19 September 2016

T 0584/10 - Technical effect and objective technical problem

Key points


  • The decision relates to the formulation of the objective technical problem for a claim directed to (effectively) an input device for a navigation system.
  • The Board can not acknowledge that the distinguishing feature provides a more intuitive or user friendly input device, because that effect is not provided directly by the feature. The Board holds, as established case law, that the objective technical problem should follow from objective physical, chemical or similar effects which are associated directly and causally with the technical features of the claimed invention and which also are derivable from the application as filed. 



Entscheidungsgründe
1. HAUPTANTRAG
Dieser Antrag entspricht der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf Basis des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden "Hilfsantrag 3".
Anspruch 1, wie aufrechterhalten, umfasst folgende einschränkenden Merkmale:
Verfahren zur Eingabe einer Zeichenfolge in eine Recheneinheit, wobei
A) in einer Speichereinheit Zeichenfolgen gespeichert werden und von der Recheneinheit durch einen Vergleich bisher eingegebener Zeichen mit den gespeicherten Zeichenfolgen auswählbare Zeichen für ein nächstes, einzugebendes Zeichen der Zeichenfolge ermittelt werden;
B) die auswählbaren Zeichen in einer Anzeige hervorgehoben angezeigt werden;
C) eines der auswählbaren Zeichen als ein einzugebendes Zeichen angezeigt und als ein nächstes Zeichen der Zeichenfolge durch eine Bestätigungseingabe eingegeben wird;
D) die Zeichen in einem zweidimensionalen Feld angezeigt werden;
E) von dem eingebbaren Zeichen über eine Richtungseingabe zu einem in der eingegebenen Richtung in dem zweidimensionalen Feld zu dem eingebbaren Zeichen liegenden auswählbaren Zeichen gewechselt wird;
F) als eine Richtung jede der Richtungen unten, oben, rechts und links über das Bedienelement in Form einer Kreuzwippe oder eines Joysticks ausgewählt werden kann und eine der Richtungen unten, oben, rechts oder links ausgewählt wird;
G) das auswählbare Zeichen, zu dem gewechselt wird, als eingebbares Zeichen angezeigt wird.


