17 January 2017

J 0005/16 - Appeal decision on stay


EPO Headnote (informal translation)
1. If the Legal Division decides with a single decision in a number of examination procedures, such a decision can be appealed with a single appeal and payment of a single appeal fee.
2. If the Legal Division has [correctly] exercised its discretion when deciding on the continuation of a stay, [and] has fully considered the aspects to be taken into account, has avoided being influenced by extraneous considerations, and if the assessment of the circumstances does not show flaws in the reasoning, then the Board barred from substituting its own discretion for that of the Legal Division.
3. The occasion of changed circumstances [during the appeal procedure], in this case the decision of the appeal court in a national entitlement procedure, can nevertheless form a reason for modifying the decision which is otherwise to be confirmed.

Key points

  • Article 60 EPC and Rule 14 are also applicable to court procedures based on contractual "assignments" ( " auf vertragliche Rechtsübergänge"), according to the Legal Board. 


EPO Headnote


1. Hat die Rechtsabteilung in einer einzigen Entscheidung inhaltlich über das Schicksal mehrerer Patenterteilungs­verfahren entschieden, ist es legitim, diese Entscheidung mit einer einzigen Beschwerde anzufechten und hierfür nur eine Beschwerdegebühr zu entrichten.
2. Hat die Rechtsabteilung bei einer Entscheidung über die Fortsetzung der Aussetzung den ihr eingeräumten Ermessensspielraum erkannt und ausgeschöpft, die bei der Abwägung einzubeziehenden Aspekte umfassend herangezogen, keine sachfremden Erwägungen einfließen lassen und bei der Würdigung der Umstände keine gedanklichen Fehler erkennen lassen, ist es der Kammer verwehrt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Rechtsabteilung zu setzen.
3. Der Eintritt veränderter Umstände, hier eine Entscheidung des Berufungsgerichts im nationalen Vindikationsverfahren, kann jedoch Anlass sein, die im Grunde zu bestätigende Entscheidung anzupassen.

EPO J 0005/16 - link 

Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Fehler der angefochtenen Entscheidung aufzeigen können. Die Entscheidung war daher dem Grunde nach zu bestätigen. Sie war jedoch im Hinblick auf die zwischenzeitlich veränderte Sachlage dahin anzupassen, dass die weitere Aussetzung von der Kammer befristet wurde.
1. Die fristgerecht eingereichte Beschwerde ist hinsichtlich aller streitgegenständlicher Patentanmeldungen zulässig. Die Bezahlung einer Beschwerdegebühr war im vorliegenden Fall ausreichend.


