beschwerdeführerin hat ihr Vorgehen wiederholt mit Verweis auf die Verfahrensökonomie gerechtfertigt. Die Kammer möchte in diesem Zusammenhang noch ergänzend feststellen, dass die Verfahrensökonomie nicht nur an der Dauer der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu messen ist. Im gegenwärtigen Fall war das Verhalten der Beschwerdeführerin insgesamt (Nicht-Einreichen von Hilfsanträgen vor der Einspruchsabteilung, Nicht-Teilnahme an der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung, Einreichen von mehreren Anträgen mit der Beschwerde, Ersetzen der Hilfsanträge als Reaktion auf die Beschwerdeerwiderungen, Ersetzen aller Anträge in Beantwortung des Landungsbescheids) der Verfahrensökonomie keineswegs zuträglich.
Nach gründlicher Abwägung aller Faktoren hat die Kammer entschieden, die ihr vorliegenden Anträge der Beschwerdeführerin in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.
Angesichts dieser Feststellung erübrigt es sich, auf die prima facie Zulässigkeit der Anträge mit Hinblick auf die Artikel 83 und 123 (2) EPÜ und auf Regel 80 EPÜ einzugehen.
Da kein zulässiger Antrag der Beschwerdeführerin vorliegt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
2. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
Die Beschwerdeführerin regte an, dass die Kammer eine nicht näher definierte Frage bezüglich der Zulässigkeit von Anträgen, die als Reaktion auf einen erstmals in der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erhobenen Einwand vorgelegt wurden, der Großen Beschwerdekammer vorlegen solle.
Wie unter Punkt 1 dargelegt, ist die Kammer aber der Auffassung, dass die Anträge der Beschwerdeführerin keine solche Reaktion darstellen. Daher ist es nicht zweckdienlich, der Großen Beschwerdekammer eine entsprechende Frage vorzulegen.
Die Kammer versteht ihre Entscheidung zur Zulässigkeit der Anträge der Beschwerdeführerin als eine Ermessensentscheidung, die wesentlich vom Sachverhalt des ihr vorliegenden Falls abhängt. Eine Vorlage nach Artikel 112 (1) a) EPÜ kann aber nicht dazu dienen, der Kammer beim Ausüben ihres Ermessens behilflich zu sein.
Daher weist die Kammer den Antrag der Beschwerdeführerin auf eine Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer zurück.
3. Rechtliches Gehör
Die Frage der Zulässigkeit der Anträge der Beschwerdeführerin wurde im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausführlich besprochen. Auch die Frage, ob die Anträge eine Reaktion auf die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK darstellen, wurde eingehend erörtert. Die Beschwerdeführerin hatte somit ausreichend Gelegenheit, ihren Standpunkt vorzutragen, und hat diese Gelegenheit auch genutzt. Die Kammer kann daher im Zusammenhang mit der Nichtzulassung der Anträge der Beschwerdeführerin keine Verletzung des ihr zustehenden rechtlichen Gehörs erkennen.
Die Kammer hat deshalb beschlossen, den Einwand der Beschwerdeführerin, der in ihrer Rüge gemäß Regel 106 EPÜ zum Ausdruck kommt, zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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