Nach dem Wortlaut dieses Anspruchs wird prinzipiell unterschieden zwischen einem "auswählbaren Zeichen", das entsprechend der gespeicherten, möglichen Zeichenfolgen - vorzugsweise für eine Navigationszieleingabe - mit Hilfe des Bedienelements auf dem zweidimensionalen Zeichenfeld ausgewählt werden kann, und einem "eingebbaren Zeichen", das gegenwärtig im Zeichenfeld als solches markiert ist und im Falle einer Bestätigungseingabe als nächstes Zeichen bei der Zieleingabe tatsächlich ausgewählt und eingegeben wird.
1.1 Artikel 52(1) EPÜ: Neuheit und erfinderische Tätigkeit
1.1.1 Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags auf Basis des Unterscheidungsmerkmals F) ist unstreitig (Artikel 54 EPÜ).
1.1.2 Nächstliegender Stand der Technik
Die Kammer betrachtet - wie die angefochtene Entscheidung - das vorbenutzte PCM-System als nächstliegenden Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
Dieses PCM-System, dessen Funktionsweise insbesondere durch E5 und E17 beschrieben wird, sieht nun für die Zieleingabe (unter dem Menüpunkt "Zieleingabe Ort") eine Bildschirmanzeige mit zwei Zeilen und mehreren Spalten, d.h. ein zweidimensionales Feld, vor (siehe z.B. E5, Abb. 5.5 und 5.8; E17, Abb. (1)). Die entsprechenden Zeichen (Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern) werden über einen eindrückbaren, nach rechts oder links (d.h. in zwei Richtungen) drehbaren "Drehknopf 11" ausgewählt und eingegeben. Vor und nach jeder Zeicheneingabe werden die gemäß der möglichen Ziele auswählbaren bzw. nicht auswählbaren Zeichen in unterschiedlichen Farben angezeigt (siehe z.B. E17, Abb. 2). Das ausgewählte bzw. eingebbare Zeichen wird mit einem gelb unterlegten Quadrat eindeutig markiert (siehe z.B. E17, Abb. 1). Darüber hinaus wird nach Erreichen des letzten auswählbaren Zeichens der ersten Zeile - bei weiterer Drehung des Drehknopfs 11 nach rechts - automatisch auf das erste auswählbare Zeichen der zweiten Zeile gesprungen, während nach Erreichen des letzten auswählbaren Zeichens der zweiten Zeile auf das erste auswählbare Zeichen der ersten Zeile gewechselt wird (sog. "wrap around"-Mechanismus). Entsprechendes gilt für die Linksbewegung des Drehknopfs über das Ende einer Zeile hinaus.
Die Kammer teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung und beider Beteiligten, dass das PCM-System das Merkmal F) von Anspruch 1, d.h. die Auswahl eines auswählbaren Zeichens über eine in vier Richtungen (rechts, links, oben, unten) frei bewegbare Kreuzwippe oder einen Joystick, nicht offenbart (vgl. Punkt 1.1.1 oben).
1.1.3 Technischer Effekt des Unterscheidungsmerkmals F)
Nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz ist zunächst die durch das Unterscheidungsmerkmal erzielte technische Wirkung zu ermitteln. Aus der angefochtenen Entscheidung geht indes nicht hervor, welchen technischen Effekt die Einspruchsabteilung dem Merkmal F) zugeschrieben hat bzw. welche objektive technische Aufgabe hierdurch als gelöst betrachtet wurde. Das Streitpatent führt hierzu lediglich an, dass durch die Eingabe einer Richtung im erfindungsgemäßen Sinn der Benutzer eines Navigationssystems "sehr schnell und übersichtlich" zwischen auswählbaren Zeichen wechseln könne (vgl. Absatz [0002], erster Satz). Die Kammer teilt hier jedoch die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass ein solcher Effekt nicht über den gesamten von Anspruch 1 definierten Bereich glaubhaft erzielt werden kann, auch wenn - wie von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht - die Merkmale E), F) und G) im Gesamtkontext betrachtet werden.
Vielmehr hängt die Frage, ob der Benutzer des Navigationssystems mit einem in vier Richtungen (rechts/links/oben/unten) bewegbaren Bedienelement gemäß Merkmal F) schneller oder in übersichtlicherer Weise als mit einem in zwei Richtungen (rechts/links) bewegbaren Bedienelement gemäß dem PCM-System ein gewünschtes auswählbares Zeichen auszuwählen vermag, grundsätzlich von vielen Faktoren ab, wie z.B. den feinmotorischen Fähigkeiten des jeweiligen Benutzers, der Größe des Zeichenfelds (d.h. die konkrete Anzahl der Zeilen und Spalten) bzw. der Anordnung der Zeichen im zweidimensionalen Feld oder der Reaktionsschnelligkeit sowohl des Bedienelements als auch der Anzeige. Hierüber ist Anspruch 1 jedoch nichts zu entnehmen. Daher wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingehender über die tatsächlich resultierende technische Wirkung und die glaubhaft gelöste objektive technische Aufgabe diskutiert. Als Resultat dieser Diskussion schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin an, dass die Verwendung eines in vier (statt in zwei) Richtungen bewegbaren Bedienelements die technische Wirkung hat, eine erweiterte Beweglichkeit innerhalb eines zweidimensionalen Zeichenfelds bei der Zeicheneingabe zu ermöglichen (vgl. auch Spalte 1, Zeilen 38-41 des Streitpatents).
1.1.4 Objektive technische Aufgabe
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss sich die objektive technische Aufgabe aus objektiven physikalischen, chemischen oder sonstigen Wirkungen ergeben, die unmittelbar und kausal mit den technischen Merkmalen der beanspruchten Erfindung zusammenhängen und auch aus der ursprünglichen Anmeldung ableitbar sind. Eine Wirkung kann demnach nicht wirksam für die Formulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, wenn hinsichtlich dieser Wirkung zusätzliche Informationen benötigt werden, die dem Fachmann selbst bei Berücksichtigung des Inhalts der betreffenden Anmeldung nicht zur Verfügung stehen (siehe z.B. T 1639/07, Gründe 2.5).
Basierend auf dem obigen technischen Effekt sah die Beschwerdegegnerin die durch Anspruch 1 zu lösende objektive Aufgabe in einer "intuitiveren und damit bedienerfreundlicheren Zieleingabe in Navigationsgeräten". Da nach Ansicht der Kammer eine intuitivere Bedienbarkeit bzw. kognitive Bedienerfreundlichkeit einer software-basierten