Die von der Beschwerdeführerin angefochtene Entscheidung vom 9. November 2015 befasst sich inhaltlich mit fünf verschiedenen Patentanmeldungen und trifft hinsichtlich dieser jeweils die Entscheidung, die Patenterteilungsverfahren, die zuvor in einer ebenfalls einheitlichen Entscheidung vom 20. Februar 2015 ausgesetzt worden waren, bis auf weiteres ausgesetzt zu lassen.
Die Argumentation der Beschwerdegegnerin, materiell-rechtlich handle es sich um fünf verschiedene Entscheidungen, die nur auf der Verfahrensebene in eine Entscheidung zusammen gefasst wurden, inhaltlich aber durchaus auch unterschiedlich zu beurteilen sein könnten, ist nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund erschiene es künftig auch sinnvoller, parallele Entscheidungen in jedem der betroffenen Patenterteilungsverfahren separat zu treffen.
Dessen ungeachtet liegt aber im vorliegenden Fall aus Sicht der Beschwerdeführerin eine einheitliche Entscheidung vor, hinsichtlich derer die Formulierung der Artikel 107 und 108 EPÜ zu beachten ist: "Jeder Verfahrensbeteiligte, der durch eine Entscheidung beschwert ist, kann Beschwerde einlegen" bzw. "Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr entrichtet worden ist". Eine Auslegung dieser Vorschriften dahin, dass jeder inhaltlich ein eigenes Patenterteilungsverfahren betreffende Aspekt einer einheitlich getroffenen Entscheidung als eigene "Entscheidung" im Sinne dieser Artikel zu verstehen sei, wäre mit dem Wortsinn der Vorschriften kaum mehr vereinbar, verbietet sich aber jedenfalls unter Vertrauensgesichtspunkten.
[] Die Kammer hat daher bereits in der Entscheidung vom 15. Juni 2015, die unter den Aktenzeichen J 16/14 bis J 22/14 erging, ausgeführt (Gründe 1.1):
"Während des Verfahrens vor der Rechtsabteilung haben sowohl die Beteiligten selbst als auch die Rechtsabteilung stets ein einheitliches Verfahren unter Nennung aller betroffenen Anmeldungen und Patente geführt, auf die sich folgerichtig auch die angegriffene Entscheidung bezieht. Daher fällt für die Beschwerde gegen die angegriffene Entscheidung nur eine einzige Beschwerdegebühr und nicht sieben Beschwerdegebühren an, wie die Beschwerdegegnerin erfolglos geltend macht." Dem folgt die Kammer auch im vorliegenden Fall.
2. Die vorliegende Entscheidung ergeht unter den Aktenzeichen J 1/16 bis J 5/16. Die rein aktentechnisch begründete Anlage mehrerer Aktenzeichen, deren Hintergründe in der Entscheidung vom 15. Juni 2015, siehe Gründe 1.1, erläutert werden, ändert nichts an der Einheitlichkeit dieser Entscheidung.
3. Die angefochtene Entscheidung ist grundsätzlich zu bestätigen.
Die Rechtsabteilung ist zutreffend von der Anwendbarkeit der Regel 14 EPÜ ausgegangen. Ihr kommt bei der Beurteilung der Frage, ob vor rechtskräftigem Abschluss des nationalen Vindikationsverfahrens das Erteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt gemäß Regel 14(3) EPÜ fortzusetzen ist, großes Ermessen zu. Es ist nicht erkennbar, dass die Rechtsabteilung sich bei ihrer Entscheidung nicht in dem hierdurch gesteckten Rahmen gehalten hat.
3.1 Regel 14 EPÜ ist anwendbar. Die von der Beschwerdeführerin vertretene Ansicht, die Artikel 60 und 61 EPÜ und damit auch Regel 14 EPÜ seien nur im Falle eines originären, nicht aber im Falle eines abgeleiteten, durch Vertrag bewirkten Rechtserwerbs an der streitgegenständlichen Erfindung anwendbar, findet im EPÜ keinerlei Stütze. Artikel 60 EPÜ zeigt vielmehr mit seinen Verweisen in Absatz (1) auf den Rechtsnachfolger und in Absatz (2) Satz 2 auf nationales Erfinderrecht (das nicht selten - wie etwa in Deutschland - von einem Übergang des Rechts an der Erfindung vom Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber ausgeht), dass auch abgeleitetes Erfinderrecht gegen widerrechtliche Entnahme geschützt ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sich dies nicht auch auf vertragliche Rechtsübergänge erstrecken sollte.
3.2 Die Beschwerdeführerin hat keinerlei Umstände vorgetragen, die einen Ermessensfehler der Rechtsabteilung begründen würden. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich.
3.2.1 Insbesondere wurde von der Rechtsabteilung das Argument, dass in den Augen der Beschwerdeführerin nach nationalem Recht keine Aussicht auf Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Braunschweig bestanden habe, da der im dortigen Verfahren als Rechtsgrundlage angeführte Vertrag die streitgegenständlichen Patentanmeldungen gar nicht umfasse, zu Recht nicht in die Abwägung mit einbezogen, da eine Beurteilung der Vindikationsansprüche nach nationalem Recht nicht Sache der Rechtsabteilung ist, sondern den nationalen Gerichten vorbehalten bleibt.
