13 February 2017

T 0057/12 - Reformatio in peius and scope

Key points


  • Decision is from the stock.
  • The Board applies G 1/99 to determine whether a claim can be broadened in appeal, with only the opponent appealing, as exception to the prohibition of reformatio in peius
  • In the Auxiliary Request at issue, the feature of the Main Request found unclear by the Board was deleted. The feature being deemed unclear, can in principle allow for such exception. However, the Board finds that the feature could also have been clarified by adding one or more restricting features to the claims (the first step of G 1/99), such that deleting the feature is not allowable under G 1/99.
  • The Board also considers if the added feature - a further element of the claimed composite - would result in extension of the scope of protection as a matter of indirect infringement.


EPO T 0057/12 - link


I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der im Einspruchsverfahren vorgenommen Änderungen das europäische Patent mit der Nummer 1 579 779 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.


Entscheidungsgründe

4. Hilfsantrag 1 - Zulassung
4.1 Dieser Hilfsantrag wurde während der mündlichen Verhandlung vorgelegt und stellt somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar (Artikel 13(1) VOBK). Die Zulassung in das Verfahren liegt damit im Ermessen der Kammer wie bereits unter Punkt 1.1 ausgeführt.
4.2 In Anspruch 1 wurde das (im Hauptantrag) als unklar erachtete Merkmal gestrichen. Die weiteren Änderungen betreffen die Aufnahme der Merkmale der ursprünglich eingereichten (und erteilten) abhängigen Ansprüche 2, 8 und 10.
4.3 Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin hätte das gestrichene Merkmal lediglich erläuternden Charakter und es würde daher kein technisches Merkmal entfallen. Eine Erweiterung gemäß Artikel 123(3) EPÜ finde daher nicht statt. Zudem würde die Aufnahme der Unteransprüche 2, 3 und 5 funktionelle Merkmale in den Anspruch 1 bringen, die funktionell das gestrichene Merkmal ersetzen könnten.
4.4 Dieser Auffassung kann die Kammer nicht folgen. Das gestrichene Merkmal mag durchaus erläuternden Charakter aufweisen. Es weist jedoch in technischer Hinsicht eindeutig darauf hin, in welchen Bereichen das Grundgelege zur Verankerung mit den Kletthaken zur Verfügung steht. Dies wird in keinem anderen Merkmal des Anspruchs 1 ausgedrückt. Daher hat dieses Merkmal Anteil am technischen Inhalt des Anspruchs und kann nicht ersatzlos entfallen. Dieser Anteil am technischen Inhalt des Anspruchs wird auch nicht durch die Aufnahme der Merkmale der Unteransprüche kompensiert. Die zusätzlich aufgenommenen Merkmale der Unteransprüche 2, 3 und 5 können das gestrichene Merkmal weder erläutern noch direkt oder indirekt klarstellen. Sie beziehen sich lediglich auf die Eigenschaften der Trägerfolie, des textilen Substrats, sowie deren Verbindung. Merkmale oder Eigenschaften der Kletthaken oder deren Verankerung können davon nicht abgeleitet werden.
4.5 Grundsätzlich ist das Streichen eines in der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung der erteilten Fassung des Anspruchs 1 zugefügten Merkmals nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich (G1/99). Es ist zu prüfen, ob die in G1/99 angeführten Voraussetzungen zutreffen.
4.6 G1/99 legt im Leitsatz fest, dass
"Grundsätzlich muss ein geänderter Anspruch, durch den der Einsprechende und alleinige Beschwerdeführer schlechter gestellt würde als ohne die Beschwerde, zurückgewiesen werden. Von diesem Grundsatz kann jedoch ausnahmsweise abgewichen werden, um einen im Beschwerdeverfahren vom Einsprechenden/Beschwerdeführer oder von der Kammer erhobenen Einwand auszuräumen, wenn andernfalls das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Patent als unmittelbare Folge einer unzulässigen Änderung, die die Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung für gewährbar erachtet hatte, widerrufen müsste.
Unter diesen Umständen kann dem Patentinhaber/Beschwerdegegner zur Beseitigung des Mangels gestattet werden, folgendes zu beantragen:
- in erster Linie eine Änderung, durch die ein oder mehrere ursprünglich offenbarte Merkmale aufgenommen werden, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung einschränken;
- falls eine solche Beschränkung nicht möglich ist, eine Änderung, durch die ein oder mehrere ursprünglich offenbarte Merkmale aufgenommen werden, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung erweitern, ohne jedoch gegen Artikel 123(3) EPÜ zu verstoßen;
- erst wenn solche Änderungen nicht möglich sind, die Streichung der unzulässigen Änderung, sofern nicht gegen Artikel 123(3) EPÜ verstoßen wird."
4.7 Demzufolge ist in erster Linie eine Änderung in Betracht zu ziehen, durch die ein oder mehrere ursprünglich offenbarte Merkmale aufgenommen werden, die den Schutzbereich des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung einschränken. Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall.