Mensch-Maschine-Schnittstelle, auch Software-Ergonomie genannt, prinzipiell von subjektiven Fähigkeiten und Bedürfnissen des jeweiligen Bedieners abhängen (siehe z.B. T 407/11, Gründe 2.1.4), lassen sie sich in der Regel nicht mit herkömmlichen wissenschaftlichen Methoden des Ingenieurwesens bzw. der Informatik quantifizieren. Dies wird auch dadurch belegt, dass typischerweise - wie von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt - bei der Entwicklung von solchen Mensch-Maschine-Schnittstellen in nicht unerheblichem Maße auf Fachwissen aus den Feldern der angewandten Psychologie bzw. "user experience" zurückgegriffen wird, um empirische Aussagen über die intuitive Bedienbarkeit eines technischen Assistenzsystems zu treffen. Daher kann die Kammer nicht anerkennen, dass die technischen Merkmale von Anspruch 1 - insbesondere Merkmal F) - verlässlich und kausal eine solche Aufgabe in ihrem gesamten Bereich hinreichend lösen, d.h. dass die zusätzliche Bewegbarkeit des einzugebenden Zeichens nach oben und unten tatsächlich und zwangsläufig eine intuitivere bzw. bedienerfreundlichere Zieleingabe bedingt. Die objektive Aufgabe ist mithin entsprechend umzuformulieren (siehe z.B. T 39/93, ABl. EPA 1997, 134, Gründe 5.3.2).
Die Kammer sieht die dem Unterscheidungsmerkmal F) tatsächlich zugrunde liegende objektive technische Aufgabe vielmehr in der "Implementierung einer flexibleren Zeicheneingabe für die Zielbestimmung im PCM-System". Im Zusammenhang mit der Frage des mit der Lösung dieser objektiven Aufgabe beauftragten Fachmanns schließt sich die Kammer zudem der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass es sich hier um einen Experten auf dem Gebiet der grafischen Mensch-Maschine-Schnittstellen bzw. der Software-Ergonomie handelt.
1.1.5 Naheliegen des Gegenstands von Anspruch 1
Zunächst ist festzuhalten, dass der oben definierte Fachmann entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht den Hinweis von E5 aufgreifen würde, wonach für ein zügiges Durchlaufen des Zeichenfelds der Drehknopf entsprechend schneller zu drehen sei (siehe Seite 50, linke Spalte, zweiter Hinweis), da ein schnelleres Drehen des Drehknopfs durch den Bediener keine flexiblere Zeicheneingabe gemäß der oben formulierten objektiven Aufgabe ermöglicht. Bei der Suche nach Implementierungsmöglichkeiten zur Lösung der obigen Aufgabe würde nach Auffassung der Kammer dieser Fachmann stattdessen die Druckschrift E10 als sehr erfolgversprechende Hilfestellung betrachten. Diese beschäftigt sich nämlich mit der Realisierung eines bidirektional drehbaren und axial bewegbaren Schaltgliedes, das als Multifunktions-Bedieneinrichtung für die "schnelle und sichere" Auswahl von angezeigten Menüs bzw. von Menü-Funktionen, vornehmlich in Fahrzeugen, einsetzbar ist (siehe Zusammenfassung und Spalte 1, Zeilen 17-27). Insbesondere erwähnt E10 im Einleitungsabschnitt (siehe Spalte 1, Zeilen 17-22):
"Durch die zusätzliche Möglichkeit, das Schaltglied zu verschwenken kann die Menü-, Funktions- bzw. Funktions-Werteauswahl schnell und sicher getroffen werden. Das Schaltglied vereinigt dann die Funktionalität des ... bekannten Dreh-/Druck-Schalters und des sogenannten Joysticks."
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann davon abgehalten werden würde, E10 heranzuziehen, weil die Bedienung eines in vier Richtungen bewegbaren Bedienelements mehr Konzentration verlange und die Bedienung des Geräts komplizierter mache, überzeugt die Kammer nicht, da die Beschwerdegegnerin andererseits argumentiert, dass gerade die Einführung des in vier Richtungen beweglichen Bedienelements die Zieleingabe intuitiver und bedienerfreundlicher mache (vgl. Punkt 1.1.4 oben).
Die Kammer schließt sich daher der Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin an, dass der Fachmann die Lehre von E10 auf das vorbenutzte PCM-System anwenden und hierbei den Drehknopf des PCM-Systems ohne Zögern durch das flexiblerweise in vier Richtungen (rechts/links/oben/unten) bewegbare "Schaltglied 2" mit dem "Betätigungsknopf 1" (siehe Fig. 1 und 2), das als Joystick fungieren soll, ersetzen würde, um damit - anstatt der in E10 in Rede stehenden Menüs und Funktionen (siehe Fig. 5a und 5b) - Eingabezeichen schnell und sicher in zweidimensionalen Zeichenfeldern gemäß dem PCM-System über Bewegungen nach rechts, links, oben oder unten auszuwählen. Im Gegensatz zur Interpretation von E10 durch die Beschwerdegegnerin ist z.B. in der Ausführungsform von Fig. 4c auch eine eventuelle Sperrung einer bestimmten Bewegungsrichtung durch das "Nockenrad 12" deaktiviert, so dass hier durchaus sowohl eine horizontale Rechts/Links-Bewegung (+x/-x Richtung) als auch eine vertikale
Oben/Unten-Bewegung (+y/-y Richtung) ermöglicht wird. Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach in E10 lediglich eine Eingabe in einer Dimension, d.h. entweder in vertikaler oder horizontaler Richtung (basierend auf der vorgeschlagenen Richtungssperre nach Spalte 2, Zeilen 31-35), vorgegeben sei, geht schon deshalb ins Leere, da z.B. Spalte 1, Zeilen 45-48 von E10 unmissverständlich Folgendes lehrt (mit Hervorhebungen durch die Kammer):
"Zum Ermöglichen der Schwenkbewegung in zwei zueinander senkrechten Richtungen (+x/-x und +y/-y) ist das Schaltglied 2 schwenkbar über ein Kugelgelenk 3 in einem Gehäuse 4 gelagert."
1.1.6 Aus den obigen Feststellungen folgert die Kammer, dass der Gegenstand des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1.2 Daher ist der Hauptantrag nach Artikel 56 EPÜ nicht gewährbar.

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