3.2.2 Die Betrachtung der angefochtenen Entscheidung im Übrigen zeigt, dass die Rechtsabteilung den ihr eingeräumten Ermessensspielraum erkannt und ausgeschöpft hat. Sie hat die bei der Abwägung einzubeziehenden Aspekte umfassend herangezogen, keine sachfremden Erwägungen einfließen lassen und bei der Würdigung der Umstände keine gedanklichen Fehler erkennen lassen. Ein Ermessensfehler ist somit nicht festzustellen.
3.2.3 Es ist der Kammer daher verwehrt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Rechtsabteilung zu setzen und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Rechtsabteilung eine eigene Abwägung der Interessen der Beteiligten vorzunehmen.
3.3 Die Entscheidung der Rechtsabteilung war daher im Grunde zu bestätigen.
4. Das zwischenzeitlich am 16. November 2016 ergangene Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig stellt jedoch einen für die weitere Aussetzung relevanten Umstand dar, den die Rechtsabteilung bei ihrer Abwägung noch nicht einbeziehen konnte und der daher von der Kammer ergänzend zu würdigen ist.
4.1 Das Urteil hat noch nicht zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens geführt. Zwar wurde vom Oberlandesgericht die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Es läuft derzeit aber noch die Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde, deren Einlegung gemäß § 544, Absatz 5, Satz 1 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) die Rechtskraft des Urteils hemmen würde.
4.2 Die Erteilungsverfahren betreffend die streitgegenständlichen Patentanmeldungen befanden sich zum Zeitpunkt der Aussetzung in einem noch sehr frühen Verfahrensstadium. Ein Prüfungsbescheid war bis dahin jeweils nicht ergangen. Die Anmeldung lag zum Zeitpunkt der ersten Aussetzung bei den ersten vier Patentanmeldungen rund drei Jahre zurück; nunmehr sind es knapp fünf Jahre. Die fünfte Anmeldung ist etwa sechs Monate jünger. Die Beschwerdeführerin macht geltend, als kleines aufstrebendes Unternehmen im besonderen Maße auf den Schutz ihres geistigen Eigentums angewiesen zu sein, nicht zuletzt gegenüber der wirtschaftlich wesentlich stärkeren Beschwerdegegnerin, einem weltweit tätigen Konzern. Die Verzögerung der Prüfung treffe sie daher ungleich härter.
4.3 Das nationale Vindikationsverfahren wurde zügig und ohne erkennbare Verschleppung geführt und endete in zweiter Instanz mit einer Bestätigung der Klageabweisung. Die Revision wurde nicht zugelassen. Es ist noch nicht sicher, ob die Beschwerdegegnerin, die die Nichtzulassung der Revision als den Normalfall bezeichnete, der aber noch keinen Rückschluss erlaube, ob der Bundesgerichtshof (BGH) die Revision auf Beschwerde nicht doch zulassen werde, eine entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde einreichen wird. Die Beschwerdegegnerin erwartet im Fall der Einlegung einer Beschwerde eine Entscheidung des BGH hierüber bis spätestens Ende August 2017.
4.4 Die Dauer der Aussetzung betrug bislang 1 Jahr und 9 Monate. Sie würde bis Ende August 2017 gut 2 Jahre 6 Monate betragen haben.
4.5 Es erscheint der Kammer bei Abwägung der beiderseitigen Interessen geboten, insbesondere im Hinblick auf das bereits weit fortgeschrittene Verfahren vor den nationalen Gerichten bereits heute einen Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Prüfungsverfahren fortzusetzen sind. Die Kammer geht davon aus, dass diese im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin nicht zu vertretende Verzögerung dann mit besonderer Priorität und Zügigkeit geführt werden. Angesichts der zwischenzeitlichen Gesamtaussetzungszeit und der Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin in zwei Instanzen des nationalen Berechtigungsverfahren mit abschlägigen Urteilen beschieden wurde, hält es die Kammer mit Blick auf die wirtschaftliche Interessenlagen der beiden Parteien für die Beschwerdegegnerin hinzunehmen, dass die Patenterteilungsverfahren auch im Falle eines etwa bis dahin noch nicht erzielten rechtskräftigen Verfahrensabschlusses spätestens zum 31. August 2017 fortgesetzt werden. Umgekehrt erscheint es der Kammer für die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die im Vergleich mit anderen Fällen noch immer im unteren Bereich liegende Aussetzungsdauer hinnehmbar, äußerstenfalls bis zu diesem Zeitpunkt auf die Fortsetzung der Verfahren warten zu müssen.
4.6 Sollte die Entscheidung des OLG Braunschweig zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig werden, kann die Rechtsabteilung, der bei veränderten Umständen immer eine eigene Entscheidungskompetenz nach Regel 14(3) EPÜ zukommt, auf Antrag der Beschwerdeführerin auch einen früher gelegenen Fortsetzungstermin bestimmen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass das Patenterteilungsverfahren spätestens am 31. August 2017 fortzusetzen ist.

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