4.8 Der Schutzbereich des Anspruchs 1 könnte eingeschränkt werden, indem der Verbundstoff in nähere Beziehung zu den Kletthaken gebracht würde. Dies wäre dadurch möglich, dass nicht der Verbundstoff, sondern der gesamte Klettverschluss, bzw. Windelverschluss beansprucht würde. In diesem Fall wäre das Argument der Beschwerdegegnerin - welches in Bezug auf den Hauptantrag vorgebracht wurde - zutreffend, dass - wenn auch indirekt - klargestellt wäre, dass die ("alle") Kletthaken sowohl mit den oberflächlichen Schlaufen als auch mit den Schlaufen des Grundgeleges verankerbar seien, und daher alle Kletthaken geeignet wären, "tief" in den Verbundstoff (bis zum Grundgelege) einzugreifen. In diesem Fall würde die Einschränkung darin bestehen, dass nur exakt eine Art von Kletthaken im Klettverschluss vorliegen würde.
4.9 Da diese Möglichkeit der Änderung nicht ausgeschöpft wurde, kann der Hilfsantrag 1 nicht zugelassen werden. Die weiteren Optionen, welche in G1/99 genannt sind, kommen nicht in Frage solange diese erste Option nicht ausgeschöpft wurde. Sie sind daher hier nicht relevant.
4.10 Dem Argument der Beschwerdegegnerin, dass eine Aufnahme von Merkmalen des zweiten Teils des Klettverschlusses eine Erweiterung des Schutzbereiches bedeuten würde (d.h. gegen die Aufforderung der G1/99), kann nicht gefolgt werden. Auf "Kletthaken" ist bereits in Anspruch 1 Bezug genommen. Eine konkrete Eignung der Größe der Schlaufen und der Grundgelege durch Aufnahme von Haken in Anspruch 1 kann nur als eine Einschränkung des Schutzbereichs verstanden werden. Durch diese Einschränkung sind nur textile Substrate beansprucht, die mit den Haken zusammenwirken, die auf der anderen Seite des Klettverschlusses vorhanden sind - statt nur irgendwelche unbestimmte Haken.
4.11 Es mag zwar richtig sein, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, dass der entsprechende Hakenteil des Verschlusses auch jetzt unter den Anspruch fällt. Dies ist jedoch nur in Verbindung mit dem textilen Substrat des Klettverschlusses beansprucht, der weiter eingeschränkt wurde. Der Auffassung, dass der Schutzbereich sich dadurch erweitert hat, schließt sich die Kammer daher nicht an.
4.12 Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass ein Verletzungsgegenstand durch eine mittelbare Verletzung vorliegen würde, die nicht beim erteilten Anspruch vorlag, überzeugt nicht. Es wurde nicht überzeugend dargelegt, dass eine (neue) mittelbare Verletzung vorliegen würde. Zudem funktioniert das definierte Substrat immer als Teil eines ein- oder mehrteiligen Klettverschlusses. Die Lieferung eines unter den erteilten Anspruch 1 geschützten Substrates ohne einen zweiten Teil des Klettverschlusses (oder ohne das zugehörige Objekt) würde deswegen gleichermaßen zu einer mittelbaren Verletzung führen.
4.13 Es würde sich auch nicht um einen Wechsel der Anspruchskategorie handeln, wie etwa dem Wechsel von einem beanspruchten Gegenstand zu einem beanspruchten Verfahren. Ganz im Gegenteil, durch eine Einschränkung des Verbundstoffes, derzufolge nur definierte "geeignete" Kletthaken Teil des Klettverschlusses sein könnten, würde gerade die Möglichkeit der mittelbaren Verletzung wesentlich eingeschränkt. Eine Erweiterung des Schutzbereiches würde somit im vorliegenden Fall nicht erfolgen, und Artikel 123(3) EPÜ wäre nicht verletzt.
4.14 Der vorliegende Gegenstand unterscheidet sich genau durch die Beeinflussung bzw. Wechselwirkung von Verbundstoff/Kletthaken und zu verschließendem Objekt vom Sachverhalt in den in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (7. Auflage 2013, II.E.2.1.3) diesbezüglich zitierten Entscheidungen.
T 1898/07 betraf den Fall, dass es kein Merkmal oder keine Funktion gab, welche eine Wechselwirkung zwischen Packung und flüssiger Zusammensetzung der zu verpackenden Zubereitung hergestellt hätten. Daher hat die Kammer entschieden, dass eine Erweiterung des Schutzbereiches bei einer derartigen Anspruchsformulierung zutraf.
Das galt auch für die Sachlage in T 352/04, welche ein Haarbehandlungsmittel betraf, wobei das zusätzliche Merkmal der zu verwendenden Sprühvorrichtung in keinem Zusammenhang mit der flüssigen Zusammensetzung des Haarbehandlungsmittels stand.
T 579/01 bezog sich auf einen lebenden Organismus, eine Pflanze, ausgehend von Zellen in einer Pflanze, wobei die Kammer zu dem Schluss kam, dass eine Pflanze immer aus Zellen besteht. Diese Thematik ist daher grundverschieden vom vorliegenden Fall.
4.15 Da ein geänderter Antrag prima facie und daher auch im Sinne von G1/99 gewährbar sein sollte, wurde dieser Antrag nicht zum Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) VOBK).

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